Selbst als ihre erhöhten Puls- und Atemfrequenzen wieder einen Wert angenommen hatten, der annähernd normal war, hielt Murchison ihn weiter fest umschlungen. Sie schwieg die ganze Zeit und wollte Conway noch weniger loslassen als zuvor, bis sie plötzlich leise vor sich hin lachte.
„Bezüglich meines Verhaltens dir gegenüber habe ich für die nächsten Wochen oder Monate genaue Anweisungen erhalten“, sagte sie in einem Ton, in dem sowohl Verlegenheit als auch Erleichterung mitschwangen. „Der Chefpsychologe hat gesagt, ich solle intimen Körperkontakt vermeiden, bei allen Gesprächen eine berufliche und sachliche Art beibehalten und mich ganz allgemein wie eine Art Witwe betrachten, bis du entweder mit den im Kopf gespeicherten Bändern zurechtgekommen wärst oder man dich zwingen würde, wieder deinen früheren Rang als Chefarzt einzunehmen. Es handle sich um eine ausgesprochen ernste Angelegenheit, hat er mir gesagt, und es sei ein hohes Maß an Geduld und Mitgefühl erforderlich, um dir über diese schwierige Zeit hinwegzuhelfen. Ich solle dich als multiplen Schizophrenen betrachten, da die meisten der betreffenden Persönlichkeiten zu mir keine emotionale Bindung hätten und in vielen Fällen mit körperlichem Abscheu auf mich reagieren würden. Dennoch dürfe ich das alles nicht beachten, weil du sonst der Gefahr bleibender psychischer Schäden ausgesetzt wärst.“
Sie küßte ihn auf die Nasenspitze und stieß einen langen, zarten Seufzer aus. „Statt dessen kann ich keine Spur eines körperlichen Abscheus entdecken und. tja, du bist offenbar nicht mehr ganz und gar der alte. Ich kann nicht genau sagen, worin der Unterschied besteht, und ich will mich auch nicht beklagen, aber du scheinst überhaupt keine psychologischen Schwierigkeiten zu haben und. und O'Mara wird sich wirklich freuen!“
Conway grinste. „Ich habe nicht versucht, O'Mara zu erfreuen.“, begann er, als er vom dringlichen Piepen des Kommunikators unterbrochen wurde.
Von Murchison war der Kommunikator darauf eingestellt worden, alle Nachrichten, die nicht dringend waren, auf Band aufzunehmen, und offensichtlich hielt irgend jemand sein Problem für so wichtig, um Conway aufzuwecken. Er entzog sich Murchisons Umklammerung, indem er sie unter den Achselhöhlen kitzelte, und schwenkte die Kamera des Kommunikators vom zerwühlten Bett weg, bevor er antwortete, denn möglicherweise befand sich ein männlicher DBDG von der Erde am anderen Ende.
Auf dem Bildschirm erschien Edanelts eckiges, von Chitin überzogenes Gesicht. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht, Conway“, begrüßte ihn der melfanische Chefarzt, „aber FROB dreiundvierzig und FROB zehn sind wieder bei Bewußtsein und haben keine Schmerzen. Sie sind sehr froh, noch am Leben zu sein, und hatten noch keine Zeit, über die damit verbundenen Nachteile nachzudenken. Meiner Meinung nach wäre das der beste Moment, sich mit ihnen zu unterhalten, falls Sie das immer noch wollen.“
„Und ob ich das will“, antwortete Conway, obwohl im nichts einfallen wollte, was er im Augenblick weniger gerne getan hätte, und das wußten sowohl Murchison als auch Edanelt, die ihn beide beobachteten. „Was ist mit FROB drei?“ erkundigte er sich schließlich.
„Noch bewußtlos, aber in stabiler Verfassung“, antwortete der Chefarzt. „Ich habe seinen Zustand ein paar Minuten, bevor ich Sie angerufen habe, überprüft. Hossantir und Yarrence sind vor ein paar Stunden gegangen, um sich diesen Zeiträumen des körperlichen und seelischen Zusammenbruchs hinzugeben, die Sie alle offenbar in solch lachhaft kurzen Abständen brauchen. Wenn FROB drei zu sich kommt, werde ich mich mit ihm unterhalten. Bei ihm sind die Anpassungsschwierigkeiten nicht so groß.“
Conway nickte. „Bin schon auf dem Weg.“
Durch die Aussicht auf das, was vor ihm lag, war die hudlarische Gedächtnisaufzeichnung in den Vordergrund getreten und füllte jetzt praktisch Conways ganzen Kopf aus, so daß er sich ohne körperliche Berührung und nicht einmal mit einem herzlichen Wort von Murchison verabschiedete. Zum Glück fand sie sich mittlerweile mit diesem Verhalten ab und pflegte es einfach nicht zu beachten, bis er wieder der alte sein würde. Als Conway das Zimmer verließ, fragte er sich, was an diesem rosa, schlaffen, unglaublich schwachen und abstoßenden Wesen, mit dem er den Großteil seines Lebens als Erwachsener verbracht hatte, so Besonderes war.
