Dabei ist es im Moment eher genau umgekehrt, dachte Conway grimmig.
„Niemand erwartet von Ihnen, alles selbst zu machen, Conway“, stellte Hossantir in ernstem Ton fest.
Dem Tralthaner war ganz offensichtlich bewußt, daß mit Conway irgend etwas nicht stimmte — Hossantirs Augen entging nichts, selbst wenn alle vier in verschiedene Richtungen blickten. Ein paar Minuten sah Conway noch zu, bis das Team zusammengerückt war, dann verließ er FROB dreiundvierzig, um die Fortschritte bei den anderen beiden Patienten zu überprüfen.
FROB zehn war das Absorptionsorgan bereits erfolgreich eingepflanzt worden, und Edanelt und sein Team befaßten sich jetzt mit den an den neuen Gliedmaßen erforderlichen mikrochirurgischen Eingriffen. Der Patient befand sich jedenfalls außer Gefahr, da das frisch eingepflanzte Organ durch das Auftragen des Nahrungspräparats getestet worden war und die Sensoren anzeigten, daß es zufriedenstellend arbeitete. Während er dem Team zu seiner Arbeit gratulierte, starrte Conway auf die schweren Klammern, die die Ränder der Wunde zusammenhielten — sie waren so eng zusammengepreßt, daß die Wunde wie ein riesiger Reißverschluß aussah. Doch um die harte, dicke und unglaublich widerstandsfähige Haut eines FROBs fest zusammenzuhalten, war dieses Vorgehen absolut erforderlich, und die Klammern wiesen eine instabile Molekularstruktur auf, damit man sie nach Abschluß des Heilungsprozesses zum Abnehmen elastisch machen konnte.
Doch eine fast unsichtbare Narbe dürfte wohl das geringste Problem des Patienten sein, beteuerte der hudlarische Teil in seinem Gehirn.
Auf einmal überfiel ihn das Gefühl, vor dieser ganzen großen Chirurgie und den damit verbundenen postoperativen Problemen am liebsten weglaufen zu müssen, als noch eine Untersuchung am dritten hudlarischen Patienten vorzunehmen.
Yarrence hatte seine Bemühungen auf die Schädelverletzungen konzentriert und die Bauchwunde von FROB drei den Ärzten überlassen, die durch den Tod von FROB achtzehn frei geworden waren, während die übrigen Mitglieder beider Teams mit der Amputation und dem Annähen der Gliedmaßen beschäftigt waren. Schon nach wenigen Minuten stand fest, daß sie zwar eine äußerst komplizierte, aber glatt ablaufende Operation durchführten.
Den rings ums Gestell geführten Gesprächen entnahm Conway, daß es sich zudem um eine noch nie dagewesene Operation handelte. Die fehlenden Vorderglieder durch zwei der hinteren zu ersetzen, hatte Conway für die naheliegendste Lösung des Problems von FROB drei gehalten. Obwohl sie sich nicht so präzise bewegen ließen wie die ursprünglichen Glieder, sollten sie in jeder Hinsicht wesentlich befriedigender sein als Prothesen, und außerdem dürfte es keine Abstoßungsprobleme geben. In den alten medizinischen Lehrbüchern hatte er von terrestrischen Armamputierten gelesen, die gelernt hatten, mit den Füßen zu zeichnen, zu schreiben und sogar zu essen, und hudlarische Beine waren sehr viel anpassungsfähiger als die von terrestrischen DBDGs. Doch von der Bewunderung, die diese einfache Lösung beim Team hervorgerufen hatte, war Conway peinlich berührt, denn unter den gegenwärtigen Umständen hätte jeder darauf kommen können.
Was noch nie dagewesen war, waren die Umstände: die Katastrophe im Meneldensystem, die sowohl die Ursache für schwerverletzte Hudlarer gewesen war, an denen Transplantationen vorgenommen werden mußten, als auch für prompt verfügbare Spenderorgane. Die Möglichkeit, daß einer der Transplantationsfälle mit der Zugabe von einem Paar Vordergliedern auf seinen Heimatplaneten zurückkehren konnte, die beinahe so gut waren wie die ursprünglichen, war ein Gedanke, der jedem moralischen Feigling wie ihm hätte kommen können, der sich vor den postoperativen Gesprächen mit Patienten fürchtete, deren Transplantate nicht von ihnen selbst, sondern von normalen Spendern stammten.
In Gedanken notierte sich Conway, FROB drei von FROB zehn und dreiundvierzig zu trennen, bevor sie das Bewußtsein wiedererlangten und sich miteinander unterhalten konnten. Die Atmosphäre zwischen FROB zehn und seinen beiden weniger glücklichen Kollegen dürfte sich, gelinde gesagt, als angespannt herausstellen und ihre Genesung sich schon schwierig genug gestalten, ohne daß zwei der drei vor Neid platzen würden.
