Richard setzte sich wieder in Bewegung. »Kommt endlich, wir müssen hinaus zum Feldlager und in Erfahrung bringen, wer diese verwundete Frau ist.«
Nun endgültig verwirrt, schloss Nicci sich ihm an.
Das Feldlager überraschte Nicci. Sie war so daran gewöhnt, sich unter den Truppen Jagangs zu bewegen, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, diese Soldaten könnten anders sein. Eigentlich war es nur logisch, nur hatte sie einfach nie darüber nachgedacht.
Sogar jetzt, im Dunkeln, verströmten die unzähligen Lagerfeuer eine gewisse Helligkeit, sodass sie erwartete, sofort im Mittelpunkt eines völlig überzogenen, krankhaften Interesses zu stehen und von den Soldaten, in dem Versuch, sie zu schockieren, zu demütigen oder ihr Angst zu machen, mit den unflätigsten Ausdrücken überhäuft zu werden, die ihnen in den Sinn kamen. Im Lager der Imperialen Ordnung war es gang und gäbe, dass man sie mit spöttischem Gejohle und Gebrüll, mit obszönen Gesten und schallendem Gelächter begrüßte, sobald sie sich unter ihnen bewegte.
Gewiss, auch diese Männer drehten die Köpfe in ihre Richtung. Nicci vermutete, dass sie nur selten das Vergnügen hatten, eine Frau wie sie in ihr Lager reiten zu sehen. Aber bei den Blicken blieb es. Ein flüchtiges Drehen des Kopfes, ein staunendes Gesicht, da und dort ein Lächeln, begleitet von einem kurzen Nicken zur Begrüßung, das war auch schon das Äußerste, was man ihr entgegenbrachte. Vielleicht lag es daran, dass sie an der Seite des Lord Rahl und einer Mord-Sith in rotem Lederanzug ritt, doch eigentlich mochte Nicci das nicht glauben. Diese Männer waren einfach anders; von ihnen wurde erwartet, dass sie sich respektvoll benahmen. Wo immer die Soldaten Richard erblickten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als voller Stolz aufzuspringen oder eine Weile neben seinem Pferd herzutraben und mit einem Faustschlag auf ihr Herz zu salutieren. Sie schienen geradezu überwältigt vor Freude, ihn in ihr Feldlager reiten zu sehen, ihren Lord Rahl endlich wieder in ihren Reihen begrüßen zu können.
Auch das Lager selbst machte einen aufgeräumteren Eindruck, wobei diesem Umstand gewiss die Trockenheit zugute kam. Es gab kaum etwas Scheußlicheres als ein Armeelager bei feuchter Witterung. In diesem Lager waren die Tiere auf jene Bereiche beschränkt, in denen sie nicht unabsichtlich Anlass zu Verdruss geben konnten, und auch die Wagen standen abseits der zentralen Lagerstraße. Ja, es gab tatsächlich ganz bewusst und planvoll angelegte Wege durch das Lager.
Obwohl die Männer vom langen Marsch erschöpft aussahen, waren ihre Zelte in geordneter Manier errichtet worden – und nicht auf jene beliebige, jeden sich selbst überlassende Art, wie das bei der Imperialen Ordnung üblich war. Die Lagerfeuer prasselten bescheiden und erfüllten einfach ihren Zweck – im Gegensatz zu den riesigen Freudenfeuern, die den Mittelpunkt betrunkener Gelage aus tanzenden, singenden und krakeelenden Männern bildeten. Der andere entscheidende Unterschied bestand darin, dass nirgendwo Folterzelte aufgestellt waren. Bei der Imperialen Ordnung gab es stets einen operativen, den Folterungen vorbehaltenen Bereich, dem ein steter Strom von Menschen zugeführt wurde, um dort verhört zu werden, während ein nicht minder großer Strom von Leichen diesen Bereich wieder verließ. Das niemals abreißende Gebrüll der Opfer trug dazu bei, dass es im Lager überaus geräuschvoll zuging. Und dies war der zweite große Unterschied: Es herrschte relative Ruhe. Die Soldaten beendeten ihr abendliches Mahl und begaben sich zur Nachtruhe. Es war ein Augenblick friedlicher Stille, wie es ihn im Lager der Imperialen Ordnung zu keiner Zeit gab.
»Dort drüben.« Mit erhobenem Arm wies einer der Männer aus ihrer Eskorte auf die im Dunkeln liegenden Kommandozelte. Aus einem davon trat soeben ein groß gewachsener blonder Offizier, offenbar nachdem er Pferde in der Nähe gehört hatte. Zweifellos hatte man ihn bereits davon unterrichtet, dass der Lord Rahl sich auf dem Weg zu ihm befand.
