Klawdi seufzte. Er zog die nächste Zigarette aus der Schachtel, besann sich dann aber anders und legte sie beiseite. Er stützte das Kinn auf die ineinander verschränkten Finger. Gut, er konnte warten.
»Vor einer halben Stunde wurde meine Rede an die Nation aufgezeichnet«, setzte der Herzog stockend an. Etwas in seiner Stimme ließ Klawdi zusammenfahren. »Eine trostvolle Ansprache, mit huldvollem Lächeln und in sanftem Ton. Ich kann von Glück sagen, dass ich dergleichen von klein auf gelernt habe. Ich habe so getan, als ob nichts im Schwange sei. Mir ist das höchst überzeugend gelungen, da werden mir viele glauben.« Er musste sich überwinden, um den Blick vom Boden zu lösen. Seine hängenden Schultern sackten noch weiter ab. »Klawdi … uns verbindet keine Freundschaft. Das, was ich jetzt sage … ist nicht für die Presse bestimmt. Das ist nur für Ihre Ohren. Ich fühle mich wie der Kapitän auf einem Schiff, das, begleitet von Orchestermusik, sinkt, während ich sowohl der Mannschaft als auch den Passagieren versichere, alles laufe nach Plan und wir hätten die Situation voll im Griff.« Er seufzte. »Bereits … dreimal hat man mich angerufen. Die Staatsoberhäupter unserer Nachbarländer, was kein Wunder ist. Sie stehen vor denselben Problemen wie wir.«
Jetzt war es an Klawdi zu schweigen.
Das Geheimnis, das seine Durchlaucht ins Büro des Großinquisitors getragen hatte, schaute sich um und entdeckte allenthalben nur Furcht — was insofern bemerkenswert war, als der Träger dieses Geheimnisses eigentlich nicht als Feigling galt.
»Ich habe Unterlagen, Klawdi«, fuhr der Herzog bedrückt fort, »einen ganzen Stapel Anschuldigungen gegen Sie. Meldungen verschiedener Kuratoren, in denen Sie als Querkopf bezeichnet werden, der die Situation mit den Hexen außer Kontrolle geraten lässt. Unter ihren Geliebten soll es eine Abenteurerin geben, eine Hexe, die unzweifelhaft Einfluss auf Sie hat. Schauen Sie mich nicht so an, ich habe nicht die geringste Absicht, Sie in irgendeiner Form unter Druck zu setzen. Ein Teil meiner Quellen beteuert, diese Hexe nehme eine besondere Stellung unter all Ihren Frauen ein … Sie würden sie maßlos lieben und beschützen, während Sie gegen ihre Artgenossinnen drakonische Maßnahmen ergriffen. Lassen Sie mich ausreden. Einige meiner Quellen vertreten ferner die Ansicht, Sie würden ein doppeltes Spiel spielen, Klawdi, und hätten die Mutterhexe längst identifiziert. Diese soll in Ihrer Wohnung wohnen. Sie behalten sie, die noch nicht initiiert ist, in der Hinterhand, wie einen Trumpf im Ärmel. Geben Sie zu, Klawdi, dass ich Ihnen gegenüber offen bin, denn falls dem so wäre …«
Der Herzog schwieg bedeutsam. Klawdi hielt seinem Blick nicht stand.
So sah die Sache also aus. Es fiel ihm immer schwerer, die Maske des Desinteresses beizubehalten. Er wollte naiv mit den Augen klappern, wie eine Eule in einem Schaufenster für Spielwaren. Was für einen frischen Blick die Quellen des Herzogs doch auf die Welt hatten!
Zögernd versuchte er, die Person Klawdi Starsh, der Ywha Lys am Arm führte, mit anderen Augen zu sehen. In der Tat ein seltsames Bild, ein Widerspruch … Wer es darauf anlegte, konnte das für Liebe halten, ja, sogar für einen Trumpf im Ärmel.
»Mit anderen Worten«, bemerkte er bedächtig, »Sie bezichtigen mich des Verrats? Nicht mehr und nicht weniger?«
Etwas in seiner Stimme zitterte. Etwas Aufrichtiges schwang in ihr mit, dem sich selbst der Herzog nicht zu entziehen vermochte; nervös blinkerte er mit den tief liegenden Augen.
»Ich bitte Sie, Klawdi, natürlich nicht. Ich hätte Ihnen all das auch nicht sagen müssen. Aber ich habe Sie davon in Kenntnis gesetzt, um Ihnen einmal mehr zu zeigen, wie sehr ich Ihnen als Leiter einer unserer wichtigsten Behörden vertraue.«
»Die Inquisition ist keine Ihrer Behörden.« Klawdi sah an die Decke. »Die Inquisition war in allen Zeiten etwas Eigenständiges, bildete ein selbstständiges Imperium. Geben Sie ruhig zu, Eure Durchlaucht, dass Sie zutiefst betrübt waren, als ausgerechnet ich diesen Posten bekam.«
Der Herzog stierte auf die Zigarette, die in seinen Fingern heruntergebrannt war. Er stierte auf den vor ihm stehenden Aschenbecher und seufzte hilflos, als wisse er nicht, wie er die beiden Gegenstände miteinander in Verbindung bringen sollte.
