In der Wüste Gobi lernte ich „schwarze Panzer“ kennen — eine Erscheinung, die auch unter dem Namen „Wüstenlack“ bekannt ist. Dieses Phänomen sieht aus, als ob alles im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern von Teer überzogen wäre. Als ich zum ersten Mal einen „schwarzen Panzer“ erlebte, hatte ich das Gefühl, ich befände mich im Königreich des Todes. Und während ich an der Beschreibung des Planeten Sirda saß, der in „Andromedanebel“ durch erhöhte radioaktive Strahlung zerstört ist, fiel mir diese Erfahrung plötzlich wieder ein, und ich spürte, dass genau so eine versehrte Oberfläche zu dem Planeten passen würde. Besser wäre es natürlich noch, ihm einen weich-samtigen Ton zu verleihen: etwas in der Art von dicht wuchernden schwarzen Mohnpflanzen. Und auch dieses Bild hatte eine wissenschaftliche Grundlage: Aus speziellen Berichten über die Erforschung der Auswirkungen der Atombombenexplosion über Hiroshima wusste ich, dass Pflanzen unter starker Strahlung zu heftigen und unerwarteten Mutationen fähig sind. So entstand meine Vision vom toten Planeten, dessen Untergang durch verheerende Experimente auf dem Feld der Kernspaltung verursacht worden war, in meiner Vorstellung aus einer Mischung eigener anschaulicher Erfahrungen und wissenschaftlicher Information.
Und noch ein Detail: In „Andromedanebel“ erzählt Erg Noor der Astronavigatorin Nisa Krit, dass er während einer Weltraumexpedition geboren wurde, als seine Eltern sich in einem Sternenschiff dem System eines Doppelsterns näherten. Das stärkste Bild in Erg Noors Kindheitserinnerungen ist das vom Himmel: „Und dieser Himmel, mein erster Himmel, war schwarz und von den klaren Lichtern nicht blinkender Sterne und zwei Sonnen von unvorstellbarer Schönheit übersät: die eine leuchtend orange, die andere tiefblau.“ Auf dieses Detail war ich ganz unwillkürlich gestoßen. Nachdem ich einen Doppelstern länger durch das Fernglas betrachtet hatte, überlegte ich lange, wie wohl die Lichtverhältnisse dort wären. So entstand diese Beschreibung. Übrigens wird sie vermutlich nur auf uns so ungewöhnlich wirken, da sie ein Phänomen abbildet, das nichts mit unserem Alltag zu tun hat; für die Helden von „Andromedanebel“ und für Astronauten, die andere Planeten bereisen, ist ein solcher Anblick sicher nicht so außergewöhnlich. Genau deshalb müssen derartige Beschreibungen ohne besondere Aufregung und Emotion erfolgen, immer im Bewusstsein, dass Erg Noors Freunde auf eben diese Art und Weise — beherrscht und ruhig — seine Erzählung aufnehmen würden.
Genau deshalb achte ich auch streng darauf, dass die Wechselbeziehungen zwischen den Gegenständen und Phänomenen logisch sind, versuche immer daran zu denken, dass ein Detail zum nächsten führt, und bin mir stets bewusst, wie wichtig es ist, diese Zusammenhänge nicht zu zerstören. Gerade als SF-Autor ist es besonders kontraproduktiv, sich von der Chronologie der Ereignisse und Schauplätze abzukoppeln. Nur sorgfältige Selbstkontrolle verhindert peinliche Schnitzer.
Ein Beispiel dafür möchte ich noch erwähnen: In der „Ballade über die Sterne“ von G. Altow und W. Schurawlewa zerstört eine einzige Szene den Gesamteindruck. Der Held rasiert sich, und zwar auf fast schon archaische Weise — mit Seife und Rasierpinsel —, und die Autoren schlachten dieses Detail ausgiebig aus. Das ist Unsinn — von vorn bis hinten. Wenn wir heute Elektrorasierer haben, dann können wir sicher sein, dass die Menschen noch zig andere bequemere Rasiermethoden erfunden haben werden, bis sie zu den Sternen fliegen können… Das ist nur eine Kleinigkeit, ich weiß, ein misslungenes lebenspraktisches Detail. Aber wer einen Roman über die ferne Zukunft schreibt, muss sich ständig selbst anspornen und sich kontrollieren, selbst auf Kleinigkeiten zu achten, und das eigene Bewusstsein so gut wie möglich auf die Denkweise eines zukünftigen Menschen einstellen. Genauso wie man sich zusammenreißen muss, wenn man einen historischen Roman schreibt (das weiß ich von meiner Arbeit an „Das Land aus dem Meeresschaum“); auf etwas andere Weise muss man genauso auf der Hut sein und darüber nachdenken, wie etwa die alten Ägypter wohl ihre Umwelt wahrnahmen. Es handelt sich also um zwei grundlegende, sich im dialektischen Verhältnis miteinander befindende Schwierigkeiten, die für den schöpferischen Prozess charakteristisch sind, dabei sind beide hochspannend und reizvoll.