Richard schwang sich aus dem Sattel und konnte mit knapper Not verhindern, dass der Mann sich auf die Knie fallen ließ, um eine Andacht zu sprechen.
»Es tut gut, Euch wieder zu sehen, General Meiffert, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
Er verneigte sich kurz. »Ganz, wie Ihr wünscht, Lord Rahl.«
Nicci war nicht entgangen, dass die blauen Augen des Generals kurz zu Cara hinüberzuckten, als diese neben Richard trat.
Er strich sich das blonde Haar aus der Stirn. »Herrin Cara.«
»General.«
Unwirsch sagte Richard: »Das Leben ist zu kurz, um so zu tun, als ob Ihr zwei nichts füreinander empfindet. Ihr solltet Euch stattdessen lieber klar machen, dass jeder gemeinsame Augenblick, der Euch vergönnt ist, kostbar ist und dass nichts daran verkehrt ist, jemandem seine Zuneigung zu zeigen. Das ist schließlich die Art von Freiheit, für die wir kämpfen. Oder irre ich mich da?«
»Gewiss doch, Lord Rahl«, erwiderte General Meiffert leicht verdutzt. »Wir sind wegen eines Eurer Berichte hier, in dem von einer Frau mit Schwertverletzung die Rede ist. Ist sie noch am Leben?«
Der junge General nickte. »Ich habe seit ungefähr einer Stunde nicht mehr nach ihr gesehen, aber davor lebte sie noch. Meine Feldärzte kümmern sich um sie, es gibt jedoch Verletzungen, die weit außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen, und diese gehört dazu. Sie wurde von einem Schwert in den Unterleib getroffen – ein langsamer und überaus schmerzhafter Tod. Sie hat bereits länger überlebt, als ich erwartet habe.«
»Wisst Ihr, wie sie heißt?«, fragte Nicci.
»Im Wachzustand wollte sie uns ihren Namen nicht verraten, aber dann fiel sie in ein Fieberkoma, und wir befragten sie erneut. Sie sagte, ihr Name sei Tovi.«
Richard warf einen Seitenblick auf Nicci, ehe er nachhakte. »Wie sieht sie aus?«
»Eine ältere, etwas korpulente Frau.«
»Klingt, als könnte sie es sein«, verkündete Richard und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Wir müssen sie sehen. Auf der Stelle.«
Der General nickte. »Dann folgt mir, bitte.«
»Augenblick.«
Richard wandte sich herum zu Nicci. »Was ist?«
»Wenn du dort hineingehst, wird sie dir überhaupt nichts sagen. Tovi hat mich seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Als sie zuletzt von mir hörte, war ich noch eine Sklavin Jagangs, während sie gerade entkommen war. Möglicherweise schaffe ich es, den richtigen Ton anzuschlagen, damit sie mit der Wahrheit herausrückt.«
Richard, das war nicht zu übersehen, konnte es kaum erwarten, endlich eine jener Frauen in die Finger zu bekommen, die nach seiner festen Überzeugung für die Entführung der Frau verantwortlich waren, die er liebte. Sie dagegen wusste noch immer nicht recht, was sie glauben sollte. Vielleicht lag es ja einfach nur an ihren Gefühlen für ihn, dass sie noch immer glaubte, er fantasiere sich diese andere Frau nur zusammen. Sie trat näher zu ihm hin, um vertraulich mit ihm sprechen zu können. »Überlass es mir, Richard. Wenn du hineingehst, habe ich keine Chance mehr, irgendetwas zu erreichen. Ich bin sicher, ich werde sie zum Reden bringen, aber sobald sie dich zu Gesicht bekommt, ist alles vorbei.«
»Und wie, bitte, wollt Ihr es schaffen, sie zum Reden zu bewegen?«
»Hör zu, willst du wissen, was mit deiner Kahlan passiert ist, oder möchtest du darüber streiten, wie ich diese Information zu beschaffen gedenke?«
Einen Moment lang presste er die Lippen aufeinander. »Von mir aus könnt Ihr diesem Weibsstück Zoll für Zoll die Eingeweide herausreißen, wenn Ihr sie nur zum Sprechen bewegt.«
Im Vorübergehen legte sie ihm kurz die Hand auf die Schulter, dann folgte sie dem General. Sie hatten sich erst wenige Meter entfernt, da schloss sie zu ihm auf und ging auf dem Weg durch das nahezu dunkle Lager neben ihm. Sofort wurde ihr klar, warum Cara den Mann attraktiv fand. Er besaß eines jener eindrucksvollen Gesichter, die zu Unaufrichtigkeiten einfach nicht fähig schienen.
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