„Eisen?“ rief der Koordinator.
„Nein!“ Der Ingenieur verschwand zwischen den ungefügen Bruchstücken eines Teils, das an einen geborstenen Kegel erinnerte. Er trat zwischen den hohen Stielen wieder hervor, die knisternd zerbrachen, als er sie auseinanderbog, und kehrte mit düsterer Miene zurück. Mehrere Hände streckten sich ihm entgegen, er klomm hinauf und zuckte beim Anblick der erwartungsvollen Gesichter mit den Schultern. „Keine Ahnung, was es sein könnte. Ich weiß es nicht. Das da ist leer.
Darunter ist nichts. Weit fortgeschrittene Korrosion. Eine alte Geschichte, vielleicht vor hundert, vielleicht auch vor dreihundert Jahren passiert.…“ Sie schritten stumm um den Krater herum und wählten den Weg durch das Gebüsch, wo es am niedrigsten war. Plötzlich wich es nach beiden Seiten zurück. In der Mitte zog sich ein schmaler Streifen hin. Er war so schmal, dass ein Mensch kaum darauf gehen konnte, eine Art Furche, schnurgerade. Die Stiele zu beiden Seiten schienen zerschnitten und zerdrückt zu sein, die tannenzapfenartigen Verdickungen zum Teil beiseite gedrängt, auf die anderen Spinnenpflanzen, zum Teil auch in den Boden gepreßt. Sie waren völlig platt, trocken, ihre Hüllen knirschten unter den Sohlen wie ausgedörrte Baumrinde. Die Männer beschlossen, dem ausgeschnittenen Trakt durch das Gebüsch im Gänsemarsch zu folgen. Sie mussten zwar die Reste der trockenen Stiele erst beiseite räumen, aber sie kamen doch schneller voran als vorher. Die Schneise führte in großem Bogen immer deutlicher nach Norden. Endlich konnten sie die letzten Pflanzenkrüppel hinter sich lassen, sie hatten die Schonung durchquert. Vor ihnen lag wieder die Ebene.
Dort, wo der Pfad das Gebüsch verließ, schloss sich ihm eine flache Spur an. Beim ersten Hinsehenglaubten sie, es sei ein Steg, es war aber keiner. Eine Furche, ein schmaler Graben war in den Boden gewühlt, etwa ein Dutzend Zentimeter tief und kaum breiter. Er war von Flechten bewachsen, die grünlich-silbern und samtweich waren. Dieser eigenartige „Rasen“, wie der Doktor ihn nannte, führte pfeilgerade zu einem hellen Gürtel, der wie eine Mauer von einem Rand der Ebene zum anderen reichte und den ganzen Horizont vor ihnen abschloss. Spitze Erhebungen, wie silberblechbeschlagene gotische Türme, leuchteten über jenem Gürtel. Sie gingen in schnellem Schritt weiter, und je näher sie kamen, um so mehr Einzelheiten waren zu erkennen.
Seitwärts erstreckte sich kilometerweit eine Fläche, von regelmäßigen Bögen durchzogen, gleichsam das Dach eines überdimensionalen Hangars, wobei die Wölbung der Bögen nach unten gekehrt war.
Darunter flimmerte es grau, als riesele von den Gewölben feiner Staub oder als stäube dort trübes Wasser herab. Als sie noch näher kamen, trug der Wind einen fremdartigen Geruch herbei, der bitter, aber angenehm war, wie von unbekannten Blumen. Sie marschierten mittlerweile in kürzerem Abstand zueinander. Die bogenförmige Überdachung ragte immer höher auf, jeder Bogen überspannte wie ein gigantisches umgekehrtes Brückenjoch eine Entfernung von fast einem Kilometer. Dort, wo sich vor dem Hintergrund der Wolken zwei Bögen in sichtbarer Spitze vereinigten, leuchtete irgend etwas intensiv in gleichmäßig flackerndem Licht, als reflektierten feststehende Spiegel die Sonnenstrahlen nach unten.