Das Genre der Science-Fiction ist ein Weg ins Unerforschte, „eine Fahrt ins Unbekannte“, um mit Majakowski zu sprechen. Jeder SF-Autor muss sich hier vorantasten, auf eigenes Risiko den Weg erkunden. Deshalb ist jeder Neuanfang ein kleiner Schock. Wer sich vor das erste weiße Blatt Papier setzt, den schreckt die Aussicht: Vor ihm liegen unzählige unbeschrieben Blätter und ein wochenlanges mühsames Suchen nach Worten. Und er zögert den Zeitpunkt hinaus, schleicht um die Schreibmaschine herum. Denn das Schwierigste ist der Anfang, die ersten zwei, drei Seiten, während derer man immer wieder denkt: Geht nicht, du schweifst ab, klingt nicht echt.
Als ich vor langer Zeit anfing, recht unsicher meine ersten „Erzählungen über Ungewöhnliches“ niederzuschreiben, fragte ich mich nicht, ob ich eines Tages Schriftsteller werden würde. Aber die Jahre vergingen, und eine mächtige Anziehungskraft zwang mich immer öfter an den Schreibtisch, von wo ich, nachdem ich erst einmal mein „sperriges Material“ bezwungen hatte, dem Leser von neuen, interessanten Theorien, von neuen Ideen und Träumen erzählen konnte… [5] Zitat aus dem Gedicht von Wladimir Majakowski: „Gespräch mit dem Steuerinspektor über die Dichtkunst“. — Anm. d. Übers.
Iwan Jefremows Essay erschien 1961 in der Zeitschrift Woprosy Literatury (Nummer 4, S. 142–153).
Uwe Neuhold
Der Weg zum Futurokommunismus
„Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Das Sonnensystem wird unser Kindergarten.“
Konstantin Ziolkowski
Am Morgen des 30. Juni 1908 kommt es in den Weiten Sibiriens zu einer gewaltigen Explosion. Sie entwurzelt Bäume im Umkreis von dreißig Kilometern und drückt Fenster in der 65 Kilometer entfernten Handelssiedlung Wanawara ein. Noch in mehr als 500 Kilometern Entfernung werden von Reisenden der Transsibirischen Eisenbahn heller Feuerschein, starke Erschütterungen und eine Druckwelle samt Donnergeräusch wahrgenommen. War es ein Asteroid, ein Komet oder vielleicht eine vulkanische Eruption? Internationale Wissenschaftler suchen seither nach den Ursachen dieses als „Tunguska-Ereignis“ in die Geschichtsbücher eingegangenen Geschehens.
Iwan Antonowitsch Jefremow erblickt zwei Monate zuvor in Wyriza bei St. Petersburg das Licht der Welt. Seine späteren Expeditionsreisen sollen ihn bis nach Sibirien führen. Und auch wenn er sich unseres Wissens nie direkt mit Tunguska befassen wird, wagen sich seine fantastischen Erzählungen in die unbekannten Regionen jenseits des Asteroidengürtels und weit entfernter Zeiten hinaus.
Er selbst wurde in eine von Umstürzen und Neuerungen geprägte Epoche geboren. Um die Jahrhundertwende begann der schmerzvolle Übergang des zaristischen Russland in eine technizistische Moderne: Rund um die Fabriken etablierten sich in den großen Städten Industrieproletariat und bürgerliche Mittelschicht. Man forderte nun seinen Anteil an den steigenden Staatseinnahmen und mehr Mitverantwortung für öffentliche Angelegenheiten. Unter politischer Freiheit wurde (noch) kein moralisches Ziel verstanden, sondern materielle Entfaltung und gerechte Besteuerung. Anders die „Intelligenzija“ — laut Pjotr Dmitrijewitsch Boborykin (1836–1921) jene gesellschaftliche Schicht von Menschen, die „klug, verständnisvoll, wissend, denkend und auf professionellem Niveau kreativ beschäftigt sind und zur Entwicklung und Verbreitung von Kultur beitragen“. Deren utopische Entwürfe passten ganz und gar nicht mehr zu einer vom Adel dominierten Lebenswelt. Da Zar Nikolaus II. es verabsäumte, die Mittelschicht verfassungsmäßig stärker einzubinden, flammte vereinzelt Terror auf, der durch die Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg in die Revolution von 1905 mündete. Doch auch danach war der Zar nicht zu grundlegenden Reformen bereit und schaufelte sich sein späteres Grab, indem er das — notgedrungen genehmigte, aber weitgehend funktionslose — Parlament, die Duma, nach kurzer Zeit wieder auflöste.
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