„Sie haben großes Glück gehabt“, versicherte Conway seiner Patientin, „wirklich sehr großes Glück, daß weder Ihr Kind noch Sie selbst bleibende Schäden davongetragen haben.“
Medizinisch gesehen war das ganz richtig, sagte er sich. Aber der Hudlarer in seinem Kopf dachte da ganz anders, genauso wie die Mitarbeiter der Genesungsstation, die sich auf diskrete Entfernung zurückgezogen hatten, um es der Patientin und ihrem Arzt zu ermöglichen, ein vertrauliches Gespräch zu führen.
„Nachdem ich Ihnen das gesagt habe“, fuhr Conway fort, „muß ich Ihnen leider mitteilen, daß Sie persönlich den langwierigen und emotional womöglich schmerzlichen Auswirkungen Ihrer Verletzungen nicht entkommen sind.“
Er wußte, daß er nicht besonders feinfühlig an das Problem heranging, aber in vielerlei Hinsicht waren die FROBs genauso offen und direkt wie die Kelgianer, wenn auch wesentlich höflicher.
„Das kommt daher, weil wir eine Herztransplantation vornehmen mußten, um Sie beide am Leben zu erhalten“, erklärte er, indem er in der Hoffnung an die Mutterinstinkte der Patientin appellierte, die gute Nachricht über den jungen Hudlarer würde das Gefühl des Unglücks, das sich jeden Moment bei der FROB einstellen dürfte, in gewissem Maße verringern. „Ihr Nachkomme wird ohne Komplikationen geboren werden, gesund sein und ein ganz normales Leben auf seinem Heimatplaneten oder woanders führen können. Sie werden dazu leider nicht mehr in der Lage sein.“
Mit vibrierender Sprechmembran stellte die Hudlarerin die erwartete Frage.
Bevor er antwortete, dachte Conway einen Moment lang nach, weil er keine zu elementare Erklärung geben wollte. Die Hudlarerin war eine Bergbauspezialistin und hochintelligent; ansonsten hätten sie und ihr Lebensgefährte nicht auf den Asteroiden des Meneldensystems gearbeitet.
Folglich erklärte er FROB dreiundvierzig, daß junge Hudlarer zwar hin und wieder schwer erkranken und einige sogar sterben könnten, erwachsene hingegen niemals etwas hätten und bis zum Eintritt der Altersschwäche keinerlei körperliche Schäden nähmen. Das lag daran, daß sie eine Immunität gegen die Krankheitserreger ihres Heimatplaneten entwickelten, die so lückenlos und perfekt war, wie es bei einem rein biochemischen System überhaupt möglich war, und damit konnte sich keine andere der Medizin der Föderation bekannte Spezies messen. Das Immunsystem der FROBs war so beschaffen, daß es keiner, wie auch immer beschaffenen fremden biologischen Substanz gestattete, sich mit dem Körper eines Hudlarers zu verbinden, ohne sofort mit der Abwehrreaktion zu beginnen. Zum Glück ließ sich das übergründliche Immunsystem, wenn nötig, neutralisieren, und dazu bestand unter anderem dann Veranlassung, wenn lebenswichtige Organe oder Glieder von einem Spender eingepflanzt beziehungsweise angenäht werden mußten.
Conway hatte versucht, den Sachverhalt so einfach und genau wie möglich zu erklären, doch es war offensichtlich, daß FROB dreiundvierzig mit den Gedanken ganz woanders war.
„Was ist mit meinem Lebensgefährten?“ erkundigte sie sich ängstlich, als ob Conway nie etwas gesagt hätte.
Vorübergehend nahm vor Conways geistigem Auge ein Bild des übel zugerichteten Körpers von FROB achtzehn Gestalt an, das zwischen ihm und der Patientin zu schweben schien. Sein eigenes medizinisches Wissen und das seines hudlarischen Gehirnpartners führten dazu, daß ihm der Fall plötzlich sehr naheging. Schließlich räusperte er sich verlegen und entgegnete: „Es tut mir außerordentlich leid, aber Ihr Lebensgefährte war so schwer verletzt, daß wir ihn nicht am Leben erhalten, geschweige denn operativ heilen konnten.“
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