James White
Der Wunderheiler
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 0604980
Titel der englischen Originalausgabe Code STAR HEALER
1995 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
James White wurde 1928 in Belfast in Nordirland geboren, wohin er zurückkehrte, nachdem er seine Kindheit und Jugend in Kanada verbracht hatte. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete er als PR-Manager einer Flugzeugfirma in seiner Heimatstadt. Seine erste Story, Assisted Passagec, erschien 1953 in dem avantgardistischen englischen SF-Magazin New Worlds. Sein erster Roman, the secret visitor, erschien 1957. Seitdem hat er über siebzig Erzählungen und über ein Dutzend Romane veröffentlicht. Am beliebtesten sind seine Erzählungen und Romane über das Orbit Hospitale, eine Klinik am Rande der Galaxis, in der die denkbar verschiedensten Lebensformen Behandlung erfahren. Dieser Zyklus entstand im Zeitraum von mehr als dreißig Jahren, umfaßt inzwischen neun Bände und wurde in alle Weltsprachen übersetzt. Er erscheint hier erstmals gesammelt in ungekürzter und koordinierter Neuübersetzung durch Kalla Wefel. Mehr als alle anderen Werke zeugt der Zyklus vom orbit hospital von der Toleranz und tiefen Menschlichkeit dieses Autors, der in einer von Intoleranz, religiösem Fanatismus und Gewalttätigkeit zerrissenen Stadt lebt.
Irgend etwas kam Conway an der neuesten Gruppe von Auszubildenden merkwürdig vor, als er zur Seite trat, um ihnen den Vortritt auf die Zuschauergalerie der hudlarischen Kinderstation zu lassen. Dabei spielte es weder eine Rolle, daß die vierzehn Studenten fünf grundverschiedenen Lebensformen angehörten, noch daß sie Conway — der immerhin Chefarzt an dem größten Hospital mit vielfältigen Umweltbedingungen der Galaxis war — mit einer Herablassung behandelten, die an Unverschämtheit grenzte.
Um zum Studium für Fortgeschrittene am Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf zugelassen zu werden, mußte der Bewerber nicht nur über ein hohes Maß an medizinischen und chirurgischen Fähigkeiten verfügen, sondern auch in der Lage sein, sich vorbehaltlos den verschiedensten Lebensformen und — umständen anzupassen, wie er sie sich im Krankenhaus seines Heimatplaneten nie hätte träumen lassen. Zu Hause wäre ein außerplanetarischer Patient eine echte Seltenheit, während man am Orbit Hospital gar keine anderen Patienten zu behandeln pflegte. Darüber hinaus hatten viele der neuen Studenten Probleme damit, nicht mehr als ein hochgeschätztes Mitglied der heimatlichen Ärzteschaft, sondern nur noch als einfacher Student am Orbit Hospital angesehen zu werden, aber daran gewöhnten sich die meisten schon bald.
Conway kam zu dem Schluß, daß ihm sein Verstand einen Streich spielte — wahrscheinlich, weil ihm im Moment so viel durch den Kopf ging. So gab es das Gerücht, daß Veränderungen bezüglich der Organisation seines Ambulanzschiffes vorgesehen seien, und am frühen Nachmittag stand für ihn eine einstündige Unterredung mit dem Chefpsychologen auf dem Programm — was man stets als ein äußerst unangenehmes Unterfangen bezeichnen konnte.
Außerdem war Conway wütend darüber, daß man ihm offenbar einen weit mehr als angemessenen Anteil an kurzfristigen Projekten und medizinischen Gelegenheitsarbeiten aufgedrückt hatte — wie zum Beispiel die Aufgabe, mit den Studenten den ersten Besichtigungsrundgang durchs Hospital zu machen — auch wenn die Besatzung seines speziellen Ambulanzschiffes in den letzten Monaten nur sehr wenige Einsätze gehabt hatte.
