„Ja, hier Konstantin Saizew am Telefon“, sagte der Ingenieur und brachte mit dieser irdischen Redewendung seine beiden Kameraden zum Lachen. Ruhig legte er das Mikrofon in eine besondere Aufhängevorrichtung. Die Antwort konnte erst nach sieben Minuten erfolgen. In zehn Tagen hatte das Raumschiff über 35 Millionen Kilometer zurückgelegt, und in diesem Augenblick trennten es von der Erde sechzig Millionen Kilometer.
Denn auch die Erde stand nicht still, sondern entfernte sich in entgegengesetzter Richtung. „SSSR-KS 3“ flog unter Ausnutzung der Anziehungskraft der Sonne in einer Richtung zur Venus, die der Umlaufbewegung der Erde entgegengesetzt war.
„Die Lautstärke hat bedeutend nachgelassen“, sagte Toporkow besorgt.
Saizew und Melnikow sahen einander an und lachten.
Jeden Tag hörten sie diesen stereotypen Satz. Igor Dmitrijewitsch war durch das Nachlassen der Lautstärke, das sich bei zunehmender Entfernung nicht vermeiden ließ, ganz verstört.
Er befürchtete stets, die Station arbeite schlechter, als dies in Wirklichkeit der Fall war. Stundenlang machte er sich an den Apparaten zu schaffen und war mit ihrem Funktionieren stets unzufrieden.
„Wir werden zusätzliche Generatoren aufstellen müssen.“
„Vorläufig ist das nicht nötig“, widersprach Melnikow. „Die Funkverbindung arbeitet ohne Unterbrechungen und ist gut genug. Warten wir ab.“ Er wußte, wenn er Toporkow freie Hand ließe, würde die Funkstation lange vor der Landung auf der Venus sämtliche Energiereserven erschöpft haben. Doch es galt, diese Reserven zu erhalten.
„Wenigstens einen Generator!“
„Nein!“ Melnikow versuchte, so streng wie möglich zu sprechen. „Ich verbiete es Ihnen … Wie kommen Sie auf solche Gedanken, Igor Dmitrijewitsch?“ setzte er sanft hinzu. „Ich habe soeben mit der Erde gesprochen und alles tadellos verstanden.“ Die sieben Minuten waren endlich vergangen, Saizew setzte sich die Kopfhörer auf und vernahm alles, was ihm seine Frau und sein Sohn gesagt hatten. Er antwortete und verließ gemeinsam mit Melnikow die Kajüte. Die Sprechzeit war begrenzt, und die Expeditionsmitglieder durften mit ihren Angehörigen nur einen einmaligen Dialogwechsel führen. Den Platz am Mikrofon hatte bereits Professor Balandin eingenommen.
Die Funkverbindung bereitete den Sternfahrern viel Freude.
Das Bewußtsein, von der Erde getrennt zu sein, bedrückte sie weniger, da sie die Stimme ihrer Lieben hören konnten. Die beunruhigende Ungewißheit, unter der auf früheren Fahrten alle sehr gelitten hatten, war gewichen. Alles, was auf der Erde und im Raumschiff vor sich ging, wurde sofort bekannt. Ein kurzer Bericht über die Ereignisse in der UdSSR und in den anderen Ländern wurde automatisch, ohne die Sprechverbindung zu stören, jeweils durchgegeben. Jeden Tag hängte Toporkow in der Roten Ecke eine „Kosmoszeitung“ aus.
„Boris Nikolajewitsch!“ sagte Saizew, nachdem sich die Tür der Funkstation hinter ihnen geschlossen hatte. „Erlauben Sie mir und Knjasew, außenbords die Düsen nachzusehen.“
„Wozu denn das?“
„Für alle Fälle. Wenn wir uns der Arsena nähern, werden wir doch das Schiff abbremsen müssen.“
„Und Sie machen sich noch über Igor Dmitrijewitsch lustig!“ Melnikow lächelte. „Dabei sind Sie selber … An den Düsen ist nichts. Nehmen Sie die Überprüfung vor, wenn das Schiff auf der Arsena gelandet ist.“
„Zu Befehl!“ antwortete Saizew finster.
Im Fahrstuhl, der ihn in einen anderen Korridor beförderte, dachte Melnikow über dieses Gespräch nach. Was für Menschen hatten sie doch an Bord! Jeder von ihnen war bereit, ohne Atempause zu arbeiten, damit alles wie am Schnürchen verliefe, damit „SSSR-KS 3“ die Venus erreichen und zurückkehren könnte. Es war ein Vergnügen, mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten, aber man mußte sie auch die ganze Zeit vor unnützer Kräftevergeudung zurückhalten, die durch keine Notwendigkeit gerechtfertigt war.
