Als er keine Antwort hörte, öffnete er die Augen wieder. Rhapsody starrte ihn an und zitterte heftig.
»Aber er wird nicht wirklich tot sein!«
»Nein.«
»Ich werde ihn bei lebendigem Leibe verbrennen. Ich werde ihn töten.«
»Aria ...«
Doch Rhapsody rannte aus der Laube, und wenige Sekunden später hörte Ashe ein Würgen im Gebüsch, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen. Vor Wut schlug Ashe mit der Faust gegen eine der Säulen, doch er bemühte sich, Herr über seinen Zorn und den sich aufbäumenden Drachen zu werden, denn er wusste, dass er für sie Ruhe bewahren musste und dass das wichtiger war als die Erleichterung, die er sich verschaffte, indem er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Rastlos wanderte er in der Laube auf und ab, wartete, dass sie endlich zurückkam, spürte ihre Angst, hörte ihr Weinen, widerstand aber dem Drang, sie zu trösten, denn das hätte alles nur schlimmer gemacht.
Endlich verstummte das Schluchzen, und einen Augenblick später näherte sich Rhapsody wieder der Laube. Ihr Gesicht war rot, aber ruhig, ihr Kleid zerknautscht, aber wieder einigermaßen in Ordnung. Sie stellte sich seinem Blick, ohne Vorwurf, ohne Mitgefühl; er konnte nicht beurteilen, ob sie überhaupt etwas fühlte.
»Darauf hat Manwyn also angespielt«, sagte sie. »Das war die Information, die dich so aufgeregt und dazu bewogen hat, mir die Erinnerung zu nehmen. Du hattest Angst, dass ich, weil ich ihre Worte nur zur Hälfte verstanden habe, vielleicht aus Versehen etwas ausplaudern und den Plan zu früh oder an die falschen Leute verraten könnte. Das willst du nun aus meinem Gedächtnis löschen die List, die ihr plant, und das, was Manwyn darüber gesagt hat.«
Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. »Ja.«
»Und die Erinnerung an deinen Antrag? Warum darf ich nicht daran denken, dass du mich heiraten möchtest und dass ich zugestimmt habe?«
»Weil du dich ganz in der Nähe eines der wichtigsten Sklaven des F’dor aufhalten wirst. Im Augenblick brauchen sie dich, um Lark zu legitimieren. Aber wenn sie auf die Idee kämen, sie könnten durch dich an mich herankommen, wäre ihnen das wahrscheinlich noch wichtiger. Sollten sie von deinem Versprechen erfahren und herausfinden, dass wir uns verlobt haben, dann würdest du in weit größerer Gefahr schweben.« Sie nickte. »Kannst du mir verzeihen?«
Rhapsodys Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich bin nicht sicher, ob es etwas gibt, was ich dir verzeihen müsste, Ashe.«
»Ich könnte mich weigern. Ich könnte den Plan verhindern.«
»Wie denn? Indem du dich um meinetwillen deinem Vater gegenüber unloyal verhältst? Nein danke. Das möchte ich nicht auf mich laden. Es ist Llaurons Plan, Ashe du bist dabei genauso eine Marionette wie ich.«
»Allerdings eine, die Bescheid weiß. Das ist der Unterschied. Also, Rhapsody, wie entscheidest du dich? Willst du dein Einverständnis zurückziehen und die Erinnerung lieber behalten? Falls es so ist, hast du meine volle Unterstützung.«
»Nein«, antwortete sie kurz. »Das würde bedeuten, dass ich mein Wort zurücknehme, auch wenn du mir das Recht dazu gibst. Und außerdem was würdest du dann tun? Es ist zu spät, Ashe, viel zu spät. Wir können nur unsere Rollen spielen und versprechen, dass wir, wenn alles vorbei ist, unser Leben ehrlich leben, ohne diese Art von Täuschung und Betrug.«
Er trat zu ihr und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Immer wieder führst du mir vor Augen, warum ich nie daran zweifeln werde, dass ich dich liebe.«
Doch Rhapsody entzog sich ihm und wandte ihm den Rücken zu. »Über Zweifel möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lieber nicht reden, Ashe. Eigentlich möchte ich sogar gleich noch einen Zweifel ausräumen.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. »Und zwar?«