„Bei den Patienten auf der Station unter uns handelt es sich um Hudlarer im Kindesalter“, erklärte Conway, als die Studenten, hinter ihm und um ihn herum einen unordentlichen Halbkreis gebildet hatten. „Sie gehören einer Spezies mit einer ungeheuren Körperkraft an und sind als Erwachsene gegen Verletzungen und Krankheiten äußerst widerstandsfähig; und zwar in dem Maße, daß ihnen der Begriff der medizinischen Heilbehandlung noch bis vor kurzem unbekannt gewesen ist. Auf Hudlar gibt es keinen medizinischen Beruf, und die hohe Kindersterblichkeitsrate wurde einfach hingenommen. Von der ersten Minute der Geburt an werden die hudlarischen Kinder von einer großen Anzahl einheimischer Krankheitserreger befallen, und diejenigen unter ihnen, die keine Abwehrkräfte dagegen geerbt haben oder diese nicht rasch entwickeln können, gehen zugrunde. Das Hospital versucht zwar, ein breitgefächertes, in der pränatalen Phase durchzuführendes Immunisierungsverfahren zu entwickeln, doch sind diese Bemühungen bisher leider kaum von Erfolg gekrönt.“
Conway deutete auf einen jungen Hudlarer, der direkt unter ihnen stand und zu ihnen heraufblickte. „Aus der allgemeinen Haltung und der Muskulatur dieses Individuums werden Sie bestimmt schon gefolgert haben, daß sich die Spezies auf einem Planeten mit sehr hoher Schwerkraft und verhältnismäßig hohem atmosphärischem Druck entwickelt hat, unter Umweltbedingungen also, die hier auf der Station reproduziert werden. Außerdem werden Sie keine Betten oder Sitzmöbel bemerken; bewegungsfähige Patienten streunen einfach nach Lust und Laune umher. Da ihre Körperhaut so widerstandsfähig ist, sind gepolsterte Ruhebereiche überflüssig. Aufgrund der Schwierigkeiten, die andere Spezies damit haben, Hudlarer auseinanderzuhalten, sind an dem Metallstreifen an der linken Vordergliedmaße mittels Magneten die Erkennungsmarke und die Krankengeschichte des Patienten befestigt. Die sechs Gliedmaßen können dem Hudlarer sowohl als Greif- als auch als Fortbewegungsorgane dienen.
Auf dieser Station werden zwar die Schwerkraft und der atmosphärische Druck reproduziert“, fuhr Conway fort, „aber nicht die genauen Bestandteile der Atmosphäre des Heimatplaneten der Hudlarer. Diese Atmosphäre ähnelt einer dicken, zähflüssigen Suppe voller kleiner, schwebender Nahrungsteilchen, die von speziell entwickelten Hautbereichen aufgenommen und wieder ausgeschieden werden. Wir halten es für praktischer, die Hudlarer in regelmäßigen Abständen mit einem Nahrungspräparat zu besprühen, so, wie es gerade zwei der gepanzerten Krankenpfleger tun.
Möchte angesichts der Fakten, die Sie jetzt kennen, jemand von Ihnen diese Lebensform klassifizieren?“ fragte Conway in die Runde.
Einen Augenblick lang kam keine Antwort. Die orligianischen DBDGs bewegten sich unruhig hin und her, aber der Ausdruck auf ihren humanoiden Gesichtszügen wurde von der dichten Behaarung verdeckt. Das silbrige Fell der raupenähnlichen kelgianischen DBLFs befand sich zwar in ständiger Bewegung, doch die dadurch ausgedrückten Gefühle konnten nur von einem Angehörigen derselben Spezies oder von einem Wesen verstanden werden, das ein kelgianisches Physiologieband im Kopf gespeichert hatte. Und was die elefantenähnlichen tralthanischen FGLIs und die kleinen duwetzischen EGCLs anging, so waren deren Ausdrucksmerkmale zu sehr über den gesamten Körper verstreut, um sie als Ganzes auf die Schnelle deuten zu können, während die harten, knochigen Mundwerkzeuge und die tiefliegenden Augen der melfanischen ELNTs vollkommen ausdruckslos waren.
Als erster brach einer der vier melfanischen Studenten das Schweigen. „Sie gehören der physiologischen Klassifikation FROB an“, brummte es kurz aus dem Translator.
Melfaner auseinanderzuhalten war normalerweise schon schwierig genug, da alle erwachsenen ELNTs die gleiche Körpergröße hatten und der einzig sichtbare Unterschied in den feinen Abweichungen der Rückenpanzerzeichnungen bestand. Zwei der vier melfanischen Studenten schienen zudem eineiige Zwillinge zu sein, so daß es noch schwieriger fiel, sie auseinanderzuhalten, zumal einer von den beiden gerade gesprochen hatte.
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