* * *
Als er in die Nähe des Werkes kam, bemühte er sich, möglichst viel Lärm zu machen, er räusperte sich, klatschte in die Hände, pfiff mißtönend vor sich hin. Die Gillies schätzten es gar nicht, wenn Menschen sich ihnen ohne Vorwarnung näherten.
Er war noch immer fünfzehn Meter entfernt, als er zwei Kiemlinge aus dem Werk auf sich zuwatscheln sah.
In der Dunkelheit wirkten sie wie Titanen. Sie ragten hoch über seinem Kopf auf, gestaltlos in der Finsternis, und die winzigen gelben Augen glommen wie Laternen in den mikrozephalen Köpfen.
Lawler vollzog das Grußzeichen, betont überdeutlich, damit keinerlei Zweifel an seinen friedfertigen Absichten aufkommen könne.
Einer der Gillies reagierte mit einem langgedehnten Schnarrlaut, wruuum, der aber gar nicht freundlich klang.
Es waren mächtige, aufrechtgehende zweibeinige Geschöpfe von zweieinhalb Metern Höhe, und ihre Leiber waren von dichten Lagen schwarzer gummiartiger Borsten bedeckt, die in dichten Zotten an ihnen herabhingen. Die Köpfe waren absurd klein im Vergleich dazu, winzige Kugelgebilde über den mächtigen Schultern, von denen aus die Leiber fast bis zum Boden auswuchteten zu sackartigen, schwerfällig plump wirkenden Körpern. Die Menschen vermuteten allgemein, daß die gewaltigen Höhlungen der Brust bei den Gillies wohl neben Herz und Lunge auch das Gehirn bergen müßten. Denn in diesen winzigen Köpfen war zweifellos kaum Platz für so etwas.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren die Gillies ursprünglich einmal Aquarianer gewesen. Das ließ sich etwa daran erkennen, wie ungraziös sie sich an Land bewegten, und mit welcher Leichtigkeit sie schwammen. Sie verbrachten fast soviel Zeit im Wasser wie auf der Insel. Lawler hatte einmal beobachtet, wie ein Gillie vom einen Ende der Bucht bis zum anderen schwamm, ohne auch nur einmal aufzutauchen, um Luft zu holen; und für die Strecke brauchte er etwa zwanzig Minuten. Die kurzen stämmigen Stummelbeine waren offenbar eine Weiterbildung aus Flossen. Auch ihre Arme wirkten wie Flossen — dickliche kräftige Gliedmaßen, die sie ziemlich dicht an die Flanken gedrückt hielten. Die Hände wiesen drei lange Finger und einen gegenüber beweglichen Greifdaumen auf, waren außergewöhnlich breit und formten sich leicht zu breiten Schaufeln, mit denen sich größere Wasservolumina verdrängen ließen. Vor Millionen von Jahren stiegen die Vorfahren dieser Geschöpfe — in einem unglaublichen, verblüffenden Akt der gewollten Umgestaltung der Spezies aus dem Meer und errichteten sich insulare Wohnstätten, die sie aus meereseigenen Materialien zusammenknüpften und durch raffinierte Barrikaden gegen die unablässigen Gezeitenschwälle sicherten, die ihren Planeten umkreisten. Aber dennoch blieben sie Ozeanier, Geschöpfe der See.
Er trat den beiden entgegen, so nahe er sich getraute, und signalisierte: Ich-bin-Lawler-der-Doktor.
Beim Sprechen preßten Gillies die Arme an ihre Flanken und drückten so Luft durch tiefe kiemenähnliche Schlitze in der Brust, was wie dröhnende Orgeltöne klang. Den Menschen war es nie gelungen, diese Tonsprache in einer für die Gillies verständlichen Weise zu imitieren, und diese ihrerseits zeigten nicht das geringste Interesse daran, die Sprache der Menschen zu erlernen. Vielleicht war beiden Spezies die Erzeugung der Sprachlaute der jeweils anderen einfach unmöglich. Dennoch war eine Kommunikation zwischen ihnen einfach nötig, und so hatte sich im Laufe der Jahre eine Art Zeichensprache entwickelt. Die Kiemlinge orgelpfiffen die Menschen auf gillianisch an, und die Menschen antworteten mit Gestensprache.
Der Kiemling, der zuerst gesprochen hatte, gab erneut das Schnauben von sich und setzte einen besonders abweisenden Pfeif-Schniefton darauf. Die Flipperflossen waren zu der pantomimischen Stellung gespreizt, die Lawler als Ausdruck des Zornes erkannte. Nein, nicht Zorn, sondern Wut. Höchste Wut.
