Ich hätte aber eher Armaggedon verschlafen.
Ziemlich früh verließ ich eine fröhliche Feier und ging um 2200 Uhr zu Bett, um vor dem Aufstehen doch noch einige Stunden Schlaf aufzutanken. Um zwei Uhr stand ich auf und verschwand in meinem Badezimmer, wobei ich die Tür hinter mir verriegelte — wenn ich das nicht mache, folgt mir Shizuko dichtauf auch in diesen Raum; das erfuhr ich während des ersten Tages an Bord. Als ich erwachte, war sie angezogen und auf den Beinen.
… verriegelte die Tür hinter mir und mußte mich übergeben.
Dies überraschte mich. Ich bin gegenüber der Seekrankheit nicht völlig immun, auf dieser Reise aber hatte ich noch keine Probleme gehabt. Das Auf und Ab am Bohnenstengel ist das reinste Gift für meinen Magen und führt zu stundenlangen Störungen. An Bord der Forward hatte ich bisher nur einen Ruck gespürt, als wir in den Hyperraum warpten, und dann gestern abend kurz vor dem Abendessen, als wir in den Normalraum zurücktauchten. Die Brücke hatte uns aber im voraus darauf aufmerksam gemacht.
War die (künstliche) Schwerkraft jetzt gleichmäßig? Ich wußte es nicht zu sagen. Mir war einigermaßen schwindlig zumute, was aber auch eine Nachwirkung der eben überstandenen Minuten sein konnte, in denen ich mich so gründlich übergeben hatte, als hätte ich eben eine Fahrt in einer der vorverdammten Bohnenstengelkapseln hinter mir.
Ich spülte mir den Mund aus, putzte die Zähne ohne Zahnputzmittel, spülte noch einmal nach und sagte dann zu mir: „Freitag, das war eben nur dein Frühstück; du wirst dich nicht durch deinen überraschend auftretenden Bohnenstengelmagen von dem Flug nach Outpost abhalten lassen! Außerdem hast du zwei Kilogramm zugenommen, und es wird Zeit die Kalorien etwas zurückzunehmen.“
Nachdem ich meinem Magen auf diese Weise gut zugeredet und anschließend meine Gedankenkontrolle auf das Problem angesetzt hatte, verließ ich das Badezimmer, ließ mir von Tilly-Shizuko in einen dikken Einteiler helfen und machte mich auf dem Weg zur Luftschleuse für das Steuerbord-Landungsboot dichtauf gefolgt von Shizuko, die für jeden von uns einen dicken Mantel über dem Arm trug. Zuerst hatte ich Shizuko eher freundlich behandelt, doch als ich ihre wahre Rolle erahnte und schließlich darüber die Bestätigung erhielt, schaltete ich auf Zurückhaltung.
Das war sicher kleinkariert von mir. Eine Spionin aber hat kein Anrecht auf das freundliche Entgegenkommen, das eine Dienerin beanspruchen kann. Ich war nicht grob zu ihr; ich ignorierte sie lediglich weitgehend. Heute früh war ich ohnehin nicht in gesprächiger Stimmung.
Mr. Woo, Assistent des Zahlmeisters und zuständig für Bodenausflüge, stand mit einem Klemmbrettam Eingang zur Schleuse. „Miß Freitag, Ihr Name steht nicht auf der Liste.“
„Ich habe mich aber eintragen lassen. Schreiben Sie mich dazu, sonst können Sie gleich den Kapitän anrufen.“
„Das geht nicht.“
„Ach? Dann werde ich hier mitten in der Schleuse in den Sitzstreik treten. Mir gefällt das nicht, Mr.
Woo. Wenn Sie andeuten wollen, daß ich eigentlich nicht hier sein dürfte, nur weil sich jemand im Büro geirrt hat, würde ich noch böser reagieren.“
„Hmm. Ich nehme an, es ist ein Irrtum. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Warum setzen Sie sich nicht und lassen sich zu einem Sitz führen? Ich versuche dann die Sache zu regeln, nachdem ich die anderen Leute in Empfang genommen habe.“
Er erhob keine Widerrede, als Shizuko mir an Bord folgte. Wir gingen bugwärts durch einen langen Gang — sogar die Landeboote der Forward sind riesig. Dabei orientierten wir uns nach kleinen Pfeilen mit der Aufschrift „Zur Brücke“. Schließlich erreichten wir einen ziemlich großen Raum, der etwa dem Innern eines Omnibus-AAF nachgebildet war; vorn doppelte Kontrollen, dahinter Sitze für die Passagiere, eine riesige Panoramascheibe — und zum erstenmal seit Verlassen der Erde bekam ich „Sonnenschein“ zu sehen.
Es war das Licht von Outposts Sonne, die weiter vorn eine weiße, sehr weiße Planetenkrümmung bestrahlte, hinter der sich ein schwarzer Himmel auftürmte. Das Zentralgestirn selbst war nicht in Sicht.
