Er mußte grinsen. Früher war das anders. Karl von Frisch, der berühmte Bienenforscher, hatte in den zwanziger Jahren einmal einen Artikel mit dem genialen Titel »Ein Zwergwels, der kommt, wenn man pfeift« veröffentlicht. Dabei handelte es sich sogar um eine angesehene Fachzeitschrift. So etwas würde heute kein Mensch mehr wagen. Auch wenn es in modernen Veröffentlichungen um ganz einfache Dinge ging, mußten sie hinter möglichst kryptischen Titeln verborgen werden. Geschadet hatte es von Frisch offensichtlich nicht. Jahre später bekam er den Nobelpreis, allerdings nicht für seine Arbeit über den folgsamen Zwergwels.
Vielleicht sollte er es auch einmal in dem Stil versuchen. »Ein 50 Millionen Jahre alter Fisch, der nicht stinkt, wenn man ihn ausgräbt« wäre doch nicht schlecht. Oder: »Über Ölschiefer, der weder Öl noch Schiefer enthält, dafür aber jede Menge anderer interessanter Sachen«. Er lachte in sich hinein.
»Na, dir scheint’s ja gut zu gehen«, sagte Sabine, die mit der Stationspost in der Hand am Türpfosten lehnte. »Freut mich! Ehrlich! Ich hab dich schon ewig nicht mehr lachen hören.«
»Unsinn«, erwiderte Axt. »Du mußt dich täuschen.«
»Nein, nein, das kannst du dir von einer alten Freundin ruhig einmal sagen lassen.« Sie legte ihm die Post auf den Schreibtisch. »Hier, vielleicht findest du ja da noch etwas, worüber du dich amüsieren kannst.«
Axt schaute ihr lächelnd hinterher, als sie den Raum verließ. Dann ging er den Poststapel durch und stieß auf einen großen Briefumschlag mit dem Absender des Geologischen Instituts. So wie sie hier in Messel hatten wohl auch die Geologen die Wintermonate dazu genutzt, um endlich Daten auszuwerten und zur Veröffentlichung vorzubereiten, denn der Umschlag enthielt einen Artikel, den Niedner und seine Mitarbeiter für eine geologische Fachzeitschrift geschrieben hatten. Er faßte die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Messel zusammen.
Auf Seite drei war eine Karte der Grube abgedruckt. Darüber hatten sie ein schachbrettartiges Raster gelegt. In den Kreuzungspunkten befanden sich jeweils die Bohrlöcher. Irgendwo in der Nähe des steilen Grubenrandes, da, wo die Linien II oder III langführten, mußte das große Krokodil liegen. Es war wirklich ein bemerkenswert großer Wirbel, und alle waren in heller Aufregung gewesen. Axt schätzte, daß das vollständige Tier mindestens drei Meter lang sein mußte. Gegen seinen erbitterten Widerstand hatten die anderen das Krokodil auf den Namen Messi getauft. Er bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn er daran dachte. Messi, so ein Unsinn.
Sie hatten damals lange diskutiert, was sie tun sollten. Das Skelett lag etwas abseits ihrer augenblicklichen Grabungsstellen. Sie gingen natürlich nach einem bestimmten Plan vor, gruben nicht wahllos mal hier, mal dort, sondern tasteten sich systematisch voran. Das Gebiet, in dem sie das Krokodil vermuteten, wäre eigentlich erst sehr viel später an die Reihe gekommen, und sie hätten die gesamte Planung umstellen müssen, wenn sie es sofort aus dem Schiefer holen wollten. Also beschlossen sie nach Rücksprache mit Schmäler, das Skelett zunächst dort zu belassen, wo es war. Schließlich gab es keinen sichereren Aufbewahrungsort als den Messeler Schiefer, in dem das Fossil schon die letzten 50 Millionen Jahre überdauert hatte.
Plötzlich fiel ihm auf, daß das Riesenkrokodil unmittelbar neben der Stelle lag, wo die Belgier letztes Jahr gegraben hatten. Es hätte nicht viel gefehlt und die Kollegen aus Brüssel wären mit einem wirklich spektakulären Fundstück nach Hause gefahren. Na ja, dicht daneben ist auch vorbei, dachte Axt und schnaubte kurz durch die Nase.