Hoppla, dachte er. Was ist denn hier los? Was hab ich denn falsch gemacht?
An der Rage des Gillie war nicht zu zweifeln. Jetzt vollführte er knappe Schubsbewegungen mit den Flossen und ›sagte‹ eindeutig: Geh weg! Verschwinde! Beweg deinen Hintern — aber rasch!
Verdutzt signalisierte Lawler: Ich-habe-keine-böse-Absicht. Ich- komme-um-zu-verhandeln.
Wieder das abweisende Schnauben, lauter diesmal, dunkler. Es vibrierte aus dem Bodenbelag des Weges, und Lawler spürte es in den nackten Sohlen seiner Füße.
Man hatte schon gehört, daß Gillies Menschen getötet hatten, die ihnen auf den Nerv gingen, und sogar solche, die das nicht getan hatten; eine beunruhigende, unerklärliche Tendenz zu abrupten Gewaltausbrüchen. Dem Anschein nach kaum je absichtlich — nur der ärgerliche Ausrutscher einer Flosse, ein rascher verächtlicher Kick, gedankenlose Trampelei… Sie waren eben so groß und stark, und sie schienen nicht zu begreifen, wie verletzlich die Körper von Menschen sein konnten (oder aber, es kümmerte sie nicht).
Der zweite Gillie, der Größere, kam ein, zwei Schritte näher. Sein Atem kam heftig, pfeifend und wenig freundschaftlich. Er bedachte Lawler mit einem Blick, den er sich nur als erhaben, desinteressiert und abweisend interpretieren konnte.
Lawler signalisierte Erstaunen und Betroffenheit. Und erneut freundliche Intentionen. Er signalisierte anhaltende eifrige Gesprächsbereitschaft.
Die Augen des ersten Gillie funkelten weiter unmißverständlich zornig. Hinweg! Fort! Verschwinde!
Nun, das war unzweideutig genug. Jeder Versuch eines weiteren Palavers wäre sinnlos gewesen. Es war offensichtlich, daß sie ihn nicht in die Nähe des Kraftwerks lassen wollten.
Also gut, dachte er. Dann macht doch, was ihr wollt!
Noch nie zuvor hatten ihn Gillies derart wie Dreck behandelt; doch in diesem Moment umschweifig zu erklären, er sei doch ihr guter alter Freund, der Inseldoktor und sein Vater habe sich ehemals ihnen doch als recht nützlich erwiesen, das wäre jetzt einfach schlichte gefährliche Idiotie gewesen. Mit einem einzigen Klatsch eines ihrer Flipper konnten sie ihm das Rückgrat zertrümmern und ihn hinaus in die Bucht schleudern.
Er wich also zurück, behielt aber die Gillies dabei genau im Auge, denn er hatte vor, mit einem Rücksalto ins Wasser zu hechten, falls sie ihm bedrohlich näherrücken würden.
Aber die Gillies blieben an Ort und Stelle stehen und folgten nur mit glosenden Augen seinem Davonschleichen. Als er den Hauptweg wieder erreicht hatte, machten sie eine Kehrtwendung und verschwanden wieder in ihrem Gebäude.
Na, und damit hätte sich das wohl, dachte Lawler.
* * *
Die absonderliche Zurückweisung kränkte ihn tief. Er blieb eine Weile am Geländer über der Bucht stehen und ließ die Angespanntheit nach der unerfreulichen Begegnung in sich verebben. Sein grandioser Plan, in dieser Nacht ein Abkommen zwischen den Hydranern und den Menschen zu erwirken, war — das erkannte er inzwischen nur allzu klar — purer romantischer Unsinn gewesen. Rasch verflüchtigte sich die Idee, die nichts weiter war als blauer Dunst, und eine kleine Weile zuckte eine physiologische Störung heiß über seine Haut.
Na dann also. Zurück zu seinem Vaargh. Und auf den Tag warten. Was blieb ihm sonst?
Eine scharfe Stimme hinter ihm sagte: »Lawler?«
* * *
Erschrocken fuhr er herum. Sein Herz rumpelte. Er spähte in das schon mit Grau gemischte Dunkel. Mit Mühe machte er die Gestalt eines kleinen untersetzten Mannes mit dichtem langen und filzig wirkenden Haarschopf aus, der zehn, zwölf Meter weiter innen auf der Insel im Schatten stand.
»Delagard? Bist du das?«
Die untersetzte Gestalt trat vor. Ja, es war Delagard. Der selbsternannte Rudelführer der Insulaner, der Topmixer und Unruhestifter. Was hatte der um diese Stunde hier herumzuschleichen, verdammt noch mal?
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