„Sie können sich selbst ausmalen, was das bedeutet“, fuhr Conway schnell fort. „Nachdem Ihre Wunden verheilt sind und Ihr Kind zur Welt gekommen ist, wird man Sie aus dem Hospital entlassen. Aber anstatt sich in ein keimfreies Gefängnis auf Ihrem Heimatplaneten einzusperren und jegliche Betätigung stark einzuschränken, könnten Sie sich einen anderen Planeten aussuchen, auf dem das Fehlen Ihrer Abwehrkräfte keine Rolle spielt, weil die dortigen Krankheitserreger kein Interesse an Ihnen hätten.
Ihr Nahrungspräparat würde vor Ort künstlich hergestellt werden und wäre kein Infektionsherd“, setzte er die Erläuterung der Vorzüge fort. „In regelmäßigen Abständen wird jedoch eine medikamentöse Behandlung zur Unterdrückung der Abwehrkräfte erforderlich sein, damit Ihr Immunsystem nicht wieder zu arbeiten beginnt und das fremde Herz abstößt. Die Behandlung würde von einem Arzt der nächstgelegenen Dienststelle des Monitorkorps durchgeführt, den wir natürlich vorher über Ihren Fall voll und ganz ins Bild setzen werden. Dieser Korpsarzt wird Sie auch vor unmittelbar bevorstehenden Besuchen von Mitgliedern Ihrer Spezies warnen. Wenn es dazu kommen sollte, dürften Sie sich nicht in deren Nähe begeben. Sie sollten nicht im gleichen Gebäude wohnen, falls möglich nicht einmal in derselben Stadt.“
Anders als die Transplantationspatienten von vielen anderen Spezies, die nach einer kurzen Behandlung mit Medikamenten zur Unterdrückung der Abwehrkräfte Spenderorgane ohne Abstoßungsschwierigkeiten vertrugen, mußte das Immunsystem der Hudlarer fortwährend außer Kraft gesetzt werden. Aber nach Conways Auffassung war das jetzt nicht der geeignete Moment, um der Liste noch eine weitere Hiobsbotschaft hinzuzufügen.
„Auch mit Ihren Freunden zu Hause sollten Sie Neuigkeiten ausschließlich über den Kommunikator austauschen“, fuhr Conway fort. „Diesen Punkt muß ich besonders hervorheben. Ein Besucher Ihrer Spezies und selbst ein Paket, das Sie von zu Hause geschickt bekommen, würden die einzigen Krankheitserreger tragen, die Sie infizieren und töten könnten, und zwar sehr schnell.“
Er hielt kurz inne, damit FROB dreiundvierzig die volle Bedeutung seiner Worte begreifen konnte. Sie sah ihn auch weiterhin lange aufmerksam an, und ihre Membran wies keine Anzeichen dafür auf, daß sie etwas sagen wollte. Sie war eine FROB weiblichen Geschlechts, und gegenwärtig galt ihre Hauptsorge der sicheren Geburt, der zukünftigen Gesundheit und dem späteren Glück ihres Nachkommen.
War die Geburt erfolgreich abgeschlossen, wie es ohne Zweifel geschehen würde, hätte der verstorbene männliche Lebensgefährte zugegen sein müssen, um für das Kind zu sorgen und allmählich das weibliche Geschlecht anzunehmen. Wegen seines Tods müßte die Versorgung des Kinds von engen Verwandten übernommen werden. Direkt nach der Geburt würde FROB dreiundvierzig jedoch die unvermeidbare, vollständige Wandlung zum männlichen Geschlecht durchmachen und in diesem Zustand vom Verlust des Lebenspartners besonders betroffen sein.
Bis zum heutigen Tag hatten etliche Lebewesen aller möglichen intelligenten Spezies immer wieder den Lebensgefährten verloren. Entweder hatten sie gelernt, damit zu leben, oder sie waren losgezogen und hatten jemand anderen gefunden, der sie akzeptierte. In diesem Fall war das Problem, daß FROB dreiundvierzig mit keinem anderen Mitglied ihrer Spezies in Körperkontakt treten durfte und deshalb für den Rest ihres Lebens dem männlichen Geschlecht angehören würde, was für einen noch jungen erwachsenen Hudlarer ein äußerst frustrierender und trauriger Zustand war.