Die Wand ihnen gegenüber bewegte sich. Sie bestand aus Bächen oder Schnüren von fahlgrauer Farbe und wies eine Art Peristaltik auf. Von links nach rechts liefen in gleichmäßigen Abständen wellenförmige Erhebungen darüber hin. Es sah aus wie ein Vorhang aus einem ungewöhnlichen Stoff, hinter dem in gleichmäßigem Abstand Elefanten vorbeischritten und ihn dabei streiften — eigentlich noch größere Tiere als Elefanten. Als sie endlich die Stelle erreichten, wo der schmale, gefurchte, mit samtenem Moos bewachsene Pfad endete, wurde der bittere Geruch unerträglich. „Das können giftige Ausdünstungen sein“, warnte der Kybernetiker, der einen Hustenanfall bekam. Sie beobachteten eine Weile das gleichmäßige Vorübergleiten der Wellen. Aus einer Entfernung von wenigen Schritten kam ihnen der „Vorhang“ homogen vor, wie aus dicken, matten Fasern geflochten. Der Doktor hob einen Stein auf und warf ihn dagegen. Der Stein verschwand, als sei er geschmolzen oder verdampft, ohne die wogende Fläche berührt zu haben. „Ist er hineingefallen?“ fragte der Kybernetiker zögernd. „Nein!“ schrie der Chemiker. „Er hat es nicht einmal berührt.“ Der Doktor hob eine Handvoll Steine und Erdklumpen und warf sie nacheinander dagegen. Alle verschwanden wenige Zentimeter vor dem „Vorhang“, ohne ihn erreicht zu haben. Der Ingenieur löste einen Schlüssel von einem kleinen Schlüsselbund und schleuderte ihn gegen die gerade anschwellende Fläche. Der Schlüssel klirrte, als schlüge er gegen Blech, und verschwand. „Was jetzt?“ Ratlos sah der Kybernetiker den Koordinator an. Der schwieg. Der Doktor legte den Rucksack ab, holte eine Konservendose hervor, schnitt mit dem Messer einen Würfel Fleischgelee heraus und warf ihn gegen den „Vorhang“. Das Geleestück blieb an der matten Oberfläche hängen und klebte ein Weilchen daran, dann schwand es allmählich, als ob es schmolz. „Wisst ihr was“, sagte der Doktor mit leuchtenden Augen, „das da ist ein Filter, eine Art selektiver Vorhang…“ Der Chemiker entdeckte im Gurtring seines Rucksacks einen abgebrochenen dürren Trieb einer „Spinnenpflanze“, der beim Durchwandern der Schonung dort hängengeblieben war, und warf ihn kurzerhand gegen den wogenden Vorhang. Der spröde Zweig prallte von der Wand ab und fiel ihnen vor die Füße. „Ein Selektor…“, sagte er unsicher.
„Aber ja! Ganz bestimmt!“ Der Doktor näherte sich dem „Vorhang“, bis sein kurzer Schatten am Boden den Rand des „Vorhangs“ berührte, zückte seine schwarze Waffe, zielte und drückte ab. Kaum hatte der nadeldünne Strahl den aufgeblähten Vorhang getroffen, entstand darin eine linsenförmige Öffnung. Dahinter wurde ein großer, dunkler Raum sichtbar, in dem unten und oben Funken sprühten und weiter hinten eine Unzahl weißlicher und rosafarbener Flämmchen züngelte. Der Doktor zucktezusammen, keuchte und hustete. Der bittere Geruch stach ihm in Nase und Rachen. Sie zogen den Doktor ein Stück zurück. Die Öffnung verengte sich. Die Wellen wurden langsamer, wenn sie sich ihr näherten, wichen ihr oben und unten aus und schwammen flugs weiter. Die Öffnung verengte sich weiter. Plötzlich ragte von innen etwas Schwarzes heraus, das in einem fingerähnlichen Fortsatz endete, und lief blitzschnell um den Rand der Öffnung, die sich sofort schloss. Wieder standen sie ratlos vor der regelmäßig sich bauchenden Hülle. Der Ingenieur schlug vor, sich zu beraten. Das war, nach den Worten des Doktors, eine Manifestation ihrer Hilflosigkeit. Zu guter Letzt beschlossen sie, weiterzugehen, den großen Bau entlang. Sie nahmen ihre Sachen auf und machten sich auf den Weg.
So gingen sie etwa drei Kilometer. Unterwegs überquerten sie ein Dutzend Rasenstreifen, die in die Ebene führten. Eine Zeitlang überlegten sie, was sie wohl darstellen mochten. Die Vermutung, sie hätten etwas mit Bodenkultur zu tun, ließen sie fallen, da sie zu unglaubwürdig war. Der Doktor bemühte sich sogar, einige Flechten aus dem dunkelgrünen Streifen zu untersuchen. Sie erinnerten ein wenig an Moos, hatten aber an den kleinen Wurzeln perlenartige Verdickungen, in denen harte schwarze Körnchen staken. Mittag war längst vorüber. Sie verspürten Hunger und hielten Rast, um sich zu stärken — in der prallen Sonne, denn nirgends war Schatten, und die achthundert Meter zur Schonung zurückzukehren, verspürten sie keine Lust. Das Spinnendickicht hatte keinen günstigen Eindruck auf sie gemacht.
„Nach den Geschichten, die ich als Junge zu lesen bekam“, erzählte der Doktor mit vollem Mund, „müsste in diesem verdammten Vorhang jetzt ein feuerspeiendes Loch entstehen und ein Individuum mit drei Händen und mit nur einem sehr dicken Bein herauskommen, mit einem interplanetaren Telekommunikator unterm Arm, sich eventuell als Sterntelepath vorstellen und uns zu verstehen geben, dass es der Vertreter einer hochentwickelten Zivilisation sei, die…“
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