»Feuerkette«, hauchte Nicci tonlos. »Aber nach dem kurzen Ausschnitt, den ich gesehen habe, schien der Text die Macht zu besitzen, die gesamte Welt des Lebens zu vernichten.«
»Was kümmert das die Schwestern?«, fragte Richard verbittert. »Sie haben die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht und sind offenbar fest entschlossen, dem Hüter des Totenreichs zuliebe allem Leben ein Ende zu bereiten. Gerade Ihr solltet das eigentlich besser verstehen als jeder andere.«
Nicci fasste sich mit der Hand an die Stirn. »Bei den Gütigen Seelen, ich glaube fast, du könntest Recht haben.«
Ihre Fingerspitzen waren taub geworden, und die Angst durchfuhr sie mit einem mächtigen Kribbeln. »Nach den wenigen Zeilen, die ich in diesem Buch gelesen habe, scheint diese Feuerkette mehr oder weniger dem zu entsprechen, was ich auf Geheiß von Zedd, Ann und Nathan bei dir versuchen sollte – nämlich, dich unter Zuhilfenahme von subtraktiver Magie dazu zu bringen, dass du diese Kahlan vergisst. Wenn es stimmt, was du sagst, dann könnten die Schwestern genau das getan haben – sie haben dafür gesorgt, dass sie aus der Erinnerung aller gelöscht wurde.«
Nicci schaute hoch in seine grauen Augen, Augen, in denen sie sich hätte verlieren können. Sie spürte, wie ihr Tränen der Angst über die Wangen liefen.
»Ich habe es ausprobiert, Richard.« »Was sagt Ihr da?«
»Ich habe ausprobiert, was ich mit dir machen sollte – bei einem von Jagangs Leuten, unten in Caska. Ich habe versucht, ihn zu zwingen, Jagang zu vergessen. Das Ganze endete tödlich. Angenommen, genau das ist es, was diese Feuerkette bei allen Menschen bewirkt?« Richard stieß einen ärgerlichen Seufzer aus. »Kommt mit.« Mit entschlossenen Schritten verließ er den Garten und ging hinüber zu dem General und seinen Gardisten, die draußen auf dem Flur aus poliertem Granit in einer dichten Traube um den Eingang des Gartens des Lebens warteten.
»Lord Rahl«, empfing ihn der General, »ich sehe die Kästchen nicht mehr.«
»Richtig. Sie wurden gestohlen.«
Den Soldaten ringsum klappte vor verblüfftem Staunen der Unterkiefer herunter. General Trimacks Augen weiteten sich. »Gestohlen ... aber wer könnte das getan haben? Und wie?«
Richard fuchtelte ihm mit der kleine Statuette vor dem Gesicht herum. »Meine Gemahlin.«
General Trimack sah aus, als wüsste er nicht, ob er einen Wutanfall bekommen oder sich auf der Stelle selbst entleiben sollte. Stattdessen rieb er sich immer wieder mit der Hand über den Mund, während er sich das Gehörte durch den Kopf gehen ließ, offenbar in dem Versuch, es mit seinen anderen Informationen zu einem Bild zu fügen. Schließlich sah er hoch zu Richard, im Blick grimmige Entschlossenheit. »Ich erhalte ständig irgendwelche Berichte, Lord Rahl. Und ich bestehe darauf, sie alle vorgelegt zu bekommen – man kann nie wissen, welches winzige Detail sich später vielleicht noch als sehr hilfreich erweisen kann. Auch General Meiffert schickt mir Berichte, und da er sich derzeit ganz in der Nähe befindet, erreichen sie mich innerhalb weniger Stunden. Die Truppen werden binnen kurzem nach Süden abmarschieren, wodurch sich dieser Vorgang wieder etwas verzögern wird, aber im Augenblick erhalte ich sie frisch.«
»Ich höre.«
»Nun ja, ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist, aber in dem letzten Bericht, der gerade erst heute früh eingegangen ist, hieß es, man sei zufällig auf eine Frau gestoßen, eine alte Frau, die von einem Schwert verwundet wurde. Dem Bericht nach ist ihr Zustand überaus Besorgnis erregend. Ich weiß nicht, warum er mir über so eine Bagatelle einen Bericht schickt, andererseits ist General Meiffert ein ziemlich kluger Bursche, daher muss ich wohl annehmen, dass an dieser Geschichte etwas verdammt merkwürdig sein muss, wenn er mich davon unterrichtet.«
»Wie weit ist es bis zu ihm?«, fragte Richard. »Bis zu den Truppen, meine ich. Wie weit ist es bis dorthin?«
Der General zuckte mit den Achseln. »Zu Pferd? Bei halbwegs forschem Tempo nicht mehr als ein, zwei Stunden.«
»Dann besorgt mir ein paar Pferde. Jetzt gleich.«
Der General salutierte mit einem Faustschlag vor sein Herz und winkte gleichzeitig ein paar seiner Männer zu sich. »Ihr werdet vorlaufen und ein paar Pferde für Lord Rahl bereitstellen.« Er sah zu Richard, dann zu Cara und Nicci. »Drei an der Zahl?«
»Ja, drei«, bestätigte Richard.