Shizuko und ich suchten uns freie Plätze und legten die Sicherheitsgurte an — die fünffache Verschnürung die auch an Bord von SBR gebräuchlich war. Da ichwußte, daß wir per Antigrav fliegen würden, wollte ich es mit dem Beckengurt bewenden lassen. Mein kleiner Schatten aber fummelte zungeschnalzend an mir herum und machte alles fest.
Nach einiger Zeit eilte Mr. Woo suchenden Blickes in die Kabine und entdeckte mich. Er beugte sich über den Mann, der zwischen mir und dem Mittelgang saß, und sagte: „Miß Freitag, es tut mir leid aber Sie stehen noch immer nicht auf der Liste.“
„Ach? Was hat der Kapitän denn gesagt?“
„Ich konnte ihn nicht erreichen.“
„Na, da haben Sie ja Ihre Antwort. Ich bleibe.“
„Tut mir leid. Nein.“
„Wirklich? Welches Ende wollen Sie tragen? Und wer hilft Ihnen, mich rauszuschleppen? Sie werden mich fortzerren müssen, und ich warne Sie, ich werde um mich treten und laut schreien!“
„Miß Freitag, das geht doch nicht!“
Der Passagier neben mir sagte: „Junger Mann, machen Sie sich hier zum Narren oder was? Diese junge Dame ist Passagier der Ersten Klasse; ich habe sie im Speisesaal des öfteren gesehen, sogar am Tisch des Kapitäns. Jetzt nehmen Sie Ihr dummes Klemmbrett vor meinem Gesicht weg und suchen Sie sich eine andere Beschäftigung! Klar?“
Mit besorgtem Gesicht — Zahlmeisterassistenten scheinen immer nur Sorgen zu haben — entfernte sich Mr. Woo. Nach einer Weile ging das rote Licht an, die Sirene erklang, und eine laute Stimme sagte: „Wir verlassen die Umlaufbahn! Bitte seien Sie auf ruckartige Gewichtsveränderungen gefaßt!“
Ich verbrachte einen schlimmen Tag.
Drei Stunden für den Flug zur Oberfläche, zweiStunden unten und drei Stunden für den Flug zurück in die stationäre Umlaufbahn — auf dem Hinflug wurden wir mit Musik unterhalten und einem erstaunlich langweiligen Vortrag über Outpost; auf dem Rückflug beschränkte man sich auf die Musik was schon besser war. Die beiden Stunden am Boden hätten ganz nett sein können, wenn man uns gestattet hätte, das Landefahrzeug zu verlassen. Aber wir mußten an Bord bleiben. Man erlaubte uns, die Gurte abzulegen und nach achtern in den sogenannten Salon zu gehen, in Wirklichkeit ein kleines Eckchen mit einer Kaffee- und Sandwich-Bar auf der Backbordseite und Sichtluken nach hinten. Durch diese Fenster konnte man sehen, wie vom Unterdeck aus die Auswanderer das Schiff verließen und die Fracht ausgeladen wurde.
Niedrige Berge, die mit Schnee bedeckt waren … im Mittelgrund verkümmert aussehende Gewächse … unweit des Schiffes niedrige Gebäude, die durch Schneegänge miteinander verbunden waren … Die Einwanderer waren dick vermummt und strebten eilig auf die Gebäude zu. Die Fracht wurde auf einen Zug aus flachen Transportwagen verladen, gezogen von einer Art Maschine, die schwarze Rauchwolken ausstieß … solche Dinge sieht man sonst nur in Geschichtsbüchern für Kinder! Dies aber war kein Bild.
Ich hörte, wie eine Frau zu ihrem Begleiter sagte:
„Wie kann sich nur jemand hier niederlassen wollen?“
Ihr Begleiter äußerte sich fromm über „Gottes Wille“, und ich rückte von den beiden ab. Wie kann nur jemand siebzig Jahre alt werden (sie war mindestens so alt), ohne zu wissen, daß man sich nicht auf Out-post niederlassen „will“ — außer in dem begrenzten Sinne, daß man „gewillt“ ist, die Ausweisung dorthin als einzige Alternative zum Tod oder eine lebenslängliche Haftstrafe hinzunehmen.
Da mein Magen noch immer nicht in Ordnung war wagte ich mich nicht an die belegten Brote, hoffte aber, daß eine Tasse Kaffee mir über den Berg helfen würde — bis mir der Geruch in die Nase stieg. Daraufhin marschierte ich so schnell ich konnte zu den Toiletten, die vor dem Salon lagen, und verdiente mir den Titel einer „eisernen Freitag“, einen Titel, von dem nur ich etwas wußte, denn alle Kabinen waren besetzt, und ich mußte warten — und ich wartete, mit fest geschlossenem Mund. Nach einem oder zwei Jahrhunderten öffnete sich eine Tür, und ich stürzte hinein und übergab mich erneut. Viel kam nicht dabei heraus — aber der Kaffeegeruch war zuviel gewesen.
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