„Zuerst mal essen“, antwortete Conway und gähnte aus Mitleid mit. „Dann muß ich den Zustand des FSOJ überprüfen. Erinnerst du dich an diesen Beschützer? Du bist damals bei seiner Geburt dabeigewesen.“
Selbstverständlich erinnerte sie sich an ihn, und das gab sie Conway in Worten zu verstehen, die alles andere als damenhaft waren.
„Wie lange ist es her, seit du das letztemal geschlafen hast?“ wollte sie von ihm wissen, wobei sie versuchte, ihre Besorgnis zu kaschieren, indem sie so tat, als wäre sie wütend auf ihn. „Du siehst schon schlimmer aus als so mancher Patient auf der Intensivstation. Deine Gehirnpartner werden nicht müde sein, weil sie das zur Zeit der Aufnahme ihrer Gehirnströme auch nicht gewesen sind, aber laß dich bloß nicht von ihnen dazu verleiten, selbst zu glauben, unermüdlich zu sein.“
Conway unterdrückte ein zweites Gähnen und streckte dann plötzlich die Arme aus, um Murchison um die Taille zu fassen. Als er sie hielt, war er sich ziemlich sicher, daß seine Arme nicht zitterten, und obwohl seine Erregung ähnlichen Gefühlen seiner Alter egos entsprach, zog sich der Kuß dennoch weniger in die Länge als normalerweise. Murchison schob ihn sanft von sich weg.
„Mußt du sofort losgehen?“ fragte er, während er ein weiteres ausgiebiges Gähnen zu unterdrücken versuchte.
Murchison lachte. „In dem Zustand werde ich bestimmt nicht mit dir herumalbern. Wahrscheinlich würdest du sowieso tot umfallen. Leg dich lieber ins Bett, bevor du im Stehen einschläfst. Ich mache dir noch schnell was zu essen, bevor ich gehe, irgendwas, das in einem Sandwich versteckt ist, damit deine Gehirnpartner nichts gegen deine Mahlzeit einzuwenden haben.“
Während sie sich am Essensspender beschäftigte, fuhr sie fort: „Thorny ist am Schwangerschaftsverlauf des Beschützers sehr interessiert und hat mich gebeten, die Verfassung des Patienten in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Falls sich dort etwas Ungewöhnliches ergeben sollte, rufe ich dich. Und ich bin sicher, die Chefärzte im hudlarischen OP werden es genauso handhaben.“
„Ich sollte das alles wirklich lieber selbst überprüfen“, wandte Conway ein.
„Wozu hast du eigentlich Assistenten, wenn du noch immer darauf bestehst, alles selbst zu machen?“ warf sie ihm ungeduldig vor.
Die Reste des ersten Sandwiches in der einen Hand und eine Tasse mit einer nicht spezifizierten, aber zweifellos nahrhaften Flüssigkeit in der anderen, setzte sich Conway auf ihr gemeinsames Bett. „An deinem Einwand ist durchaus etwas dran“, stimmte er ihr schließlich zu.
Sie drückte ihm flüchtig einen fast schwesterlichen Kuß auf die Wange, um sowohl seine Alter egos als auch ihn selbst so wenig wie möglich aufzuregen, und verließ ohne ein weiteres Wort die Unterkunft. O'Mara schien ihr eine ziemlich gründliche Standpauke bezüglich ihres Verhaltens gegenüber einem Lebensgefährten gehalten zu haben, der erst vor kurzem ein Diagnostiker auf Probe geworden war und der sich noch auf den damit verbundenen Gefühlsaufruhr innerlich einstellen mußte.
Falls ihm das nicht bald gelang, konnte er sich allerdings darauf gefaßt machen, zukünftig nicht mehr allzuviel Spaß am Leben zu haben. Das Problem war nur, daß ihm Murchison nur selten Gelegenheit gab, es wenigstens einmal zu versuchen.
Auf einmal wachte er mit ihrer Hand auf der Schulter und den verblassenden Nachwirkungen eines Alptraums auf — bei dem es sich allerdings möglicherweise auch um den Wunschtraum eines Aliens gehandelt haben konnte —, der nur allmählich in die angenehme Realität ihrer gemeinsamen Unterkunft überging.
„Du hast geschnarcht“, flüsterte Murchison ihm ins Ohr. „Wahrscheinlich hast du die letzten sechs Stunden lang geschnarcht. Die Teams aus dem Hudlarer-OP und vom Beschützer haben dir Nachrichten auf Band hinterlassen. Offensichtlich handelt es sich dabei nicht um allzu dringende oder wichtige Angelegenheiten, sonst hätte man dich bestimmt wecken lassen. Die übrigen Dinge im Hospital gehen ihren gewohnten Gang. Willst du noch weiterschlafen?“
„Nein“, antwortete Conway und streckte die Hände aus, um ihre Taille zu umfassen. Murchisons Widerstand war nur gespielt.