Aus dem Schwall an hudlarischen Informationen, die in Zusammenhang mit geschlechtlichen Fragen standen und die sich nun über Conways Verstand ergossen, schälte sich ein rein terrestrischer Gedanke heraus. Wie wäre es, für immer von Murchison und jedem anderen Mitglied der eigenen Spezies getrennt zu sein? Solange er mit Murchison zusammenleben könnte, würde es ihm nichts ausmachen, nur mit einem Haufen Extraterrestrier zu sprechen und zu arbeiten — das war ja sowieso die tägliche Situation am Orbit Hospital. Aber von dem einen warmen, menschlichen, intimen und sowohl körperlich als auch geistig anregenden Kontakt abgeschnitten zu sein, den er so viele Jahre lang als selbstverständlich betrachtet hatte, er wußte wirklich nicht, wie er sich in dem Fall verhalten hätte. Die Frage war nicht zu beantworten weil die Situation unvorstellbar war.
„Ich verstehe“, sagte die Patientin plötzlich, „und ich danke Ihnen, Doktor.“
Sein erster Impuls war, den Dank zurückzuweisen und sich statt dessen zu entschuldigen. Durch das Hudlarerband verfügte er über das Verständnis, das ihm im Grunde auch zum Hudlarer machte, und er wollte der FROB sagen, wie aufrichtig leid es ihm tat sie dem Trauma dieser hochkomplizierten und fachlich schwierigen Operation ausgesetzt zu haben, das ihr durch so viele Jahre hindurch psychisches Leid bereiten würde. Aber ihm war ebenfalls klar, daß sein Verstand im Moment auf alles, was Hudlarer betraf überempfindlich reagierte, und in derart sentimentaler und unprofessioneller Weise sollte ein Arzt nicht mit einem Patienten reden.
Statt dessen sagte er in beruhigendem Ton: „Ihre Spezies ist, was Arbeitsumgebungen angeht, äußerst anpassungsfähig und für Bauvorhaben auf Planeten und im All in der ganzen Föderation sehr begehrt, und Sie werden sich von der Operation vollkommen er holen. Mit gewissen persönlichen Einschränkungen, zu deren Überwindung Sie ein hohes Maß an geistig-seelischer Disziplin benötigen werden, können Sie sich auf ein sehr aktives und nützliches Leben freuen.“
Glückliches Leben wollte er lieber nicht sagen, denn solch ein großer Lügner war er nun auch wieder nicht.
„Ich danke Ihnen, Doktor“, sagte die Patientin erneut.
„Bitte entschuldigen Sie mich jetzt“, sagte Conway und floh.
Aber nicht für lange. Das rasche, unregelmäßige Klopfen sechs melfanischer Beine mit harten Spitzen signalisierte das Eintreffen von Chefarzt Edanelt.
„Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht, Conway“, lobte ihn der Chefarzt. „Eine herrliche Mischung aus nüchterner Wahrheit, Mitgefühl und Aufmunterung, obwohl Sie mit der Patientin ein ganzes Stück mehr Zeit verbracht haben, als es für einen Diagnostiker normal ist. Jedenfalls ist für Sie eine Nachricht von Thornnastor eingegangen, in der er Sie um ein Treffen bittet, wann und wo es Ihnen beliebt. Er hat nichts Genaues gesagt, nur daß es sich um den Beschützer drehe und dringend sei.“
„Wenn ich Zeit und Ort wählen kann, wird es schon nicht allzu dringend sein“, entgegnete Conway langsam, der mit den Gedanken noch immer bei den zukünftigen Problemen von FROB dreiundvierzig war. „Wie ist es eigentlich um FROB drei und zehn bestellt?“
„Die müssen ebenfalls dringend beruhigt werden“, antwortete Edanelt. „FROB drei hat der Verantwortung von Yarrence unterstanden, der die komplizierte Operation der eingedrückten Schädelfraktur und des darunter liegenden Gewebes ganz hervorragend bewältigt hat. Allerdings war keine Organverpflanzung erforderlich. Rein optisch wird FROB drei für seine Kameraden ein ästhetisch ansprechendes Lebewesen sein und im Gegensatz zu FROB zehn und dreiundvierzig auch nicht lebenslang von seinem Heimatplaneten und seinen Angehörigen getrennt sein.
FROB zehn steht wohl vor denselben Langzeitproblemen wie FROB dreiundvierzig“, fuhr der Melfaner fort. „Die Verpflanzungen mehrerer Gliedmaßen und des Absorptionsorgans sind allesamt gut verlaufen, und die Prognose lautet auf vollständige Genesung unter der üblichen strengen Behandlung mit Medikamenten zur Unterdrückung der Ab Wehrkräfte. Da Sie wenig Zeit haben, sollte ich mich vielleicht mit dem einen unterhalten, während Sie mit dem anderen sprechen.
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