»Sowie eine Eskorte, zusammengestellt aus der Ersten Rotte. Sie soll ihm den Weg zeigen und als Begleitschutz dienen.«
Die beiden Soldaten nickten und hasteten in vollem Lauf zur Treppe. »Mir fehlen die Worte, Lord Rahl. Ich werde selbstverständlich meinen Rücktritt...«
»Redet keinen Unsinn. Es gibt nichts, womit Ihr das hättet verhindern können, es war ein durch Magie bewirktes Täuschungsmanöver. Die Schuld liegt bei mir, weil ich es zugelassen habe. Ich bin der Lord Rahl, ich sollte die Magie gegen die Magie sein.«
Nicci konnte nur einen Gedanken denken: dass er es nach besten Kräften zu sein versucht hatte, aber niemand ihm hatte glauben wollen.
Ohne sich auch nur eine kurze Verschnaufpause zu gönnen, eilten Richard, Cara und Nicci in Begleitung eines Trupps der Palastwache durch die prachtvollen, großzügigen Flure von Richards angestammtem Heim. Menschen sprangen hektisch zur Seite, sobald die Keilformation der Gardisten in den Fluren nahte. Unmittelbar dahinter folgte Cara, die noch vor Richard ging, während Nicci den Platz an seiner Seite eingenommen hatte. In einem der schmaleren Flure mit deutlich weniger Passanten drosselte Richard das Tempo, bis er schließlich ganz stehen blieb. Die Gardisten machten in ausreichend großem Abstand Halt, um jederzeit zur Stelle zu sein, ihm gleichzeitig aber eine gewisse Ungestörtheit zu lassen. Während alles wartete, warf er einen Blick in einen Seitenkorridor, was Cara veranlasste, ein verlegenes Gesicht zu ziehen. »Die Quartiere der Mord-Sith«, beantwortete sie die unausgesprochene Frage in Niccis Augen. »Ein Stück diesen Flur entlang befand sich Dennas Zimmer.« Richard wies in die entgegengesetzte Richtung. »Und Eures war dort hinunter, Cara.«
Cara kniff die Augen zusammen. »Woher wisst Ihr das?«
Einen Moment lang sah er ihr mit unentzifferbarer Miene in die Augen. »Ich erinnere mich, Cara, weil ich schon einmal dort gewesen bin.«
Cara wurde so tiefrot wie ihr Lederanzug. »Ihr erinnert Euch?« Richard nickte. »Dann wisst Ihr es also?«, sagte sie leise, während sich ein Anflug von Panik in ihre Augen schlich. »Aber Cara«, antwortete er milde, »natürlich weiß ich es.«
Tränen traten ihr in die Augen. »Aber woher?«
Er deutete auf ihr rechtes Handgelenk. »Es hat geschmerzt, als ich Euren Strafer berührte. Aber ein Strafer schmerzt nur dann, wenn derjenige, der ihn berührt, damit ausgebildet werden soll oder aber wenn die Mord-Sith dies wünscht.«
Sie schloss die Augen. »Lord Rahl... es tut mir so Leid.«
»Das ist lange her. Damals wart Ihr noch ein anderer Mensch, und ich war ein Feind des damaligen Lord Rahl. Die Zeiten ändern sich, Cara.«
»Seid Ihr sicher, dass ich mich genug verändert habe?«
»Damals haben andere Euch zu dem gemacht, was Ihr wart. Was danach aus Euch wurde, habt Ihr Euch selbst zu verdanken.« Ein Lächeln ging über seine Lippen. »Wisst Ihr noch, wie ich Euch geheilt habe, nachdem die Bestie Euch verletzt hatte?«
»Wie könnte ich das je vergessen?«
»Dann wisst Ihr ja, wie mir jetzt zumute ist.«
Das rief ein Lächeln auf ihre Lippen.
Richard furchte nachdenklich die Stirn. »Berühren ...« Eine plötzliche Erkenntnis ließ seine Augen aufleuchten. »Das Schwert.«
»Was?«, fragte Nicci.
»Das Schwert der Wahrheit. Ich glaube, an jenem Morgen haben die Schwestern, während ich schlief, einen Zauber bewirkt, der mich in eine Art Tiefschlaf versetzte, damit sie, wie schon gesagt, Kahlan ungestört entführen konnten. Allerdings lag meine Hand auf meinem Schwert, ich hatte Kontakt zum Schwert der Wahrheit, als sie sie entführten und dafür sorgten, dass sie aus der Erinnerung aller gelöscht wurde. Mit anderen Worten, das Schwert hat mich vor dieser Magie beschützt, weswegen ich mich auch an sie erinnere. Demnach muss das Schwert der Wahrheit ein Gegenmittel gegen ihren Zauber sein.«
Читать дальше