In seiner Stimme lag eine Schlichtheit, eine Klarheit, die den Berg ihrer Gegenargumente aushöhlte und ihr die Entscheidung klar vor die Füße legte.
Mit neuen Augen blickte sie zu ihm auf, ohne die Tränen, die alles zum Verschwimmen brachten. Es war, als hätte er ihr den Weg durch einen dunklen Wald gezeigt, einen Weg, den sie verloren hatte, seit die drei in dieses Land gekommen waren, ein verdrehtes Land, kompliziert durch die Pläne und Erwartungen anderer, diktiert von deren Bedürfnissen und Vorurteilen. Und auch von ihren eigenen; von Anfang an war Rhapsody davon ausgegangen, dass es für sie und Ashe aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft keine Zukunft gäbe, aber Ashe hatte das Thema vermieden und sich geweigert, darüber zu diskutieren. Jetzt erkannte Rhapsody, dass sie die ganze Zeit schon gewusst hatte, was sie wollte, und nur gewartet hatte, bis sie sicher war, dass sie ihn liebte, ehe sie die Sache auf den Tisch brachte. Während er die Tränenspuren von ihrem Gesicht wischte, dachte Rhapsody an ein Gespräch mit ihrem Vater, nicht lange, bevor sie von zu Hause weggelaufen war. Wie ist es gekommen, dass die Leute ihre Meinung über unsere Familie geändert haben? Und warum bist du im Dorf geblieben, obwohl Mama so schlecht gelitten war?
Im Gedächtnis sah sie sein Gesicht vor sich, die Falten um die Augen, sah, wie er die Holzschnitzerei polierte, an der er arbeitete, unfähig, untätig zu bleiben. Wenn du in deinem Leben findest, was dir wichtiger und teurer ist als alles andere, bist du es dir schuldig, dass du daran festhältst. Einen solchen Fund machst du kein zweites Mal, mein Kind. Lass dich durch nichts davon abbringen. Auf lange Sicht werden dir auch die Leute zustimmen, die dir anfangs etwas anderes einzureden versucht haben. Finde das, was wirklich zählt alles andere ergibt sich von selbst .
Einst hatte die Erinnerung ihr Weisheit in Bezug auf ihre Loyalität geschenkt. Nun blickte sie in Ashes Augen und wusste abermals, was ihr Vater gemeint hatte. Es war, als fiele ein schwerer Mantel von den Schultern, die jammernden Stimmen in ihren Ohren verstummten, und zurück blieb nur das Lied eines einzigen Mannes, des Mannes, der ihr ganzes Herz erobert hatte. Er bot ihr an, sie aus dem Wald zu führen, so sicher und zuverlässig, wie er ihr den Weg zu Elynsynos’ Drachenhöhle oder nach Tyrian gezeigt hatte. Und sie wollte ihm folgen, um jeden Preis.
»Ja«, sagte sie, und ihre Stimme war ganz leise, kaum hörbar, wegen der Tränen, die ihr die Kehle zuschnürten. Unzufrieden damit, hustete sie laut und sagte noch einmal: »Ja«, und dieses Mal war ihr Ton klarer und sicherer. Vor ihr verwandelte sich Ashes Miene, denn ihre Worte trieben ihm das Blut ins Gesicht und ließen seine Drachenaugen funkeln. Die grässliche Angst, die er unter seinem gelassenen Äußeren zu verbergen versucht hatte, löste sich auf, und Rhapsody sah, wie sich reine Freude in ihm ausbreitete.
»Ja!«, rief sie laut und fügte mit ihrem Wissen als Benennerin Worte hinzu, die ihre Entscheidung unwiderruflich machten. Der Klang erfüllte die Laube und hallte von den Felswänden wider, schwirrte über den See und tanzte im Wasserfall lachte, als er sich über den Rand ergoss. Mit dem wirbelnden Echo entstanden Wärme und Licht; wie ein Komet, der durch die Höhle sauste, blitzte Rhapsodys Ja durch die Luft und erleuchtete die Höhle mit einem Strahlen wie von tausend Sternschnuppen. Der Klang sammelte noch andere Harmonien auf, während die berührten Stellen ihre Antwort bestätigten, und ein Lied füllte die Luft um sie herum, ein Lied der Freude.
