„Du wolltest ohne alle Umschweife reden“, erinnerte der Physiker.
„Ich rede geradeheraus. Ich bitte euch, folgende Situation zu überlegen: Auf einem Planeten, der von intelligenten Geschöpfen bewohnt ist, landen Wesen von den Sternen. Welche Reaktionen der Bewohner sind möglich?“
Da keiner antwortete, fuhr der Doktor fort: „Selbst wenn die Bewohner dieses Planeten in Retorten hergestellt sein sollten oder unter noch unheimlicheren Bedingungen auf die Welt gekommen sind, sehe ich nur drei mögliche Verhaltensweisen: den Versuch, mit den Ankömmlingen Kontakt aufzunehmen, den Versuch, sie anzugreifen, oder Panik. Es hat sich erwiesen, dass noch eine vierte möglich ist, nämlich völlige Gleichgültigkeit!“
„Du hast doch selbst erzählt, dass sie euch fast die Rippen gebrochen haben, und das nennst du Gleichgültigkeit!“ rief der Kybernetiker. Der Chemiker machte bei den Ausführungen des Doktors große Augen. Seine Gedanken schienen ihm irgendwie einzuleuchten. „Wenn du einer Viehherde im Wege stehst, die vor einem Brand flieht, kann dir noch Schlimmeres passieren, dann heißt das aber noch lange nicht, dass die Herde dich beachtet“, fuhr der Doktor fort. „Ich sage euch, die Menge, in die wir gerieten, hat uns überhaupt nicht gesehen! Sie hat sich für uns gar nicht interessiert. Zugegeben, sie war in Panik, aber nicht unsertwegen. Wir waren ganz zufällig hineingeraten. Natürlich glaubten wir fest, dass wir die Ursache waren für das Hereinbrechen der Dunkelheit und für das Chaos, für alles, was wir dort sahen. Aber es stimmt nicht. Es war nicht so.“
„Beweise!“ rief der Ingenieur.
„Zuerst möchte ich hören, was mein Begleiter dazu meint.“ Der Doktor sah den Chemiker an. Der saß da und bewegte lautlos die Lippen, als spräche er mit sich selbst. Plötzlich zuckte er zusammen.
„Ja“, sagte er. „So wird es wohl gewesen sein. Sicherlich. Die ganze Zeit hindurch hat mich bei dieser Sache etwas gequält, es ließ mir keine Ruhe. Ich hatte das Gefühl, dass es sich um eine Verschiebung, ein Mißverständnis handelte, oder, wie soll ich sagen, es war so, als ob ich einen wirren Text lese und komme nicht dahinter, wo die Sätze umgestellt wurden. Jetzt ist alles klar. So muss es gewesen sein.
Ich fürchte nur, wir können das nicht beweisen, das lässt sich nicht beweisen. Man muss eben selber dort in dieser Menge gewesen sein. Sie haben uns einfach nicht gesehen. Natürlich, mit Ausnahmederjenigen, die uns am nächsten standen, aber gerade die, die mich umgaben, waren nicht von der allgemeinen Panik erfaßt. Im Gegenteil, möchte ich behaupten, mein Anblick wirkte ernüchternd auf sie. Solange sie mich ansahen, waren sie einfach die verblüfften, über die Maßen überraschten Bewohner des Planeten, die unbekannte Geschöpfe erblickten. Sie wollten mir überhaupt nichts Böses antun. Ich erinnere mich, dass sie mir in gewisser Weise sogar halfen, mich aus dem Gedränge zu befreien, soweit das freilich möglich war…“
„Und wenn jemand die Menge auf euch gehetzt hat? Wenn das nur eine Treibjagd sein sollte?“ warf der Ingenieur ein. Der Chemiker schüttelte den Kopf. „Da war nichts dergleichen, keine wirbelnden Scheiben, keine bewaffneten Wächter, keine Organisation. Es war völliges Chaos, nichts weiter.
