»Ich entbiete dir meinen Gruß, Meister Alvias. Wie unsere Herrin Emerelle es wünschte, habe ich den Menschensohn sicher zur Burg geleitet.« Ollowains Tonfall ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihm die Wünsche seiner Herrin Befehl waren.
Die beiden Elfen maßen einander mit Blicken, und Mandred kam es so vor, als hielten sie ein stummes Zwiegespräch. Schließlich gab Meister Alvias Mandred durch eine Geste zu verstehen, dass er ihm folgen solle.
Der Krieger fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen, als er hinter Meister Alvias eine breite Treppe emporstieg, die zu einem Säulengang führte. Alles um ihn herum war von beklemmender Schönheit und durchtränkt von fremdem Zauber – ein Ort, so vollkommen, dass es zum Fürchten war.
Sie durchquerten zwei weite Hallen. Jede für sich hätte sein ganzes Dorf aufnehmen können. Von Emporen hingen breite Banner hinab, die mit stilisierten Adlern und Drachen geschmückt waren, aber auch mit Tieren, wie Mandred sie noch nie gesehen hatte. Obwohl der Krieger keinen Luftzug spüren konnte, bewegten sich die Banner, als griffe eine leichte Brise nach ihnen. Noch unheimlicher waren die Wände. Kam man ihnen nahe, so erkannte man, dass sie aus weißem Stein gefügt waren, so wie die Brücke von Shalyn Falah und die Festung jenseits des Engpasses. Doch dem Stein der Burg musste ein Zauber anhaften. Von ihm ging ein blasses, weißliches Licht aus. Schon auf wenige Schritt Entfernung verging der Eindruck, von Stein umgeben zu sein. Man hatte eher das Gefühl, als bewegte man sich inmitten einer Halle aus Licht.
Wann immer sie sich einem Portal näherten, schwangen die Flügel wie von Geisterhand bewegt auf. Inmitten der zweiten Halle gab es eine Quelle, die sich aus dem Rachen eines steinernen Ungeheuers in einen kleinen, runden See ergoss. Die Bestie war umringt von versteinerten Kriegern. Beklommen spürte Mandred sein Herz schneller schlagen. Hätte es noch eines letzten Beweises für die Zaubermacht der Elfenkönigin bedurft, so war er nun geliefert. Wer ihr Missfallen erregte, den verwandelte sie in steinernen Schmuck ihrer Burg!
Eine weitere hohe Pforte schwang vor ihnen auf, und sie betraten einen Saal, dessen Wände hinter einem Vorhang silbern schimmernden Wassers verborgen blieben. Es gab keine Decke, stattdessen wölbte sich hoch über ihnen der rot glühende Abendhimmel. Leise Musik schwebte in der Luft. Mandred hätte nicht zu sagen gewusst, welche Instrumente so liebliche Töne hervorzubringen vermochten. Die Musik nahm ihm die Furcht, die in seinem Herzen gewachsen war, seit er den Hof der Burg betreten hatte. Und doch, dies hier war kein Ort, der für Menschen geschaffen war. Er sollte nicht hier sein.
Etwa drei Dutzend Elfen warteten bereits im Saal, und ihrer aller Augen richteten sich auf Mandred. Es war das erste Mal, dass der Krieger Elfenfrauen sah. Sie waren groß gewachsen und schlank und ihre Hüften knabenhafter als bei Menschenfrauen. Die Brüste waren klein und straff. Unter Menschen hätte Mandred keinen Gefallen an solchen Kindfrauen gefunden. Doch die Elfen waren anders. Ihre Gesichter waren von einer Schönheit, die einen alles andere vergessen machte. Mandred wusste nicht zu sagen, ob es an ihren geschwungenen Lippen lag, den alterslosen Zügen oder den Augen, in deren Abgründen die Verheißung ungekannter Freuden lockte. Manche von ihnen trugen fließende Kleider aus Stoffen so fein, als wären sie aus Mondlicht gewoben. Sie betonten die Vorzüge ihrer schlanken Körper mehr, als dass sie diese verbargen. Mandreds Blick blieb an einer der Frauen haften. Sie war aufreizender als die anderen gekleidet. In der Farbe von Rosenblüten schimmerten die Knospen ihrer Brüste durch den Stoff, und verlockender Schatten lag zwischen ihren Schenkeln. Keine Menschenfrau hätte es gewagt, ein solches Gewand zu tragen.