Während der ersten Tage der Fahrt hatte sich das nicht so bemerkbar gemacht. Die Menschen waren mit den neuen Bedingungen, die mit dem gewohnten Leben nichts gemein hatten, noch nicht vertraut gewesen. Ihre Gedanken waren noch rück- 52 wärts, auf die Erde, gerichtet, die sie verlassen hatten. Aber dieses eigenartige Trägheitsmoment begann allmählich nachzulassen, und alle stürzten sich nun mit Feuereifer auf die Arbeit.
Es war jedoch nicht so einfach, immer eine Beschäftigung zu finden. Gut die Hälfte der Besatzung schien für die ganze, verhältnismäßig kurze Zeit des Fluges zur Venus zur Untätigkeit verdammt. Was blieb beispielsweise für den Expeditionsarzt Andrejew zu tun, wenn alle völlig gesund waren und seiner Hilfe nicht bedurften? Was für eine Beschäftigung hätten sich der Geologe Romanow, der Biologe Korzewski oder der Ozeanograph Balandin ausdenken können? Saizew und Knjasew befanden sich in keiner besseren Lage. Sie alle beneideten aufs äußerste die Astronomen, die sich keine Aufgabe zu suchen brauchten — ihnen fiel sie von selbst zu. Vor dem Schiff breitete sich ein unendliches, unerschöpfliches Betätigungsfeld. Wahrhaftig, die Astronomen waren glückliche Menschen!
Aber es fand sich Arbeit für alle. Belopolski war sich darüber im klaren, welche Gefahren die Beschäftigungslosigkeit während des Fluges in sich barg, und er befahl deshalb Saizew, mit Hilfe aller freien Expeditionsteilnehmer die Bordflugzeuge, die Geländewagen und das Unterseeboot für den Einsatz auf der Venus klarzumachen, die Maschinen nachzusehen sowie alle Geräte und Apparaturen zu überprüfen. Außerdem stellte er dem Chefingenieur des Schiffes die Aufgabe, die Männer in der Ausführung kleinerer Reparaturen zu unterweisen, damit jeder von ihnen unbedeutende Störungen selbst beheben könnte. Toporkow wurde beauftragt, Andrejew und Korzewski in der Arbeit mit den transportablen Funkgeräten zu unterweisen, mit denen alle Fahrzeuge ausgerüstet waren. Nur die beiden konnten mit den Funkanlagen noch nicht umgehen.
In der Roten Ecke wurden regelmäßig nach einem anspruchsvollen Lehrplan Übungsstunden in Astronomie, kosmischer Navigation, Mechanik und Theorie der Weltraumfahrt durchgeführt.
„Auf einem Raumschiff muß jeder in der Lage sein, jeden zu vertreten“, sagte Konstantin Jewgenjewitsch. „Für viele von uns ist dies der erste Flug, für keinen aber der letzte. Es tut not, daß wir jede Stunde zum Lernen nützen.“ Ungeachtet solcher Beanspruchung, blieb dennoch viel freie Zeit, die mancher mit nichts auszufüllen wußte, und das waren die schwersten Stunden. Es galt, jeden aufzumuntern, den die Gedanken an die Erde und die nächsten Angehörigen unmerklich traurig stimmten. In solchen Augenblicken eilten die Besatzungsmitglieder zur Funkstation, um Toporkows Bordjournal zu „lesen“. Es gab natürlich gar kein solches Journal. Aber die Gespräche mit der Erde waren auf ein Magnettonband mitgeschnitten worden, und wenn die Männer ihre letzte Unterhaltung mit der Frau oder einem anderen Verwandten wieder gehört hatten, beruhigten sie sich.
Melnikow stieg aus dem Fahrstuhl und begab sich zur Kommandozentrale. Die hell erleuchteten Korridore lagen stumm und menschenleer. Die Stille, die im Raumschiff herrschte, wurde durch nichts gestört. Die zwölf Menschen konnten den Riesenleib des Schiffes nicht füllen, und so wirkte er, als hielte sich niemand darin auf. In den ersten Tagen berührte dies die Raumfahrer unangenehm, aber allmählich gewöhnten sie sich daran.
Das Raumschiff wurde vom Autopiloten gesteuert. Melnikow trat in die Zentrale und studierte forschend die Aufzeichnungen aller Geräte. Das Band des Lokators zeigte an, daß einige Minuten zuvor in einer Entfernung von dreitausend Kilometern ein mittelgroßer Meteorit vorübergeflogen war. Bis das Raumschiff dort anlangte, hatte er diesen Punkt längst wieder verlassen, der Kurs brauchte nicht geändert zu werden.
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