Es geschah in der fünften Stunde der verschiedenen chirurgischen Eingriffe. Die Operation des eingedrückten Schädelbruchs und der Arterien bei FROB drei war gut verlaufen, und die weniger kritische Verpflanzung der Gliedmaßen ging in zufriedenstellender Weise voran. Bei FROB zehn waren die Transplantation der Absorptionsorgane abgeschlossen und die Dekompressionsschäden behoben worden, so daß sich auch dieser Patient nur noch den langwierigen mikrochirurgischen Arbeiten an den Gliedmaßen unterziehen mußte. Darum war es nur natürlich, daß sich Conway am Gestell von FROB dreiundvierzig festhakte, um Hossantir bei den äußerst heiklen ersten Schritten zuzusehen, das Spenderherz in den neuen Körper einzusetzen.
Plötzlich schoß lautlos eine Fontäne Hudlarerblut hervor.
Hossantir stieß einen Laut aus, der nicht übersetzt wurde, und seine Greiforgane, die die Instrumente mit den langen Griffen hielten, tasteten ungeheuer langsam in dem vollkommen vom Blut verdeckten Operationsfeld umher. Sein Assistent, dessen Bewegungen ebenfalls jede Eile vermissen ließen — was nur auf den subjektiven Eindruck der sich in Conways Kopf überschlagenden Gedanken zurückzuführen sein konnte —, führte eine Klammer ein, konnte jedoch nicht das blutende Gefäß finden. Dank der Übung, auf solche Notfälle schnell und sicher zu reagieren, bewegte sich Conway nicht langsam.
Er konnte sich überhaupt nicht bewegen.
Seine Hände, seine dummen fünfingrigen, terrestrischen und völlig fremdartigen Hände zitterten unkontrollierbar, während sich sein aus vielen Teilen bestehender Verstand verzweifelt zu entscheiden bemühte, was er mit ihnen anstellen sollte.
Daß Ärzten, die zu viele Bänder im Kopf gespeichert hatten, etwas Derartiges zustoßen konnte, wußte Conway, aber ihm war auch klar, daß es nicht zu oft geschehen durfte, wenn der betreffende Arzt hoffte, seinen Weg als Diagnostiker erfolgreich zu gehen. Krampfhaft versuchte er, die widerstreitenden Parteien in seinem Kopf zur Ordnung zu bringen, indem er sich an O'Mara erinnerte, der, was konfuses Denken betraf, absolut kein Mitgefühl besaß — vor allem erfuhr er aus der Erinnerung an den Chefpsychologen, was die Schulungsbänder bedeuteten und — noch wichtiger — was sie nicht bedeuteten.
Egal, welche subjektiven Eindrücke er hatte, die fremden Persönlichkeiten, die offenbar den Verstand mit ihm teilten, übernahmen nicht die Kontrolle darüber — sein terrestrisches Gehirn hatte lediglich eine große Menge extraterrestrischen Wissens erhalten, aus dem es schöpfen konnte. Doch es war äußerst schwierig, sich selbst davon zu überzeugen, da die Kenntnisse von anderen Spezies in seinem Kopf von Ärzten stammten, die ganz eigene Vorstellungen davon hatten, wie er auf diesen Notfall reagieren sollte.
Diese Vorstellungen waren äußerst gut, besonders die des melfanischen und des tralthanischen Bestandteils. Doch sie erforderten den Einsatz der Zangen der ELNTs beziehungsweise der primären Greiforgane der FGLIs, nicht terrestrischer Finger, und Conway wurde dazu gedrängt, zu viele Dinge auf einmal mit den falschen Organen zu tun.
Hossantirs melfanischer Assistent, dessen Kennkarte, wie alles in unmittelbarer Nähe des Operationsfelds, durch den blutigen Sprühnebel nicht zu erkennen war, rief in eindringlichem Ton: „Ich kann nichts mehr sehen. Mein Visier ist völlig.“
Schnell säuberte ihm eine der Schwestern den Helm vor den Augen, ohne Zeit mit dem Rest der durchsichtigen Kugel zu verschwenden. Aber während Conway hinsah, wurde das runde Etwas schon wieder von einem feinen, gelben Sprühnebel bedeckt. Und das war nicht das einzige Problem, denn die Lichtquellen der Instrumente tief im Operationsfeld waren genauso getrübt.
Der tralthanische Chefarzt war der Blutfontäne am nächsten gewesen, deshalb war nur der Vorderteil seines Kugelhelms betroffen. Eins seiner Augen schwenkte nach hinten, um Conway durch die immer noch durchsichtige hintere Hälfte zu betrachten.