Gegenüber der Pforte führten sieben Stufen hinauf zum Thron des Elfenvolkes. Es war ein schlichter Stuhl aus dunklem Holz mit Intarsien aus schwarzen und weißen Steinen, die zwei untrennbar miteinander verflochtene Schlangen zeigten. Neben dem Thron erhob sich eine niedrige Säule, die eine flache Silberschüssel trug. Vor dem Herrschersitz aber stand eine junge Elfe. Sie war ein wenig kleiner als die übrigen Frauen im Saal. Dunkelblondes Haar fiel in Wellen auf ihre nackten, milchweißen Schultern. Ihre Lippen hatten die Farbe von Waldbeeren, und ihre Augen waren vom selben hellen Braun wie das Fell eines Rehkitzes. Sie trug ein blaues Kleid, durchwirkt mit Silberfäden. Es war diese Frau, vor der sich Meister Alvias verbeugte. »Emerelle, Herrin, dies ist der Menschensohn Mandred, der dein Reich betrat, ohne gerufen zu sein.«
Die Königin musterte Mandred eindringlich. Es war dem Krieger unmöglich, an ihrem Gesicht abzulesen, was sie wohl dachte. Es blieb reglos, wie aus Stein geschnitten. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Die Musik war verklungen; es war still jetzt, bis auf das Rauschen des Wassers.
»Was ist dein Begehr, Mandred Menschensohn?«, erklang schließlich die helle Stimme der Königin.
Mandreds Mund war trocken. Lange hatte er sich auf dem Ritt überlegt, was er sagen sollte, wenn er der Elfenkönigin gegenüberstünde. Doch nun war sein Kopf leer. Da war nichts, außer Sorge um die Seinen und Zorn über den Tod seiner Gefährten. »Ich fordere Wergeid für die Morde, die einer deiner Untertanen begangen hat, Herrin. So ist es Gesetz im Fjordland!«, stieß er hervor.
Das Rauschen des Wassers wurde lauter. Mandred vernahm hinter sich empörtes Raunen.
»Welcher meiner Untertanen soll diese Bluttaten begangen haben?«, fragte Emerelle mit ruhiger Stimme.
»Ich kenne seinen Namen nicht. Es ist ein Ungeheuer, halb Mensch, halb Eber. Ich habe viele Geschöpfe wie ihn auf dem Weg zu deiner Burg gesehen.«
Eine steile Falte erschien zwischen den Brauen der Königin. »Ich kenne kein Wesen, wie du es benennst, Mandred Menschensohn.«
Mandred spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. So eine freche Lüge! »Ein Mannpferd war dein Bote, und im Hof der Burg hat ein Mannbock die Pferde fortgeführt. Woher sonst sollte ein Manneber kommen, wenn nicht aus deinem Reich, Königin! Ich fordere …«
Das Wasser schoss nun mit lautem Dröhnen die Wände hinab.
»Du wagst es, unsere Königin eine Lügnerin zu nennen!«, empörte sich Alvias. Eine Schar von Elfen umringte Mandred.
Der Krieger ballte die Fäuste. »Ich weiß, was ich gesehen habe!«
»Achtet das Gastrecht!« Die Königin hatte die Stimme kaum erhoben, und doch wurde sie von jedermann gehört. »Ich habe den Menschensohn in diese Halle geladen. Wer ihn anrührt, rührt auch an meiner Ehre! Und du, Mandred, zügele deine Zunge. Ich sage dir: Ein Geschöpf, wie du es beschrieben hast, gibt es nicht in Albenmark. Berichte uns, was dieser Manneber getan hat. Ich weiß sehr wohl darum, dass ihr Menschen die stehenden Steine meidet. Wovor bist du hierher geflohen?«
Mandred erzählte von der vergeblichen Jagd und der Kraft des Mannebers. Als er endete, hatte sich die Falte zwischen Emerelles Augenbrauen noch vertieft. »Ich bedauere den Tod deiner Gefährten, Mandred. Mögen sie in den Hallen deiner Götter freundliche Aufnahme finden.«
Der Krieger sah die Herrin verwundert an. Er wartete darauf, dass sie fortfuhr. Ihm ein Angebot machte. Das konnte doch nicht alles gewesen sein! Das Schweigen zog sich in die Länge. Mandred dachte an Freya. Jede Stunde, die er hier verlor, brachte sie in größere Gefahr, falls der Manneber nicht schon längst über Firnstayn hergefallen war.
Betreten senkte er den Blick. Was zählte sein Stolz, wenn er mit dem Blut der Seinen erkauft war! »Herrin Emerelle, ich … bitte dich um Hilfe bei der Jagd auf das Ungeheuer. Ich … Ich bitte um Verzeihung, wenn ich dich beleidigt haben sollte. Ich bin nur ein einfacher Mann. Mit Worten zu kämpfen ist nicht meine Sache. Ich trage mein Herz auf der Zunge.«
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