Er mochte Prof. Lenoir und seine Mitarbeiter. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Aber auch die kollegialste Zusammenarbeit hatte irgendwo ihre Grenzen. Als die Belgier einmal bei einer einzigen Grabungskampagne eine unverschämte Glückssträhne hatten und nicht weniger als fünfzehn vollständige Fledermausskelette zu Tage beförderten, bekam Sabine einen schweren Heulkrampf und war danach tagelang nicht mehr ansprechbar. Und Axt konnte es ihr wirklich nicht verdenken. Er war entschieden der Meinung, daß die wichtigsten ihrer Fundstücke hier in Deutschland zu bleiben hatten. Dieses Krokodil hatte hier gelebt, war hier gestorben und sollte nun auch der hiesigen Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Er blätterte langsam durch das schmale Heftchen und überflog den Text. Viel Neues hatte der Artikel nicht zu bieten, aber er stellte ja nur eine erste Übersicht über die durchgeführten Untersuchungen dar. Wirklich interessant würde erst die Feinuntersuchung werden, der genaue Verlauf der Schichten, die exakte Altersstruktur, die Lage von Bruchkanten und Verwerfungen, aber dazu war sicher noch viel mühsame Arbeit zu verrichten.
Seine Sympathie für die von den Geologen geleistete Arbeit schlug abrupt in blankes Entsetzen um, als er in der abschließenden Diskussion auf folgende Sätze stieß:
Im Bohrkern des Loches II 37 stießen die Verfasser in 2,48 m Tiefe übrigens auf einen vollkommen intakten Wirbelknochen. Wie eine genaue Untersuchung durch Dr. Helmut Axt von der Messeler Senckenberg-Station ergab, handelt es sich um den Halswirbelknochen eines eozänen Krokodils, vielleicht eines Asiatosuchus germanicus . Aufgrund der Größe des Knochens kann auf ein sehr großes Exemplar geschlossen werden.
Ein ungewöhnlich heftiger Wutanfall stieg in ihm auf wie glühendes Magma in einem Vulkanschlot.
»Das gibt’s doch nicht!« rief er aus und hämmerte mit der Faust auf die Schreibtischplatte. Und er war auch noch so gutgläubig gewesen und hatte Niedner sofort informiert. Sie hätten gleich dazu schreiben sollen, daß die Ausgrabungsstelle am Sonntag um dreizehn Uhr zur öffentlichen Ausschlachtung freigegeben war. Wußte der Mann denn nicht .
Ein Ruck ging durch seinen Körper und mit hastigen Bewegungen suchte er Niedners Telefonnummer heraus. Zwei Minuten später schallte dessen Stimme aus dem Telefonhörer.
»Ja, Niedner hier?«
»Axt, Messel.«
»Ach, Herr Axt, was machen die Menschenknochen, haha? Wie geht es .«
»Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?« polterte Axt los. Er war keineswegs zu Scherzen aufgelegt und schon gar nicht, wenn es um Menschenknochen ging. Er war ganz im Gegenteil schrecklich wütend.
»Äh, ich verstehe nicht recht.«
»Ich rede von Ihrem Artikel.«
»Ja, und?«
»Warum haben Sie nicht gleich eine Zeitungsannonce aufgegeben. Riesenkrokodil meistbietend zu verhökern oder so. Haben sie die Stelle eigentlich mit bunten Fähnchen markiert?«
»Ich verstehe immer noch nicht.«
»Natürlich verstehen Sie nicht. Wenn Sie auch nur irgend etwas verstanden hätten, dann hätten Sie diese Krokodilgeschichte in Ihrem langweiligen Artikel wohl kaum erwähnt, geschweige denn, mit genauer Angabe der Tiefe und des Fundortes. Mir fehlen die Worte für soviel Ignoranz.«
»Also, hören Sie mal .«
»Nein, Sie hören jetzt zu! Wissen Sie überhaupt, was MesselFossilien auf dem Schwarzmarkt wert sind? Ein Krokodil dieser Größe bringt wahrscheinlich mehrere zehntausend Dollar.«
»Oh, das wußte ich nicht«, sagte Niedner kleinlaut.
»Ja, das kann ich mir denken. Sie haben wohl auch nicht gewußt, daß Sammler, die soviel Geld dafür hinblättern, geologische Fachzeitschriften lesen und auf solche Informationen ganz versessen sind? Das sind keine naiven Idioten. Haben Sie sich überhaupt irgend etwas gedacht mit Ihrem versteinerten Geologenhirn?«
»Nun reicht’s, Axt. Ihr Ton ist absolut unangemessen.«
»So, finden Sie? Angemessen wäre, wenn Sie uns die Wachmannschaften bezahlen, die jetzt eigentlich für die nächsten Jahre die Grube bewachen müßten. Vielleicht sollten Sie uns Ihre Artikel in Zukunft zur Durchsicht vorlegen, bevor Sie so einen Mist verzapfen.«
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