Die Feuer von Elysian loderten zustimmend auf, und das Gras, das im Schlaf trocken und steif geworden war, wurde wieder grün, als hätte die Hand des Frühlings es berührt. Die Blumen in Rhapsodys Garten hielten ihr letztes Strahlen fest und blühten zusammen mit den roten Winterblumen, die ihren Tisch geschmückt hatten. Als der Licht-Ton sie berührte, nahm er ihre Farben in sich auf und schleuderte sie zum Himmel empor, und sie explodierten in einem funkelnden Feuerwerk, als sie an die Kuppel des Firmaments stießen. Staunend beobachtete Ashe das Schauspiel, dann blickte er in ihr Gesicht, das ebenfalls gen Himmel gewandt war, und das Schauspiel der Farbschwingungen über ihnen schimmerte in ihren wunderschönen Augen.
»Du liebe Zeit«, lachte er. »Bist du auch wirklich sicher?«
Rhapsody stimmte in sein Lachen mit ein, und die Heiterkeit befreite sie von dem bedrückenden Gefühl von Pflicht und Einsamkeit, unter dem sie so lange gelitten hatte. Wie ein Glockenspiel in einer kräftigen Brise, so ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf; der Klang ihres Lachens gesellte sich zum Klang ihrer Zustimmung und füllte die Höhle mit einer Musik, wie sie hier noch nie gehört worden war.
Ashe umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und betrachtete es in all seiner Fröhlichkeit; dieses Bild brannte er fest in sein Gedächtnis ein. Er würde es brauchen, um das zu bewältigen, was ihm bevorstand, das wusste er. Dann beugte er sich über sie, berührte ihre Lippen mit den seinen und küsste sie so zärtlich, dass er erneut die Tränen in ihr aufsteigen fühlte.
So standen sie da, verloren ineinander und in die Leidenschaft des Kusses, bis das Licht langsam verlöschte und die Musik verstummte, bis nur noch ein einzelner Ton zurücktrieb, der irgendwann leiser wurde und endlich ganz erstarb. Als die Wärme aus der Luft verschwand, zog sich Rhapsody von ihm zurück und blickte zu ihm auf. Inzwischen hatte sich das Feuer in ihren Augen beruhigt, doch eine stille Zufriedenheit lag nun in ihnen, die ihn erzittern ließ.
»Ja, ich bin sicher«, antwortete sie schlicht auf seine Frage. Nun nahm er sie wieder in die Arme und hielt sie so fest er konnte. Diesen Augenblick wollte er für immer in seinem Herzen bewahren, die Magie, die notwendig war, um das zu überleben, was er ihr nun zu sagen hatte.
Als Ashe sie endlich losließ, setzte Rhapsody sich wieder auf die Bank.
»Nun, das war wundervoll«, sagte sie und strich ihren Seidenrock glatt. »Ich kann es kaum erwarten, bis wir es wiederholen. Also, was hast du mir nun zu sagen?«
Ashe schauderte. Er wusste, wie unangenehm das, was er ihr mitzuteilen hatte, für sie sein würde, und er war noch nicht bereit, das Glück loszulassen, das sie gerade zusammen erlebt hatten. Noch nicht.
»Singst du etwas für mich, Rhapsody?«, fragte er und ließ sich zu ihren Füßen nieder.
»Du schindest Zeit«, schalt sie ihn. »Ich habe das Gefühl, dass wir eine lange Nacht vor uns haben; wir haben eine Menge zu besprechen und wollten uns auch noch dem Benennungsritual widmen. Ich muss morgen früh aufbrechen, deshalb mache ich dir einen Vorschlag: Du sagst mir, was notwendig ist, dann teile ich dir mein Anliegen mit, anschließend gebe ich dir deinen neuen Namen und singe danach etwas für dich. Ist das ein Angebot?«
Ashe seufzte. »Nun gut«, meinte er und versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Aber ich würde lieber in diesem Augenblick sterben, als dir das mitzuteilen, was ich dir mitteilen muss.«
Alarmiert blickte Rhapsody ihn an. »Warum?«
»Weil ich sicher bin, dass es dich verletzen wird, und wie du inzwischen wissen müsstest, versuche ich das zu vermeiden, so gut ich es nur kann.«
Rhapsodys Gesicht wurde wieder ruhig. »Keine Bange, Ashe. Sag es mir einfach.«
»In einer Weile wird mein Vater an dich herantreten mit der Bitte, ihn auf einer Reise zu begleiten. Das Ziel kenne ich nicht, es ist auch vollkommen ohne Bedeutung. Ihr werdet nie dorthin gelangen.«
»Was meinst du damit?«
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. »Bitte, Rhapsody, es ist so schon schwierig genug. Hör einfach zu, dann erkläre ich dir alles. Und falls du, nachdem ich fertig bin, deine Erlaubnis zurücknehmen willst, dass ich diese Erinnerung für dich aufbewahre, werde ich das verstehen und mich deiner Entscheidung beugen.«
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