Iwan Jefremow wurde 1908 im russischen Wyriza geboren und studierte an der Universität von Sankt Petersburg Paläontologie. Er war einer der führenden Mitarbeiter des paläontologischen Instituts und ist der Begründer der Taphonomie, der Fossilienlehre. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit widmete er sich dem Schreiben von Science-Fiction-Literatur. Sein größter Erfolg Andromedanebel erschien im Jahr 1958 und war einer der meistverkauften Romane der Sowjetunion. Iwan Jefremow starb 1972 in Moskau.
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Iwan Jefremow
Andromeda Nebel
ROMAN
Mit einem wissenschaftlichen Anhang von Uwe Neuhold
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der russischen Originalausgabe
Туманность Андромеды
Deutsche Übersetzung von Anneliese Kienspann
Deutsche Übersetzung des Essays
„Der Weg zum Andromedanebel“ von Anja Freckmann
Überarbeitete Neuausgabe 2/2015
Redaktion: Anja Freckmann
Copyright © 1958 by Iwan Jefremow
Copyright © 2010 by The Estate of Iwan Jefremow
Copyright © 2015 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-14402-9
www.diezukunft.de
Vorwort
1. Der Eisenstern
2. Epsilon Tucanae
3. Gefangene der Finsternis
4. Der Strom der Zeit
5. Das Pferd am Meeresgrund
6. Die Legende der blauen Sonnen
7. Symphonie in f-Moll, Farbtonart 4,750 µ
8. Rote Wellen
9. Eine Schule des dritten Zyklus
10. Das tibetische Experiment
11. Die Insel des Vergessens
12. Der Rat für Sternenschifffahrt
13. Engel des Himmels
14. Die Stahltür
15. Der Andromedanebel
ANHANG
Glossar
Iwan Jefremov: Der Weg zum Andromedanebel
Uwe Neuhold: Der Weg zum Futurokommunismus
Noch bevor die erste Veröffentlichung des vorliegenden Romans in einer Zeitschrift abgeschlossen war, brachen die ersten künstlichen Satelliten bereits zu ihrem ungestümen Flug um unseren Planeten auf.
Angesichts dieser unumstößlichen Tatsache erfüllt es mich als Autor mit Freude, dass die Gedanken, die meinem Roman zugrunde liegen, richtig sind.
Die Fantasiebilder über den technischen Fortschritt der Menschheit, der Glaube an eine unaufhörliche Vervollkommnung und an die lichte Zukunft einer vernünftig organisierten Gesellschaft — all das findet in den Signalen der kleinen Monde eine unbestreitbare und anschauliche Bestätigung. Es grenzt an ein Wunder, wie rasch sich einer der Träume aus dem „Andromedanebel“ erfüllt hat, und daher frage ich mich: Inwieweit ist die im Roman dargestellte Zukunftsschau zeitlich angemessen gestaltet? Noch während der Arbeit am Roman veränderte ich die Zeit der Handlung mehrmals, und zwar rückte ich sie näher an unsere Epoche heran. Anfangs schien mir, die gigantischen, im Roman beschriebenen Umgestaltungen des Planeten und des Lebens könnten nicht früher als in dreitausend Jahren vollbracht werden. Ich war bei meinen Berechnungen von der allgemeinen Entwicklungsgeschichte der Menschheit ausgegangen, hatte dabei jedoch das wachsende Tempo des technischen Fortschritts nicht berücksichtigt.
Bei der Nachbearbeitung verkürzte ich sodann die ursprünglich festgelegte Zeitspanne um ein Jahrtausend. Der Start der künstlichen Erdsatelliten zeigt mir jedoch, dass die im Roman geschilderten Ereignisse noch früher eintreten könnten. Deshalb sollte der Leser alle genauen Zeitangaben, die im „Andromedanebel“ vorkommen, durch solche ersetzen, die seinem Verständnis und Gespür für Zeit entsprechen.