„Wir benötigen Hilfe, Conway. Können Sie uns einen Vorschlag machen?“ setzte Hossantir an. Dann bemerkte er die zitternden Hände des Diagnostikers in spe und fragte: „Ist Ihnen nicht gut?“
Langsam ballte Conway die Fäuste — alles schien im langsamsten Zeitlupentempo abzulaufen — und antwortete: „Das ist nur vorübergehend.“
das hoffe ich jedenfalls, fügte er im stillen hinzu.
Aber die fremden Persönlichkeiten, die nicht wirklich da waren, verlangten immer noch lautstark um Aufmerksamkeit. Er versuchte, immer alle bis auf eine zur Zeit zu ignorieren, wobei ihm dunkel das Prinzip des divide et impera vorschwebte, doch das funktionierte auch nicht. Alle seine Gehirnpartner boten ihm medizinischen oder chirurgischen Rat an, alle besaßen unter den gegenwärtigen Umständen potentielles Gewicht, und alle verlangten eine sofortige Reaktion. Die einzigen vorhandenen Kenntnisse, die sich nicht in den Vordergrund drängten, waren die versehentlich von Khone bereitgestellten gogleskanischen Informationen, und die waren sowieso von geringem Wert. Doch aus irgendeinem Grund kehrten Conways Gedanken immer wieder gerade zu ihnen zurück und klammerten sich an diese erschreckte, aber willensstarke fremde Persönlichkeit, als wäre sie eine Art psychologischer Rettungsinsel.
Khones Ausstrahlung war überhaupt nicht wie die deutlichen, intensiven und künstlich verstärkten Eindrücke, die die Schulungsbänder hervorriefen. Er stellte fest, daß er sich auf die geistigen Eindrücke des kleinen Wesens konzentrierte, obwohl die merkwürdigen und optisch furchterregenden Kreaturen rings um das Operationsgestell drohten, es zu einer Panikreaktion zu verleiten. Aber zum gogleskanischen Wissen gehörten auch Kenntnisse über Conways Arbeit am Orbit Hospital, und die hatten Khone bis zu einem gewissen Grad auf genau solch ein Erlebnis wie dieses vorbereitet. Außerdem gehörte Khone zu einer Spezies von Individualisten, deren Denkvorgänge geschickt jede Berührung mit den Wesen in ihrer Nähe vermieden, beziehungsweise deren Einfluß überwanden.
Khone wußte besser als jedes andere Lebewesen, das Conway kannte, wie man andere ignorierte.
Ganz plötzlich zitterten seine Hände nicht mehr, und das Stimmengewirr der Aliens in seinem Kopf war zu einem leisen Murmeln geworden, das er nach Belieben überhören konnte. Er tippte dem melfanischen Assistenten Hossantirs hart auf den Panzer.
„Bitte treten Sie zurück, und lassen Sie die Instrumente an ihrem Platz“, sagte er. An den tralthanischen Chefarzt gewandt, fügte er hinzu: „Das Blut schlägt sich auf allem im Operationsfeld nieder, auch auf den Lupen und Lichtquellen der Instrumente und, wenn wir nahe herankommen, auf den Visieren. Wir müssen.“
„Die Absaugpumpe funktioniert nicht, Conway!“ fiel ihm Hossantir ins Wort. „Solange die Blutung nicht an der Austrittsstelle gestoppt wird, kann sie das auch gar nicht. Aber die Austrittsstelle können wir nicht sehen!“
„Benutzen Sie die Scanner in Verbindung mit Ihren Händen und Augen“, fuhr Conway in ruhigem Ton fort und umfaßte die kleinen, hohlkegelförmigen Griffe der melfanischen Klammer mit seinen terrestrischen Fingern.
Da das normale Sehvermögen wegen der unmittelbaren Nähe des Helms zum Sprühnebel aus der Wunde nutzlos war, hatte Conway die Absicht, Hossantir die beiden Scanner so angewinkelt halten zu lassen, daß sie aus zwei verschiedenen Blickwinkeln und so großer Entfernung wie möglich auf das Operationsfeld gerichtet waren. Das würde ein exaktes, räumliches Bild von den Vorgängen ergeben, die ihm der Chefarzt beschreiben könnte, und gleichzeitig wäre Hossantir in der Lage, die Bewegungen der Klammer zu dirigieren. Conway wollte blind operieren, aber nur so lange, bis er das blutende Gefäß gefunden und verschlossen hatte. Danach konnte die Operation auf normale Weise fortgesetzt werden. Hossantir standen ein paar äußerst unangenehme Minuten bevor, in denen zwei seiner vier Augen bis an den Rand des abgeflachten, ovalen Helms ausgestreckt werden mußten. Außerdem solle er sich vorübergehend von der Operation zurückziehen, erklärte ihm Conway in entschuldigendem Ton, um seine Scanner und den Helm nicht mit dem Sprühnebel in Berührung kommen zu lassen.
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