Stimmt“, fügte er hinzu, „ich wundere mich wirklich, dass ich das erst jetzt begreife. Diejenigen, die mich aus der Nähe sahen, schienen zur Besinnung zu kommen. Der Rest benahm sich eben wie rasend!“
„Wenn das so war, wie ihr schildert“, sagte der Koordinator, „dann wäre das ein recht merkwürdiger Zufall. Warum wurden die Lichter gerade in dem Augenblick gelöscht, als wir dort ankamen?“
„Ach so, die Wahrscheinlichkeitsrechnung“, murmelte der Doktor, und lauter fügte er hinzu: „Ich würde darin nichts Ungewöhnliches sehen, ausgenommen die nicht begründete Annahme, dass solche Zustände ziemlich häufig auftreten.“
„Was für Zustände?“
„Die der allgemeinen Panik.“
„Und was mag sie auslösen?“
„Möglicherweise der rückläufige Zivilisationsprozeß auf dem Planeten“, meinte der Kybernetiker nach einem Augenblick des Schweigens. „Eine Periode der Rückentwicklung, einfacher ausgedrückt: Die Zivilisation wird von einer Art… gesellschaftlichem Krebs zerfressen.“
„Das ist sehr verschwommen“, meinte der Koordinator. „Die Erde ist bekanntlich ein ganz durchschnittlicher Planet. Es hat dort Epochen der Involution gegeben, ganze Zivilisationen entstanden und vergingen wieder, überblicken wir aber die Jahrtausende, so erhalten wir ein Bild zunehmender Kompliziertheit des Lebens und seines wachsenden Schutzes. Wir bezeichnen das als Fortschritt. Der Fortschritt erfolgt auf durchschnittlichen Planeten. Aber es gibt auch, gemäß dem Gesetz der großen Zahl, statistische Abweichungen vom Durchschnitt, positive wie negative. Man braucht sich gar nicht auf Hypothesen von einer periodischen Degeneration, von einer Rückentwicklung, zu berufen. Es ist doch möglich, dass die schädlichen Begleitumstände bei der Entstehung der Zivilisation hier größer sind und größer waren als anderswo. Vielleicht sind wir gerade während eines Prozesses der negativen Abweichung gelandet.…“
„Mathematischer Dämonismus“, sagte der Ingenieur. „Die Fabrik existiert“, bemerkte der Physiker.
„Zugegeben, die erste, die Existenz der zweiten ist eine Hypothese, die sich nicht halten läßt.“
„Mit einem Wort, eine neue Expedition ist notwendig“, schloss der Chemiker. „In dieser Hinsicht hatte und habe ich nicht die geringsten Zweifel.“ Der Ingenieur schaute sich um. Die Sonne neigte sich bereits deutlich dem Horizont zu, die Schatten auf dem Sand wurden länger. Ein schwacher Wind wehte.
„Heute noch…?“ Der Ingenieur sah den Koordinator fragend an. „Heute sollten wir nach Wasser fahren, sonst nichts.“ Der Ingenieur stand auf. „Eine sehr interessante Diskussion“, sagte er mit einer Miene, als dächte er an etwas anderes. Er hob seine Kombination auf und ließ sie gleich wieder fallen, so heiß war sie von der Sonne. „Ich denke, gegen Abend werden wir einen Ausfall auf Rädern zum Bach machen. Wir lassen uns durch nichts von unserem Plan abbringen, es sei denn, wir werden unmittelbar bedroht.“ Er kehrte zu den im Sand Sitzenden zurück, betrachtete sie eine Weile und fügte dann zögernd hinzu: „Ich muss euch gestehen, dass ich etwas… unruhig bin.“
„Warum?“
„Mir gefällt nicht, dass sie uns in Ruhe lassen, nach diesem Besuch vor zwei Tagen. So verhält sich keine Gesellschaft, in die ein bemanntes Raumschiff vom Himmel fällt.“„Das würde in gewisser Weise meine Annahme stützen“, bemerkte der Kybernetiker. „Die mit dem ›Krebs‹, der Eden auffrißt? Nun, von unserem Standpunkt aus wäre das nicht das Schlimmste, nur…
„Was?“
„Nichts. Hört zu, wir müssen uns endlich den Beschützer vornehmen. Das Gerümpel darüber wird weggeräumt, die Dioden darin sind sicherlich unversehrt.“
Etwa zwei Stunden lang wurde schwer gearbeitet. Sie trugen aus der unteren Kammer die zertrümmerten Automatenstücke heraus, die ineinandergebohrten, kaum noch voneinander zu lösenden Teile, die der Zusammenprall aus den Fassungen gerissen und auf die Lafette des Beschützers geworfen hatte. Die größten Lasten räumten sie mit dem Scherenkran weg, und alles, was sich nicht durch die Tür zwängen ließ, montierten der Ingenieur und der Koordinator auseinander.
Zwei Panzerplatten, die zwischen dem Turm des Beschützers und einer Kiste mit Bleiziegeln eingekeilt waren, zerschnitten sie mit Hilfe des Lichtbogens, nachdem sie ein Kabel von der Schalttafel des Reaktors aus dem Maschinenraum nach unten gelegt hatten. Der Kybernetiker und der Physiker sortierten alles, was von den entsetzlich knirschenden Wrackteilen freigelegt war. Was sich nicht reparieren ließ, warfen sie zum Schrott. Der Chemiker seinerseits sortierte den Schrott nach Materialarten. Sobald ein besonders massives Konstruktionselement herausgehievt werden musste, warfen alle die Arbeit hin und eilten den Trägern zu Hilfe. Kurz vor sechs war der Zugang zu dem abgeflachten Kopf des Beschützers so weit frei, dass sie seine obere Klappe abschrauben konnten. Der Kybernetiker sprang als erster in das dunkle Innere. Bald darauf bat er um eine Lampe. Sie ließen sie ihm an einem Kabel hinab. Auf einmal hörten sie einen unterdrückten, triumphierenden Schrei, wie aus der Tiefe eines Brunnens. „Sie sind da!“ Er steckte für einen Augenblick den Kopf heraus. „Wir brauchen uns nur hineinzusetzen und zu fahren! Die gesamte Installation ist intakt!!“
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