»Nun seien Sie nicht so mimosig, mein Lieber! Ein kleiner Methodenstreit unter Kollegen hat noch niemandem geschadet. Alles, was ich sagen will, ist doch, daß wir uns unserer Grenzen bewußt bleiben müssen.«
»Das ist Ihnen gelungen.«
Axt fand es plötzlich gar nicht mehr seltsam, daß er bis vor wenigen Tagen noch nie etwas von einem Prof. Alois Sonnenberg gehört hatte. So viele von ihrer Sorte gab es ja nicht, und da war es schon erstaunlich, daß er hier jemanden kennenlernte, noch dazu an relativ exponierter Stelle, dem er noch nie begegnet war. Wenn alle seine Gespräche unter Kollegen so verliefen wie dieses, hatte Sonnenberg sich sicherlich nicht sehr beliebt gemacht über die Jahre und war möglicherweise völlig isoliert. Axt nahm sich vor, Schmäler nach Sonnenberg zu fragen. Die beiden stammten ja in etwa aus derselben Wissenschaftlergeneration. Vielleicht wußte er etwas über diesen seltsamen Kauz, von dem Axt nicht eine einzige Veröffentlichung kannte und keine Ahnung hatte, woran er überhaupt arbeitete. Er hatte ihn eigentlich danach fragen wollen, aber nun war das Gespräch ganz anders verlaufen, und in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit war es wohl besser, er verzichtete darauf.
»Sie schauen immerzu auf die Uhr. Haben Sie es eilig oder langweile ich Sie?«
Axt schreckte aus seinen Gedanken auf. »Nein, nein, Sie langweilen mich keineswegs. Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Ich muß nur die Zeit ein wenig im Auge behalten. Mein Zug geht in einer Stunde.«
»Was? Dann müssen Sie ja bald aufbrechen. Warum haben Sie denn das nicht früher gesagt? Ich dachte, wir essen noch gemütlich zusammen.« Sonnenberg war sichtlich enttäuscht. »Und da rede ich die ganze Zeit wie ein Wasserfall und betätige mich hier als Nestbeschmutzer sondergleichen. Was müssen Sie jetzt für einen Eindruck von mir haben.«
»Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Sonnenberg.« Axt winkte ab und lächelte. »Ihre Kritik ist ja größtenteils berechtigt.«
Sein Gastgeber machte ein betroffenes Gesicht. »Ach, das sagen Sie jetzt nur, um mich zu beruhigen. Zu schade, daß Sie schon wegmüssen. Ich hatte gehofft, noch viel Interessantes über die Grube Messel zu erfahren, aus erster Hand sozusagen.«
»Das müssen wir leider auf ein anderes Mal verschieben.«
»Ich komme darauf zurück. Das ist eine Drohung. Sie müssen nämlich wissen, daß mich gerade das Eozän außerordentlich interessiert. Es muß wie das Paradies gewesen sein, glauben Sie nicht? Mitteleuropa hat sicherlich nicht sehr viel schönere Zeiten erlebt als diese. Und niemand kennt das europäische Eozän besser als Sie. Ihre Grube lag ja sozusagen mittendrin.«
Sonnenberg war wie verwandelt. Er wirkte unsicher und schien nun besondere Liebenswürdigkeit an den Tag legen zu wollen. »Sie müssen mir aber wenigstens erlauben, Ihnen etwas zu schenken, Dr. Axt. Darauf muß ich bestehen!« Er hielt ihm den Kunstharzblock mit dem mittelamerikanischen Prachtkäfer hin. »Hier, bitte! Keine Widerrede! Als kleine Entschädigung dafür, daß Sie sich so lange meine Monologe angehört haben. Ich wüßte wirklich niemanden, dem ich ihn lieber schenken würde.«
Die Falle
Das erbärmliche Quieken hatte er schon eine ganze Weile gehört, aber er konnte in der dichten Vegetation nicht ausmachen, von wo das seltsame Geräusch kam. Dann war er beinahe darüber gestolpert. Jetzt kniete der Mann in seinen kurzen Ledershorts neben dem spitzschnäuzigen Nagetier und versuchte, das kleine bissige Biest aus der Falle zu befreien.
Der Bügel war zwar zurückgeschnappt und hatte das Tier festgeklemmt und wohl auch verletzt, aber die Wucht des Aufpralls hatte nicht ausgereicht, um ihm das Genick zu brechen, dafür war es wohl doch zu groß. Trotzdem war es vielleicht schwer verletzt und zu geschwächt, um hier im Dschungel lange überleben zu können. Wer weiß, wie lange der kleine Kerl hier schon gefangen war.