»Verehrter Herr Starsh, ob ich betrübt oder erfreut gewesen bin, dürfte doch wohl jetzt kaum von Bedeutung sein, meinen Sie nicht auch?«
»Sind Sie sich dessen sicher?«, hakte Klawdi nach.
»Sie denken da an gewisse Kungeleien«, presste der Herzog hervor. »Ja, es gab eine Zeit, da war mir daran gelegen, Ihnen … gewissermaßen … den Stuhl vor die Tür zu setzen. Aber nicht jetzt, da … kurz und gut, nicht jetzt.«
Es folgte eine lange Pause. Die beiden, die sich an unterschiedlichen Seiten des langen Tisches gegenübersaßen, starrten einander unverwandt an.
Als Erster senkte Klawdi den Blick.
»Gut. Wenn Sie offen zu mir waren, so will ich es umgekehrt auch sein, Eure Durchlaucht. Diese Frau, der Ihre Quellen so viel Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, ist eine Hexe mit außergewöhnlicher Empathie. Ich brauche sie bei der Arbeit. Sie war die Verlobte vom Sohn eines Freundes von mir, weshalb ich mich verpflichtet fühlte … ihr ein wenig zu helfen. Das ist alles. Was die Mutterhexe angeht, da wird Ihnen, Eure Durchlaucht, jeder Fachmann bestätigen, dass vor dem Vollzug des Initiationsrituals das zukünftige Wesen einer Hexe nicht zu bestimmen ist, mehr noch: Selbst in den ersten Stunden und Tagen nach der Initiation befindet sich dieses Wesen in einem Schwebezustand. Eine Arbeitshexe kann da beispielsweise noch ganz einfach zur Kampfhexe heranwachsen. Ywha kann trotz ihrer enormen Empathie eine durch und durch gewöhnliche Hexe werden, schwach, mit einem Brunnen von geringem Wert. Deshalb versuche ich, ihre Initiation um jeden Fall zu verhindern. Davon abgesehen haben weder Gefühle noch die Liebe — sofern diese nicht der Phantasie Ihrer Quellen entspränge, sondern tatsächlich existierte –, geschweige denn die leidenschaftliche Liebe eines älteren Mannes zu einer langbeinigen jungen Frau jemals auch nur den geringsten Einfluss auf mein Verhalten gehabt und werden es auch in Zukunft nicht haben. Dessen kann ich Sie ruhigen Gewissens versichern. Genügt das, oder haben Sie noch Fragen?«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte der Herzog stockend. Nach einer Pause wiederholte er: »Ich danke Ihnen. Ihre Geliebten sind Ihre persönliche Angelegenheit, Klawdi. Ihre Arbeitsmethoden ebenfalls. Für Ihre Offenheit … bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet. Können Sie mir jetzt in knappen Worten umreißen, was hier eigentlich vor sich geht?«
Klawdi seufzte.
Gegen die Lehne seines Stuhls geschmiegt, den Nacken bequem auf das Lederkissen gebettet, berichtete er; während er fünfzehn Minuten am Stück redete, kehrte in die Augen des Herzogs etwas vom typischen Glanz und der Entschlossenheit zurück. Klawdi hatte dagegen den Eindruck, zwei Stahlschrauben bohrten sich ihm in den Schädel. Schließlich verstummte er und holte tief Luft.
»Ich danke Ihnen für diese Lektion in alternativer Geschichte«, murmelte der Herzog tonlos. »Fünf aufeinander folgende Jahre ohne Ernte, dafür Pest und Hunger — stimmt, dergleichen wird normalerweise den Hexen zugeschrieben. Aber stehen Ihrer Ansicht nach hinter jenem Aufstand, zu dem es vor vierhundert Jahren gekommen ist, hinter Hochverrat und den blutigen Auseinandersetzungen unter den Erben des Herzogsthrons, auch die Hexen?«
»Alle Sünden der Menschen werden den Hexen zugeschrieben«, erklärte Klawdi mit geschlossenen Augen. »Für mich sind die Hexen jedoch wie Verwandte, Eure Durchlaucht. Nein, verziehen Sie nicht vorschnell das Gesicht. Vermutlich hasst sie kein Mensch so sehr wie ich. Aber sie sind mir nicht fremd. Das ist mein Beruf. Deshalb neige ich eher dazu, die Hexen zu verteidigen und stattdessen die überheblichen Lehnsfürsten anzuklagen, denn Letztere gehen über Leichen, um ihre Gier zu befriedigen, während Hexen … bloß ihrer Natur folgen.«
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