Eine Besonderheit des Romans, die dem Leser vielleicht nicht auf Anhieb verständlich sein wird, besteht in der Anhäufung von wissenschaftlichen Angaben, Begriffen und Termini. Dies soll nicht als Versehen aufgefasst werden oder als Widerwillen meinerseits, komplizierte Formulierungen zu erläutern. Vielmehr erschien es mir nur auf diese Weise möglich, den Gesprächen und Handlungen der Menschen eines Zeitalters, in dem die Wissenschaft zweifellos in allen Begriffen und Vorstellungen und in der Sprache fest verankert sein wird, das Kolorit des Zukünftigen zu verleihen.
Iwan Jefremow
Im matten Deckenlicht erweckten die Messinstrumente den Eindruck einer Porträtgalerie. Die runden Anzeigen hatten verschmitzte Gesichter, die ovalen, waagrecht angeordneten ergingen sich in impertinenter Selbstzufriedenheit, und die quadratischen erstarrten in bornierter Selbstsicherheit. Verstärkt wurde diese Wirkung durch das flimmernde dunkel- und hellblaue, orangefarbene und grüne Licht, das von den Instrumenten ausging.
In der Mitte des gewölbten Pults hob sich ein großes flammendrotes Zifferblatt ab. Darübergebeugt stand in unbequemer Haltung ein junges Mädchen. Sie hatte den Sessel neben sich vergessen, und ihr Gesicht berührte fast die Glasscheibe. Der rote Widerschein machte das jugendliche Gesicht älter und strenger, warf tiefe Schatten um die etwas prallen Lippen und ließ die kleine Stupsnase spitz erscheinen. Die breiten zusammengezogenen Brauen waren tiefschwarz und verliehen ihren Augen den düsteren Blick eines dem Untergang geweihten Menschen.
Das feine Summen der Messgeräte wurde von einem metallischen Klicken unterbrochen. Das Mädchen zuckte zusammen, hob den Kopf, richtete sich auf und streckte den müden Rücken, indem sie die schlanken Arme anwinkelte und nach hinten drückte.
Hinter ihr schnappte die Tür ins Schloss, ein großer Schatten tauchte auf und verwandelte sich beim Näherkommen in einen Menschen mit exakten, eckigen Bewegungen. Dann leuchtete goldfarbenes Licht auf, und das dichte dunkelrote Haar des Mädchens schien Funken zu sprühen. Auch ihre Augen leuchteten auf, als sie dem Eintretenden mit einem Blick voll Sorge und Liebe begegneten.
„Warum schlafen Sie nicht? Hundert schlaflose Stunden…!“
„Wohl ein schlechtes Beispiel?“, fragte der Eintretende nicht lächelnd, aber doch fröhlich. In seiner Stimme klangen hohe metallische Töne mit, die seine Worte zusammenzunieten schienen.
„Alle anderen schlafen…“, begann das Mädchen schüchtern. „Und… wissen von nichts“, fügte sie flüsternd hinzu.
„Sprechen Sie ruhig laut. Ja, unsere Kameraden schlafen, nur wir beide halten hier im Kosmos Wache, und zur Erde sind es fünfzig Billionen Kilometer, im ganzen anderthalb Parsec!“
„Unser Anameson reicht nur noch für eine einzige Beschleunigung!“ Schrecken und Begeisterung zugleich schwangen in der Stimme des Mädchens mit.
Mit zwei raschen Schritten war Erg Noor, der Leiter der siebenunddreißigsten Sternenexpedition, bei dem flammendroten Zifferblatt.
„Der fünfte Kreis!“
„Ja, wir sind schon auf dem fünften. Und… immer noch nichts.“
Das Mädchen warf einen vielsagenden Blick auf den Lautsprecher des automatischen Empfängers.
„Sehen Sie, ich darf gar nicht schlafen. Alle Varianten, alle Möglichkeiten müssen geprüft werden. Bis zum Ende des fünften Kreises muss eine Entscheidung her.“
„Aber bis dahin sind es noch ganze hundertzehn Stunden…“
„Gut, ich werde hier im Sessel etwas schlafen, sobald die Wirkung des Sporamins nachlässt, das ich vor vierundzwanzig Stunden eingenommen habe.“
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