Sodann rief er sich alles ins Gedächtnis zurück, was er über den Persönlichkeitstransformator wußte, und das war nicht wenig. Am schlimmsten und bedrohlichsten erschien ihm eine Gefahr, von der der leichtsinnige Balerion, der irgendwo in Trurls Körper herumlief, keine Ahnung hatte. Denn sollte er einmal stolpern und mit den Hörnern gegen einen toten Gegenstand stoßen, so würde seine Persönlichkeit augenblicklich in dieses Objekt strömen, und weil tote Gegenstände nun einmal weder Bewußtsein noch Gedächtnis besitzen und damit bei einem eventuellen Persönlichkeitstausch nichts, aber auch gar nichts zu bieten haben, würde Trurls Körper leblos in sich zusammenfallen, während die Seele des Königs für alle Ewigkeit in einem Stein, Laternenmast oder einem alten Schuh verweilen müßte. Aufs höchste beunruhigt beschleunigte Klapauzius seine Schritte; nicht weit von der Herberge wurde er Zeuge einer lebhaften Unterhaltung unter den Dorfbewohnern. Sie erzählten davon, wie sein Kollege Trurl aus dem Palast gestürzt war, als sei der Teufel hinter ihm her, und wie er, als er die lange, steile zum Hafen führende Treppe hinunterrannte, ins Stolpern geraten war und sich ein Bein gebrochen hatte. Wie ihn dies in rasende Wut versetzt hatte, wie er dort am Boden liegend brüllte, er sei König Balerion in höchsteigener Person, nach seinen Leibärzten rief und unverzüglich eine Tragbahre mit Daunenkissen, Myrrhe und Weihrauch verlangte; und wie er — während die Umstehenden über den Verrückten lachten — auf der Straße dahinkroch, entsetzlich fluchte und wütend seine Kleider zerriß, bis schließlich ein Passant Mitleid hatte und sich über ihn beugte, um zu helfen. Wie der gefallene Konstrukteur blitzschnell seinen Hut vom Kopf zog, und wie darunter — und es gab Zeugen, die das beschwören konnten — Teufelshörner zum Vorschein kamen. Wie er dem guten Samariter diese Hörner gegen die Stirn rammte, dann seltsam steif, wie tot in sich zusammensank und nur noch leise stöhnte, während sich der von den Hörnern Getroffene schlagartig veränderte — „als habe ein böser Geist von ihm Besitz ergriffen“ — und dann tanzend, hüpfend und jeden im Wege Stehenden beiseiteschleudernd die Treppe zum Hafen hinabgaloppierte.
Das Entsetzen schnürte Klapauzius die Kehle zu, als er von all dem hörte, denn er begriff sehr wohl, daß Balerion, nachdem er Trurls Körper (der ihm nur so kurze Zeit diente) beschädigt hatte, einfach in den Körper eines unbekannten Passanten geschlüpft war. „Und das war erst der Anfang“, dachte er angsterfüllt. „Wie soll ich denn jemals Balerion finden, wenn er sich in einem Körper versteckt hält, den ich nicht einmal kenne?! Wo soll ich ihn suchen?“ Er versuchte, bei den Umstehenden unauffällig in Erfahrung zu bringen, wer dieser Passant war, weshalb er so edel zu dem verletzten Pseudo-Trurl gewesen und was aus den Hörnern geworden war. Von dem guten Samariter wußten sie nur, daß seine Kleidung ausländisch, jedoch unverkennbar die eines Seemanns war, was vermuten ließ, daß er zu einem Schiff aus einem fremden Land gehörte; von den Hörnern aber wußte niemand etwas. Nur ein Bettler, dessen Beine durchgerostet waren (ein Witwer, der jahrelang auf regelmäßige Schmierung und Ölung hatte verzichten müssen), und der folglich gezwungen war, sich mit Hilfe von an seinen Hüften montierten Rädern fortzubewegen — wodurch er die bessere Perspektive für alle am Boden geschehenden Dinge hatte — erzählte Klapauzius, der rechtschaffene Seemann habe dem unter ihm liegenden Konstrukteur die Hörner so rasch vom Kopf gerissen, daß dies außer ihm niemand bemerkt habe. Es hatte ganz den Anschein, als sei Balerion wieder im Besitz des Transformators, und als könne damit das haarsträubende Hüpfen von Körper zu Körper ungehindert weitergehen. Die Kunde, daß Balerion jetzt in Gestalt eines Seemanns umherlief, beunruhigte Klapauzius ganz besonders. „Ausgerechnet ein Seemann!