Tivia sah von der Plattform aus, wie zwei Tepis, eiförmige Fahrzeuge, das Raumschiff verließen und flink über den Salzstrand zum Ende der Flutbahn glitten. Sie hatten den Auftrag, die Kernbrennstoffe aus den Lagern am Ende des Meeres zur „Kua“ zu bringen. Das war ein untrügliches Anzeichen dafür, daß der Abflug bevorstand.
Langsam verließ Tivia wieder die Plattform und kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück.
Einige Zeit danach, noch am gleichen Tage, hatte Aerona Wache im Steuerraum. Sie sah auf dem Bildschirm die Tepis den langen, weißen Salzstrand entlangeilen. Viele Male schon waren sie seit heute morgen hin- und hergefahren und hatten ihre gefährliche Fracht im Rumpf der „Kua“ abgeladen. Viele Male noch würden sie den Weg zum Ende der Flutbahn zurücklegen müssen, bevor alle Treibstoffvorräte in die Lager des Raumschiffes gebracht waren.
Der polypenartige Kernproduktor sollte nur noch bis zur Zenitzeit arbeiten. Dann würden Roboter ihn auseinandernehmen und im Raumschiff verstauen. Auch die übrigen Anlagen mußten flugsicher in den Laderäumen der „Kua“ untergebracht werden, ebenso der Atomicer, der Weiße Pfeil und zum Schluß der Ringflügler.
Eben war eine Beratung aller Kosmonauten zu Ende gegangen, auf der der Abflug der „Kua“ auf den dritten Sonnenaufgang festgesetzt worden war. Die Steuerdüsen sollten das Sternenschiff aus dem Meer der toten Wasser heben und es bis zur Kreisbahn hinauftreiben. Erst dann, so war geplant, durfte das Haupttriebwerk am Ende des Kreiselstiels zünden. Nur so war es möglich, den Planetenbewohnern und den anderen Lebewesen dieser Welt am wenigsten zu schaden.
Mit schnell wachsender Geschwindigkeit würde dann das Raumschiff erneut seinem fernen Ziel entgegenstreben.
Aerona schrak aus ihren Gedanken auf. Meßautomaten, die draußen am Strand und auf den Bergen aufgestellt waren, warnten mit fiebrig zuckenden Lichtzeichen. Sie meldeten Erdbebenstöße aus südöstlicher Richtung. Die Stöße folgten in kurzen Abständen und wurden zusehends stärker. Aerona sprang auf. Sie sah die sechs Menschenfreunde über den Strand auf die „Kua“ zulaufen. Sofort gab sie Alarm und beorderte die Tepis und die roten Roboter zurück. Die Pilotrone des Atomicers und des Weißen Pfeils erhielten Startbefehl, und der Ringflügler verschwand von der Plattform in dem Rumpf der „Kua“.
Die Bebenwellen ebbten ab und kamen wieder, setzten kurze Zeit aus und stellten sich wieder ein. Inzwischen rasten Atomicer und Weißer Pfeil über die Flutbahn und schraubten sich hoch in die Lüfte.
Gohati eilte herbei. Er beugte sich über die Bebenwerte und rechnete hastig.
„Das Bebenzentrum ist weit entfernt“, sagte Aerona. Sie hatte es schon ausgerechnet und nannte die Entfernungszahl. „Müssen wir auch mit der ›Kua‹ starten? Dieses Beben kann doch keine Gefahr für uns sein, nicht wahr?“
Gohatis Augen nahmen einen entschlossenen und harten Glanz an. Da wußte Aerona auch ohne eine Antwort, daß doch große Gefahr bestand.
„Alle Menschenfreunde und Raumfahrer an Bord?“ fragte er kurz.
„Ja.“
Codeworte klangen auf. Sie bedeuteten: „Triebwerke an! — Heben!“
Die „Kua“ tat einen gewaltigen Sprung und stieg, vom Flammenkranz der Steuerdüsen rundum am großen Radius getragen, hoch in die Luft bis über die Gipfel der Steilufer empor. Der Startstoß warf Aerona zu Boden, und auch, Gohati taumelte durch den Steuerraum. Der weiße Salzstrand verschwand vom Bildschirm, und dunkle Fluten schossen statt dessen über ihn hin.
Das beständig auf- und abschwellende Grollen im Boden wurde von einem berstenden Schlag zerfetzt.
Aerona sprang auf, um die Lichtzeichen an den Kontrollgeräten abzulesen und notfalls neue Entschlüsse zu fassen. Ihr Blick huschte über die Bildfläche des Eriders, die Landschaft nach sichtbaren Anzeichen des Bebens absuchend.