„Ich glaube nicht, daß O'Mara das gutheißen würde“, reagierte sie zurückhaltend, wobei in ihrer Stimme deutliche Zweifel mitklangen. „Er hat mich davor gewarnt, daß es zu Gefühlskonflikten kommen könnte, und zwar mit solch schwerwiegenden Folgen, daß unsere Beziehung dauerhaft darunter leiden würde, wenn du dich nicht langsam und ganz beherrscht auf die neue Situation einstellen kannst, und außerdem ist O'Mara.“
„Und außerdem ist O'Mara nicht mit der schönsten weiblichen DBDG im Hospital verheiratet“, fiel ihr Conway ins Wort. „Und seit wann handle ich überstürzt und unbeherrscht?“
„O'Mara ist mit niemand anderem verheiratet als mit seiner Arbeit“, stimmte Murchison ihm lachend zu. „Und ich glaube, seine Arbeit würde sich wegen ständiger Überarbeitung auf der Stelle von ihm trennen, wenn sie könnte. Aber unser Chefpsychologe versteht sein Geschäft, und ich möchte nicht das Risiko einer vorzeitigen Überreizung deines.“
„Jetzt laß doch mal das ewige Gerede“, schnitt ihr Conway sanft das Wort ab.
Möglicherweise hatte der Chefpsychologe recht, dachte Conway, als er Murchison sanft neben sich aufs Bett zog; eigentlich hatte O'Mara immer recht. Seine Alter egos wurden zunehmend ungehaltener und betrachteten die Gesichtszüge auf der Vorderseite des Schädels und die sanft gewölbten Brüste der terrestrischen DBDG, die ihnen derart nahe waren, mit der typischen Mißbilligung fremder Spezies. Und als sich zu der optischen Wahrnehmung auch noch Tastempfindungen gesellten, stieg dieses Mißfallen aufs Äußerste.
Sie reagierten mit geistigen Bildern von dem, was in der entsprechenden Situation bei Hudlarern, Tralthanern, Kelgianern, Melfanern, Illensanern und Gogleskanern vorging, und behaupteten, daß Conways Vorgehen vollkommen und geradezu empörend falsch sei. Was noch schlimmer war, sie versuchten, auch Conway zu der Ansicht zu bringen, er mache alles verkehrt und die Partnerin neben ihm müsse eigentlich zu einer ganz anderen physiologischen Klassifikation gehören, wobei die genaue Spezies von der Gefühlsintensität desjenigen Wesens abhing, das gerade am stärksten protestierte.
Selbst die Gogleskanerin beteuerte, das diese Betätigung grundverkehrt sei, distanzierte sich jedoch von den Vorgängen im Gehirn. Khone war eine krasse Individualistin, ein perfektes Beispiel für eine Einzelgängerin inmitten einer Spezies, die sich bis zu einem Punkt entwickelt hatte, an dem Einsamkeit ein grundlegendes Überlebensmerkmal darstellte. Und plötzlich wurde Conway bewußt, daß er sich Khones gogleskanischer Haltung und ihrer Fähigkeiten bediente, wie er sich ihrer schon mehrmals zuvor bedient hatte, um die Gedanken und Empfindungen zu verdrängen, die einfach verdrängt werden mußten, und seinen terrestrischen Verstand auf das zu richten, was die größte Konzentration erforderte.
Doch waren die Proteste der Aliens immer noch stark, aber die Querulanten wurden in ihre Schranken verwiesen und ganz hintangestellt. Sogar die Einwände der Gogleskanerin wurden zwar zur Kenntnis genommen, ansonsten aber ignoriert. Conway setzte die einzigartige Fähigkeit der FOKT nicht nur gegen die anderen Aliens, sondern auch gegen sie selbst ein, und Khones Spezies wußte ganz genau, wie man sich auf etwas zu konzentrieren hatte.
„Das. sollten wir. lieber lassen“, stammelte Murchison atemlos.
Conway überhörte ihren Einwand und konzentrierte sich auf alles andere. Hin und wieder drängten sich ihm Reaktionen der fremden Lebensformen in entsprechenden Situationen auf, die nachdrücklich hervorhoben, daß seine Partnerin zu groß, zu klein, zu zerbrechlich war, die falsche Form hatte oder sich in der falschen Stellung befand. Doch die Organe, mit denen er sah und fühlte, waren die eines männlichen Terrestriers, und die Reize, die sie wahrnahmen, begruben die rein geistige Einmischung der Aliens einfach unter sich. Gelegentlich schlugen ihm seine Alter egos bestimmte Maßnahmen und Bewegungen vor. Auch die ignorierte er, außer in ein paar Fällen, wenn er sie für seine eigenen Zwecke abändern konnte. Aber letztendlich waren alle Einwürfe und Einwände der Aliens vergebens, und der Hauptreaktor des Hospitals hätte in die Luft gehen können, ohne daß Conway allzuviel davon mitbekommen hätte.
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