Das Erwägen der Probleme der FROBs hatte wieder den hudlarischen Teil von Conways Verstand in den Vordergrund gerückt, und es war schwierig, bei dem Gedanken an die Lebensweise des Patienten nach der Operation nicht mitzufühlen und mitzuleiden. Er versuchte, die Meinung der tralthanischen, melfanischen und kelgianischen Teile einzuholen, die als Ärzte einer anderen Spezies den Sachverhalt etwas nüchterner hätten betrachten müssen. Doch auch sie hatten allzuviel Mitleid und reagierten schmerzlich berührt. Verzweifelt rief er das Gedächtnis von Khone, der Gogleskanerin, wach, die sich ihren gesunden Verstand und ihre Intelligenz erhielt, indem sie sich von jedem engen Kontakt mit ihren Gefährten abschottete.
Das gogleskanische Gedächtnis hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit denen vom normalen Schulungsband. Es war plastischer, direkter, als würde tatsächlich ein anderes Wesen das Gehirn mit einem teilen, mit welchem Widerwillen auch immer. Bei diesem hohen Maß an Verständnis, das zwischen Conway und Khone herrschte, fragte er sich, was es für ein Gefühl wäre, die Gogleskanerin wiederzusehen und mit ihr zu sprechen.
Im Hospital war diese Begegnung so gut wie ausgeschlossen, da war sich Conway sicher, denn die Eindrücke des Aufenthalts am Orbit Hospital würden Khone wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, und O'Mara gäbe sowieso nie seine Erlaubnis dazu. Einer der strengsten Grundsätze des Chefpsychologen lautete, daß sich Urheber und Träger eines Bands nie begegnen dürften, und zwar aufgrund des in seiner Stärke unberechenbaren psychologischen Traumas, das sich einstellen könnte, wenn zwei Lebewesen von vollkommen verschiedenen Spezies, aber mit identischen Persönlichkeiten, Gedanken auszutauschen versuchten.
Im Licht dessen, was Conway auf Goglesk widerfahren war, mußte O'Mara diesen Grundsatz vielleicht abändern.
Und jetzt verlangten auch die Probleme der Gogleskaner nach Conways Aufmerksamkeit, genau wie seine tralthanischen, kelgianischen, melfanischen und illensanischen Gehirnpartner. Er zog sich bis zu einer Stelle zurück, von der aus er in der Lage war, die Tätigkeiten rings um alle drei Operationsgestelle zu verfolgen, ohne daß die Mitglieder der Teams seine inneren Qualen sehen konnten. Doch das Stimmengewirr der Aliens in seinem Kopf war so schlimm, daß er kaum sprechen konnte, und nur mit großer Mühe war es ihm möglich, sich zu irgendeinem Gesichtspunkt der Arbeit kritisch zu äußern oder einem der Ärzte ein lobendes Wort zu sagen. Auf einmal wollte er nur noch raus und vor seinen vielen Ichs, die allesamt zu hohe Anforderungen an ihn stellten, einfach fliehen.
Mit gewaltiger Anstrengung führte er seine fremdartigen Finger zur Sendetaste für die Kommunikation auf sämtlichen Kanälen und sagte vorsichtig: „Sie sind alle viel zu gut, und für mich gibt es hier nichts zu tun. Falls Schwierigkeiten auftauchen sollten, rufen Sie mich auf der Rot-drei-Frequenz. Auf der Methanebene wartet eine Angelegenheit auf mich, um die ich mich sofort kümmern muß.“
Als er den OP verließ, bog Hossantir einen Augenstiel in seine Richtung und sagte mit ernster Stimme: „Immer ruhig Blut, Conway!“
Die Station war kalt und dunkel. Zum Schutz vor der vom Flugverkehr in unmittelbarer Umgebung des Orbit Hospitals freigesetzten Strahlung und Hitze war sie stark abgeschirmt und isoliert, und sie besaß auch keine Fenster, da selbst der von den fernen Sternen ausgehende Schimmer nicht in diese Ebene eindringen durfte. Aus diesem Grund waren die Bilder, die auf dem Bildschirm des Fahrzeugs erschienen, aus dem nicht sichtbaren Spektrum ins sichtbare umgewandelt worden, was ihnen den unwirklichen Anstrich von Phantasien gab. Die Schuppen, von denen Diagnostiker Semlics seesternförmiger Körper mit den acht Tentakeln bedeckt war, strahlten kalt wie vielfarbige Diamanten durch den Methannebel und ließen ihn wie irgendein wunderbares Wappentier erscheinen.
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