Überrascht starrte Aerona auf das Ende der Flutbahn. Ein Schreckensruf entrang sich ihr. „Der Produktor!“
Am Ende des Meeres der toten Wasser klaffte ein breiter und bis zum Horizont verlaufender Erdriß. Schäumend schossen die Wasser des Meeres in ihn hinein, rissen den Produktor mit sich und spülten auch die Lager mit den Kerntreibstoffen, die noch nicht restlos geräumt waren, in die Tiefe des Planeten. Eine neue Bebenwelle durchlief das Land. Die Ränder des gewaltigen Erdspaltes wanderten aufeinander zu, den Schlund verschließend. Polternd und krachend schoben sich riesige Schollen übereinander.
„Alle Kosmonauten zu mir!“ rief der Kommandant in die Bordsprechanlage.
Gohati griff zum Myonendolmetscher. Er stellte eine Verbindung zu jenem Raum der „Kua“ her, der vorübergehend für den Aufenthalt der Planetenbewohner hergerichtet worden war und mit menschlicher Atemluft versorgt wurde.
„Menschenfreunde“, sagte er, „ein Erdbeben zwang uns, in die Wolken aufzusteigen, um unser Sternenschiff vor Beschädigungen zu bewahren. Die Gefahr ist jetzt vorbei. Wir werden bald wieder landen. Bis dahin bitte ich euch, etwas Geduld zu haben. Tivia wird bald zu euch kommen und euch alles Weitere berichten.“
Inzwischen hatten Kalaeno, Azul, Sil, Tivia und Sinio den zentralen Steuerraum betreten. Gohati erklärte kurz, was geschehen war. Dann sagte er: „Eine weitere Ergänzung unseres Treibstoffes ist nicht mehr möglich.“
Gohati zögerte weiterzusprechen. Sie wußten alle, was das bedeutete. Sie kannten Gohati. Schwerwiegende Worte kündeten sich so bei ihm an.
„Der Weiterflug zu den äußeren Welten ist ohne den Produktor ein Wagnis. Verfehlen wir die Teloiden, ist uns der Rückweg versagt. Nur sie können uns die Urenergie für die Heimkehr geben. Oder aber wir kehren jetzt schon um und fliegen zu Heloid zurück.“
Der Kommandant sah sich im Kreis um. Großer Ernst lag auf allen Gesichtern. Eine schwerwiegende Entscheidung war zu treffen. Lange Zeit sagte niemand ein Wort. Alle überlegten.
Was sollte nun aus ihrer Expedition werden? Ein Beben, unbedeutend im Verhältnis zu den Gefahren des Kosmos, drohte, sie scheitern zu lassen.
„Wir bauen uns einen neuen Produktor, wir haben uns ja auch neue Kreisel gebaut“, sagte Sil schließlich zuversichtlich.
„Dann können wir die Treibstoffe selbst ergänzen und zurückfliegen, auch wenn wir die Teloiden nicht finden sollten.“
„Das kostet uns zuviel Zeit“, erinnerte Gohati. „Wir dürfen nicht länger auf dem dritten Planeten bleiben, sondern müssen wieder die Dilatation auf uns wirken lassen, sonst altern wir zu schnell. Wir müssen also fliegen.“
„Wir suchen die Teloiden, unbedingt“, forderte Azul.
„Sollten wir sie nicht finden, müssen wir vorbeugen und versuchen, uns während des Fluges einen neuen Produktor zu bauen, damit wir die notwendige Urenergie für den Rückflug zum Heloid selbst gewinnen können.“
Die Kosmonauten prüften diesen Vorschlag gründlich. Dann beschlossen sie, trotz des Unglücks zum vorgesehenen Zeitpunkt zu starten und Kurs auf die äußeren Welten zu nehmen.
Das Beben war vorbei.
Die „Kua“ landete wieder.
Tivia ging zu den Menschenfreunden, um sie über das Geschehene zu informieren. Bald meldete sie sich. „Ia-du-lin möchte wissen, welchen Schaden das Beben in E-rech angerichtet hat. Ich schlage vor, mit unseren Vertrauten im Ringflügler zum Zweistromland zu fliegen. Vielleicht ist unsere Hilfe dort notwendig.“
Alle stimmten zu. Kalaeno und Tivia wurden beauftragt, diesen Flug mit den Vertrauten zu unternehmen.
„Man sollte auch das Bebenzentrum untersuchen“, meinte Sil.
„Gut, mit dem Weißen Pfeil“, sagte Gohati.
„Es wird unseren Abflug verzögern“, gab Aerona zu bedenken.
„Wir müssen aber unbedingt feststellen, wie hoch die Aktivität des Bebenzentrums ist und welche Gefahr für das Zweistromland und auch für uns noch bis zum Abflug besteht“, entgegnete Sinio.
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