“ dachte er. „Wenn sein Landurlaub zu Ende ist, und er nicht an Bord erscheint (und wie sollte er, weiß er doch nicht einmal, welches sein Schiff ist!), dann wird sein Kapitän die Hafenpolizei benachrichtigen, die wird den Deserteur natürlich verhaften, und so wird sich Unsere Hoheit im Kittchen wiederfinden! Und wenn er in seiner Verzweiflung nur ein einziges Mal mit dem Kopf, d.h. mit den Hörnern gegen die Kerkermauer stößt, dann wehe uns, dreimal wehe!!“ Wenngleich die Chance verschwindend gering war, den Seemann zu finden, in dessen Gestalt Balerion umherwandelte, begab sich Klapauzius unverzüglich zum Hafen. Das Glück war ihm hold, denn schon von ferne erblickte er einen Menschenauflauf. In dem sicheren Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein, mischte er sich unter die Menge und erfuhr bald aus den Gesprächen der Umstehenden, daß seine Befürchtungen der Realität ziemlich nahekamen. Erst vor wenigen Augenblicken hatte ein angesehener Reeder, Eigentümer einer ganzen Handelsflotte, einen seiner Seeleute getroffen, den er wegen seines rechtschaffenen Charakters ganz besonders schätzte; jetzt aber war dieses rechtschaffene Individuum dabei, sämtliche Passanten mit Beleidigungen zu überschütten, und denjenigen, die ihn warnten und ihm rieten, besser seines Weges zu gehen, bevor die Polizei käme, schrie er trotzig entgegen, er könne sich verwandeln in wen immer er wolle, notfalls in die ganze Polizei auf einmal. Empört über solch ein Verhalten begann der Reeder einen Streit mit seinem Fahrensmann, der aber blieb ihm die Antwort nicht schuldig und prügelte mit einem dicken Knüppel auf ihn ein. In diesem Moment erschien eine Polizeistreife; sie machte ihren Kontrollgang durch den Hafen, der ja nicht selten Schauplatz von Tumulten und Schlägereien war, und wie es der Zufall wollte, wurde sie vom Bezirkskommandanten selbst angeführt. Der Kommandant erkannte mit einem Blick, daß der randalierende Seemann vernünftigen Argumenten nicht zugänglich war, folglich befahl er, ihn auf der Stelle ins Gefängnis zu werfen. Als man ihm Handschellen anlegen wollte, stürzte sich der Seemann plötzlich wie ein Besessener auf den Kommandanten und versetzte ihm einen heftigen Stoß mit dem Kopf, der mit zwei hornartigen Fortsätzen bewehrt war. Unmittelbar danach begann er zu brüllen, er sei Polizist, und zwar kein gewöhnlicher, sondern der Chef der Hafenpolizei. Der Kommandant geriet über diese offensichtlichen Hirngespinste nicht etwa in Zorn, im Gegenteil, er schien sich köstlich zu amüsieren und wollte sich ausschütten vor Lachen; dann befahl er seinen Untergebenen, den Radaubruder abzuführen und dabei ihre Fäuste respektive Gummiknüppel nicht allzusehr zu schonen.
So hatte es Balerion in weniger als einer Stunde geschafft, die Hülle seiner unsterblichen Seele zum dritten Mal zu wechseln und steckte nun im Körper des Polizeikommandanten, der bei Gott unschuldig wie ein Lamm war und dennoch im finsteren Kerker schmachtete. Klapauzius begab sich auf den Weg zum Polizeirevier, einem grauen und wuchtigen Gebäude unmittelbar am Meer. Niemand versperrte ihm den Weg, also ging er hinein, lief durch ein paar leere Räume, bis er schließlich vor einem bis an die Zähne bewaffneten Riesen stand. Der steckte in einer Uniform, die ihm ein paar Nummern zu klein war. Dieser Koloß warf Klapauzius einen finsteren Blick zu und machte eine drohende Bewegung, so als wolle er den ungebetenen Gast eigenhändig hinauswerfen — urplötzlich aber zwinkerte er Klapauzius zu (obwohl ihn dieser ja nie zuvor gesehen hatte) und brach in ein ohrenbetäubendes Gelächter aus, wobei sich die ans Lachen keineswegs gewöhnten Gesichtszüge merkwürdig veränderten. Seine Stimme war rauh, ohne jeden Zweifel die Stimme eines Polizisten, sein Lachen aber und besonders sein Augenzwinkern erinnerten Klapauzius unwillkürlich an Balerion, und tatsächlich, es war Balerion, der da auf der anderen Seite des Schreibtisches stand, wenngleich in höchst uneigener Person!
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