Was ihn beschäftigte, war aber nicht sosehr die Konstruktion der Falle, sondern die Tatsache, daß sie nicht von ihm stammte. Hier trieb sich noch jemand herum, jemand, den er nicht kannte und der kleinen Tieren mit Fallen nachstellte. Das war neu und beunruhigte ihn wesentlich mehr als der Tropenregen, der nun mit voller Heftigkeit auf das Blätterdach des Dschungels niederging.
Der Plan
»Hallo, Micha, schön, daß du anrufst. Was gibt’s denn? Ich wollte gerade aus dem Haus.«
»Ich muß dich sofort sprechen.«
»Heute noch?«
»Oder morgen, jedenfalls so bald wie möglich.«
»Ja ... gut, heute nachmittag hätt ich Zeit, so gegen vier.«
»Okay. Und wo?«
»Komm doch zu mir. Worum geht’s denn?«
»Um deine beschissenen Mitbringsel!« schrie Micha in den Hörer. Was hatte der Kerl nur aus ihm gemacht? Seine wiedergewonnene Selbstbeherrschung war offenbar nur ein dünnes Häutchen, das bei der geringsten Erschütterung riß.
»Wird ja auch Zeit. Du hast ne ganz schön lange Leitung, das muß ich schon sagen. Hab schon viel früher mit dir gerechnet.«
Micha biß die Zähne zusammen und ignorierte Tobias’ Bemerkungen.
»Bis später.«
»Ja, ich erwarte dich.«
Gegen Mittag rief Claudia an und erkundigte sich nach seinem Befinden. Er hatte mit so etwas gerechnet und sich für diesen Fall eine ziemlich windige Erklärung zurechtgelegt, etwas von einem Referat, das er bis morgen fertiggestellt haben müßte und das ihm schreckliches Kopfzerbrechen bereitete. Deshalb sei er in der Bibliothek so nervös gewesen. Claudia schien das zu schlucken, jedenfalls bohrte sie nicht weiter nach und wünschte ihm nur viel Erfolg. Sie sagte noch, er solle doch mal wieder bei ihr vorbeikommen, und außerdem könnte er ihr bei Gelegenheit einmal seine Fossiliensammlung zeigen. Sie fände das sehr aufregend. Er war heilfroh, als sie endlich auflegte.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, dem Treffen mit Tobias entgegenzufiebern. Er befand sich in einem eigentümlichen Schwebezustand zwischen Wachen und Träumen. Selbst die alltäglichsten Verrichtungen schienen ihm plötzlich tiefere Geheimnisse zu bergen. Seine beiden Mitbewohner, denen er nur kurz beim Frühstück begegnet war, warfen sich vielsagende Blicke zu: zu tief ins Glas geschaut oder frisch verliebt.
Gegen zwei Uhr hielt er es nicht mehr aus und machte sich auf den Weg. Er fuhr eine große Schleife durch die Stadt, um nicht allzufrüh bei Tobias einzutreffen, und stand kurz nach drei vor dessen Wohnungstür.
»Ah, Tag Micha, da bist du ja schon. Komm rein!«
Ohne ein Wort zu sagen, betrat er die Wohnung. Am liebsten wäre er Tobias sofort an die Gurgel gesprungen, hätte ihn gewürgt und hin und her geschüttelt und gefragt, was er sich dabei gedacht habe, warum er aus einem ausgeglichenen und friedliebenden Menschen wie ihm ein einziges Nervenbündel gemacht habe, ob ihm so etwas Spaß mache. Aber er tat nichts dergleichen.
Gleich neben der Wohnungstür befand sich der Eingang zur Küche, und, ohne zu zögern, nahm er an dem kleinen, quadratischen Küchentisch Platz, kramte seine Zigaretten aus der Lederjacke und zündete sich eine an.
»Magst du einen Kaffee oder lieber Tee?« fragte Tobias und machte sich am Herd zu schaffen.
»Kaffee!« antwortete Micha und versuchte ruhig zu bleiben.
Tobias setzte Wasser auf und füllte ein paar Löffel Kaffeepulver in eine weiße Kanne.
»Du hast also endlich herausgefunden, wo der Käfer und die Pflanze herstammen, ja?« Er warf Micha einen flüchtigen Blick zu, als er Zucker und Milch auf den Tisch stellte.
»Also ich muß dir sagen, daß ich anfangs total sauer auf dich war wegen dieses lächerlichen Versteckspiels, aber jetzt .« Er wollte so richtig Dampf ablassen, kam aber gleich wieder ins Stocken.
»Was ist jetzt?«
»Ach, ich weiß auch nicht. Ich blick nicht mehr durch.«
Tobias goß das Kaffeewasser in die Kanne und rührte mit einem Löffel eine Weile darin herum. »Was hast du denn nun herausgefunden?« Er schaute erwartungsvoll.