Er überlegte, ob er das Tierchen töten sollte. Diese Nager, von denen es hier im Wald nur so wimmelte, schmeckten eigentlich nicht schlecht, aber wenn man nicht gerade kurz vor dem Verhungern war, gab es wirklich Besseres. Es war nicht allzuviel dran an ihnen, und auch die Felle waren zu klein, als daß er damit etwas Sinnvolles hätte anfangen können. Aber bevor es sich lange herumquälte, könnte er es auch mit einem kleinen Schlag seines Buschmessers erlösen.
»Autsch«, schrie er auf, als ihn das kleine Mistvieh in einem Moment der Unachtsamkeit in die Hand biß. Es schien noch ganz gut bei Kräften zu sein. Er lutschte das Blut von seinem Handballen und hielt die Falle mit dem zappelnden Tier mit der Linken vom Körper weg. Dann setzte er die Falle wieder auf den Boden, drückte das Tierchen vorsichtig gegen den Fallenboden und bog den Bügel zurück. Es piepste und stemmte sich mit überraschender Kraft gegen seine Hand. Er packte es im Nacken und warf es auf den Boden. Raschelnd verschwand der Nager sofort im dichten Unterholz. Hoffentlich fiel er nicht gleich der erstbesten Schlange zum Opfer.
In der Ferne hörte man ein Rauschen, das langsam lauter wurde. Der Mann schaute nach oben durch das dichte Blätterdach in die tiefhängenden dunklen Wolken. Regen, und er kam näher. Er mußte sich beeilen, wenn er von dem Unwetter nicht überrascht werden wollte. So ein Regenguß im Dschungel war kein Kinderspiel, keine kleine erfrischende Dusche, der man sich bei der hier herrschenden Hitze gerne aussetzte. Die extreme Feuchtigkeit und die von den Blättern abprallenden feinen Sprühwassertropfen bildeten schnell einen dichten Nebel, durch den man kaum ein paar Meter weit sehen konnte und Gefahr lief, völlig die Orientierung zu verlieren, auch wenn man sich so gut auskannte wie er. In diesem diffusen Licht sahen dann alle Pflanzen gleich aus, und hier gab es weit und breit nichts anderes als Pflanzen.
Er verstaute die leere Falle in seinem kleinen Lederrucksack, griff nach dem Buschmesser, das er auf dem Boden abgelegt hatte, und machte sich auf den Rückweg. Das Rauschen des Regens war zu einem bedrohlich klingenden Tosen angeschwollen, einem machtvollen Geräusch, das Klatschen von Millionen schwerer Wassertropfen auf breite sattgrüne Blattflächen, die sich den Raum in einem erbarmungslosen Wettkampf um Licht so optimal aufgeteilt hatten, daß der größte Teil des Regens gar nicht bis auf den Boden gelangte. Aber es würde immer noch reichen, um ihn in kürzester Zeit bis auf die Haut zu durchnässen.
Die Regenfront kam zu schnell. Innerhalb von Sekunden wurde es dunkel. Das Geräusch schwoll an wie ein Trommelwirbel, und plötzlich war er in einen dichten Vorhang von Wassertropfen gehüllt. Er mußte einen Unterschlupf finden, schnell. Er schaute sich suchend um und entdeckte ganz in der Nähe eine Palme und einen der schirmförmigen Baumfarne, deren Wedel zusammen ein dichtverflochtenes Dach bildeten.
Das war ein guter Platz, um abwarten, bis der schlimmste Guß vorüber war. Es konnte Stunden dauern. Er war es gewöhnt, lange Zeit zu warten, fast bewegungslos auf einem Fleck auszuharren. Geduld war eine Tugend, die er hier gelernt hatte.
Er hockte sich dicht neben den wie behaart aussehenden Stamm des Baumfarns auf den Boden und holte sich ein Stück Trockenfleisch aus seinem Rucksack. Nein, das Warten machte ihm nichts aus. Außerdem hatte er genügend Stoff zum Nachdenken. Während ihm einzelne dicke Tropfen auf die Krempe seines Hutes fielen und er langsam auf dem zähen Fleisch herumkaute, betrachtete er nachdenklich die Falle, aus der er den Nager befreit hatte. Es war eine normale Mausefalle, wie man sie überall kaufen konnte, vielleicht etwas größer und moderner als die, die sein Vater früher immer benutzt hatte, wenn er in der Speisekammer Mäusekötel entdeckt hatte.
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