Sie lehnte sich ans Geländer und starrte über den See. »Man könnte sich fragen, ob du mir, wenn Manwyn sich nicht verplappert hätte, von selbst diese Information gegeben hättest oder ob du es hättest geschehen lassen, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen, da du ja wusstest, dass es ohnehin passieren würde. Weil du es nicht hättest ändern können. Antworte mir nicht, Ashe. Da ich, wie Achmed sagt, die Königin der Selbsttäuschung bin, möchte ich glauben, dass du es mir gesagt hättest. Und wenn ich mich irre, will ich es nicht wissen.«
Ashe legte das Kinn auf ihre Schulter und schlang die Arme um ihre Taille. »Eines Tages trägt dieser wunderschöne Kopf vielleicht viele Kronen, Rhapsody, aber auf alle Fälle bist du jetzt schon die Königin meines Herzens. Das großzügige, offenherzige Vertrauen, mit dem du der Welt entgegentrittst, ist keineswegs Selbsttäuschung. Du hast dich entschieden, Achmed zu vertrauen, und obwohl er ein abstoßendes Scheusal ist, ist er dir doch gleichzeitig ein großartiger Freund. Und du hast beschlossen, mir zu vertrauen; ohne dein Vertrauen wäre ich vermutlich tot und für alle Ewigkeit in den Klauen des Dämons. Dein Herz ist weiser, als du glaubst.«
»Kann ich dann davon ausgehen, dass du mir meine letzte unangenehme, aber leider unumgängliche Frage verzeihen wirst, auf die mein Herz eine Antwort braucht?«
»Natürlich.« Er lächelte, aber in seinen Augen war ein nervöses Funkeln.
»Bist du absolut sicher, dass Llauron nicht selbst der Wirt des F’dor ist?«
Ashe vergrub die Lippen in ihrem goldenen Haar und seufzte. »Wenn es um den F’dor geht, kann man niemals vollkommen sicher sein, Aria. Aber ich kann es nicht glauben. Llauron ist sehr mächtig, und der F’dor kann nur einen schwächeren Wirt in Besitz nehmen. Außerdem hasst Llauron den F’dor mit jeder Faser seines Wesens und verfolgt ihn schon seit langer Zeit. Er wird alles tun, was nötig ist alles , um ihn zu finden und zu zerstören, selbst wenn er dich damit in Gefahr bringt. Vielleicht glaubst du das nicht, aber Llauron hat dich sehr gern.« Er lachte leise, und sie verdrehte die Augen. »Dennoch spielt das keine Rolle, wie ich leider sagen muss. Mich hat er auch sehr gern, doch das hat ihn nie davor zurückgehalten, mich nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Im Lauf der Zeit ist mir klar geworden, dass deine Freundschaft mit Achmed und Grunthor wahrscheinlich das Einzige war, was dich davor bewahrt hat, dass Llauron dich schon vor langer Zeit zur Vollstreckerin seiner Pläne auserkor. Als du ihm zum ersten Mal begegnetest, waren Achmed und Grunthor bei dir, aber dann trennten sie sich eine Weile von dir, und er spürte, dass du frei warst. Damals fing er an, dich in der Lehre der Filiden zu unterweisen. Aber dann kamen die beiden zurück und haben dich wieder mitgenommen. Das hat er nie wirklich überwunden, obwohl er gute Miene zum bösen Spiel macht. Ich denke, du kannst dich darauf verlassen, dass er nichts tun wird, was dir schaden könnte, aber er wird dich auf jede erdenkliche Weise für seine Zwecke einzusetzen versuchen.«
Rhapsody seufzte. »Ist das alles? Oder gibt es sonst noch etwas?«
»Ist das nicht genug?«
»Mehr als genug«, erwiderte sie, wandte sich in seinen Armen um und brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich wollte nur sicher sein.«
Ashe küsste sie sanft. »Du hast gesagt, du hättest noch eine Bitte. Worum geht es? Was es auch sein mag, es sei dir gewährt. Du brauchst es nur zu nennen.«
Rhapsody zuckte zusammen. »Nach all dem, worüber wir gesprochen haben, kommt es mir albern vor.«
»Unsinn. Sag mir, was ich für dich tun kann. Bitte, Aria. Trage mir etwas auf, irgendetwas, womit ich diese ganzen Täuschungsmanöver ausgleichen kann. Um was wolltest du mich bitten?«
Rhapsody machte ein verlegenes Gesicht. »Ich wollte wissen, ob ob du mich ob ich das hier behalten darf.« Sie berührte seine Brust und zeigte auf das weiße Leinenhemd, das er unter seinem Umhang trug.
»Das Hemd?«
»Ja.«
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