»Sie stammen nicht aus der Slowakei.«
»Hmm . Dafür hast du so lange gebraucht?«
»Scheiße, jetzt mach mich bloß nicht an, ja!« brüllte er, und Tobias hob beruhigend die Hände.
»Micha, was hätte ich denn tun sollen, he? Wenn ich dir einfach nur erzählt hätte, woher sie stammen, hättest du es mir dann geglaubt?«
»Was geglaubt?«
»Na, daß sie aus der Vorzeit stammen. Aus dem Eozän, um genau zu sein.«
Jetzt war es heraus! So deutlich hatte er es für sich bisher nicht zu formulieren gewagt. Er hielt sich unwillkürlich die Hände über die Ohren, und sein ganzer Körper verkrampfte sich.
»Aber das ist unmöglich!«, rief er.
»Wieso unmöglich? Du hast den Käfer doch selbst gesehen.«
»Den kannst du in einem Laden gekauft haben, in diesem Naturaliendingsda.«
Tobias schüttelte lächelnd den Kopf.
»Oder du warst gar nicht in der Slowakei, sondern irgendwo in den Tropen, in Indonesien, oder weiß der Himmel.«
»Nein. Du glaubst doch selbst nicht, was du da sagst.« Er schaute ihn eindringlich ein. »Ich war in der Slowakei, und ich bin in die Höhle gefahren.«
»Was für eine Höhle?«
Micha sprang auf, saugte gierig an seiner Zigarette und lief in der Küche auf und ab. Tobias stellte Kaffeekanne, Milch, Zucker und zwei Tassen auf ein Tablett und sagte: »Komm, wir trinken unseren Kaffee drüben. Da ist es gemütlicher.«
Micha folgte ihm durch die Diele in ein Zimmer, das von der tiefstehenden Sonne hell erleuchtet war. Kaum trat er über die Türschwelle, blieb er wie angewurzelt stehen.
»O Gott!« entfuhr es ihm.
Das ganze Zimmer wimmelte von Dinosaurierfiguren in allen Größen, Formen und Ausführungen, Dinosaurier aus Metall, aus Plastik, aus Holz und Stein, als Radiergummi, Briefbeschwerer oder Buchstopper, in toto oder als Skelett, wie das fast brusthohe Holzgerippe eines auf den Hinterbeinen laufenden Fleischfressers, das direkt neben dem Kachelofen in einer Zimmerecke stand. An den Wänden hingen alte Filmplakate mit grellen Darstellungen diverser Ungeheuer sowie Ausschnitte aus verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.
»Hab ich so zusammengetragen über die Jahre«, sagte Tobias.
»Da hast du in letzter Zeit ja Schwerstarbeit verrichten müssen.«
»Wieso? Wegen dem Film?«
»Klar.«
Tobias saß jetzt an einem kleinen runden Tisch neben dem Fenster, von wo aus er amüsiert und mit unverhohlenem Stolz verfolgte, wie Micha an den von Saurierfiguren überquellenden Regalbrettern entlangging. »Nein, nein, da bin ich nun doch ein bißchen zu alt für«, sagte er. »Das meiste ist uralter Kram, aber ich bring’s nicht übers Herz, ihn wegzuschmeißen. Ich häng dran.«
Zwischen den vielen kleinen Drachen entdeckte Micha nun auch andere Sammelstücke: Versteinerungen, Ammoniten, einen kleinen Trilobiten, Abdrücke von Farnwedeln und Blättern, Bernsteinbrocken, Muschelschalen und Schneckengehäuse, kleine Kristalle in den verschiedensten Farben und schließlich auch ein Exemplar jenes ominösen, ebenfalls in Kunstharz eingeschlossenen Prachtkäfers, was ihm in aufdringlicher Weise wieder den Grund seines Besuches in Erinnerung rief. Er hatte es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, darüber zu reden.
»Macht wohl etwas Mühe beim Staubwischen, der ganze Scheiß, hm«, sagte er.
Tobias lachte. »Freut mich, daß du deinen Humor wiedergefunden hast. Komm, der Kaffee wird kalt. Milch, Zucker?«
»Nein, schwarz«, erwiderte er und setzte sich endlich, ohne seine Augen von den zahllosen Ausstellungsstücken abwenden zu können.
»Also, jetzt mal im Ernst, du weißt, daß es stimmt, was ich sage, oder?«
»Wissen, wissen«, sagte Micha spöttisch. »Wie kann man so etwas Verrücktes schon wissen? Es würde einiges erklären . aber glauben kann ich es nicht.«
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