Blendender Flammenschein umrahmte plötzlich den Koloß vor der Höhlung. Draußen brüllte und toste es für Sekunden.
Der Weiße Pfeil kam. Azul stürzte zur Höhle hinaus. Glücklich schloß er die Augen vor dem grellen Licht. Freudig lauschte er dem vertrauten Dröhnen des Triebwerkes. Doch schnell sprangen seine Gedanken um. Hoffentlich brachte der Weiße Pfeil Medikamente und Geräte, mit denen man das Gift aus den Körpern der Menschen hier in der Höhle bannen konnte!
Der Weiße Pfeil war etwas entfernt zwischen den Hügeln niedergegangen. Seine Bremsfeuer erloschen.
Azul stand draußen in freier Nacht. Bewundernd nahm er den Glanz der Sterne in sich auf. Froh fühlte er, wie ihn ihr Funkeln nicht mehr schreckte. Die ungeheure Weite über ihm stimmte ihn feierlich. Wie schön war es doch, Raumfahrer, Wanderer zwischen den Sternen zu sein. Er gehörte zu ihnen, zu den Söhnen des Kosmos. Seine Gedanken gingen erneut zu den Menschen. Auch sie werden einmal ihre Leben fest ihrem eigenen Willen unterordnen und ihre Umwelt selbst gestalten.
Die Zeit, in der ihre schöpferischen Kräfte hervorbrechen und sich nicht mehr dem Zwang einzelner Herrscher unterwerfen werden, in der sie ihre kosmische Umwelt erforschen und ferne Welten des Lebens entdecken werden, wird auch für sie kommen, dachte Azul.
Da erinnerte er sich des Hügelhanges gegenüber. War dort nicht auch eine frisch gemauerte Wand zu sehen gewesen?
Azul sprang auf den Durug. Gerade erschien Sinio im Kabineneingang, um ihn zu begrüßen. Azul schob ihn sanft zur Seite. „Später“, murmelte er, „später.“ Er hastete zum Steuerautomaten und drückte rasch einige Tasten. „Schnell wenden“, sagte er.
Der Motor summte auf. Das Fahrzeug ruckte an, zog eine enge Schleife und rollte auf den gegenüberliegenden Hügel zu.
Azul hielt den Durug an, als er den Eingang auf dem Bildschirm des Tulers hatte. Wortlos wies er auf ihn. Der Bildschirm zeigte helle Wärmestriche. Auch dort lebten also noch Menschen, die das schleichende Gift der Priester noch nicht vollends getötet hatte.
Der Durug ruckte an, stieß gegen den Hügel vor und riß die Wand ein. Entkräftete, halbnackte Sklaven taumelten ihnen durch die Staubschwaden entgegen.
„Wo ist der fliegende Ring? Er muß schnellstens die Medikamente vom Weißen Pfeil herbeischaffen!“ rief Azul.
„Der Ring ist abgestürzt. Ich muß mit dem Durug zum Landeort hinfahren“, sagte Sinio.
Azul richtete sich erschrocken auf. „Und Sil?“ fragte er stockend.
„Sil versucht, den Ring wieder flugfähig zu machen.“
Azul griff in fliegender Hast zu den Knöpfen des Funkgerätes. Er rief Sil an und fragte ihn nach den Schäden.
Als Sil so unerwartet Azuls Stimme hörte, begrüßte er ihn freudig. Ungeduldig unterbrach ihn Azul. „Die Schäden, sag mir schnell die Schäden“, forderte er nochmals.
„Am Ringflügler ist fast alles bis auf ein paar Kleinigkeiten unversehrt geblieben“, berichtete Sil. „Er stürzte aus geringer Höhe ab. Bloß einer seiner Federstelzen ist angeknickt. Aber das Antriebssystem funktioniert nicht mehr. Ich kann den Fehler nicht finden. Die Beleuchtung brennt auch nicht.“
Azul riet, bestimmte Kontakte des Steuerautomaten zu lösen und auf eine andere Weise miteinander zu verbinden. Sil versuchte es. „Du hast recht“, meldete er sich schon wenige Augenblicke später voller Staunen. „Die Ringflügel kreisen wieder. Licht ist auch in der Kabine. Dann hat also der Steuerautomat nur falsche Befehle gegeben. Wie kommt es, daß du…“
„Schnell, flieg zum Weißen Pfeil und hole Tivia und die Medikamente“, bat Azul, ohne ihn ausreden zu lassen.
Während Sil mit dem fliegenden Ring zum nahen Landeort des Weißen Pfeils flog, um Tivia und Gohati, die Medikamente und die ärztlichen Geräte zu den beiden geöffneten Höhlen zu bringen, durchfuhr Sinio mit dem Durug das Hügelgebiet und durchleuchtete die Höhleneingänge. Er fand noch eine dritte Höhle, in der Menschen lebten. Sinio glaubte den Aufzeichnungen des Infratrons nie, wenn er die Höhlen von außen durchleuchtete und sich keine Wärmepunkte zeigten. Er durchbrach die sperrenden Wände auch dann, wenn keine Anzeichen von Leben dahinter festzustellen waren. Überall fand er das gleiche erschütternde Bild: Das Gift der Priester hatte nicht alle der lebendig eingemauerten Sklaven, die ihren toten Herren oder ihre tote Herrin in die Gruft begleiteten, getötet, sondern meistens nur betäubt, so daß sie bald wieder zur Besinnung gekommen waren und langsam verhungern, verdursten oder ersticken mußten. Manche hatten sich in ihrer Verzweiflung auch selbst umgebracht. Sinio überwand das Grauen, das ihn packte, und raste weiter zum nächsten Höhleneingang. Doch nur einmal noch konnte er Rettung bringen.
Der Hagere hatte die Droge der Priester nicht eingenommen, sondern sie in der Höhle irgendwo von sich geschleudert. Jetzt suchte er sie in fliegender Hast. Die Sternenwanderer, die mit der schwebenden Scheibe von dort herkamen, wo das Feuer zwischen den Hügeln herabgefallen war, wollten das kleine weiße Kügelchen haben. Das Leben aller Befreiten hänge davon ab, sagten sie. Er verstand nicht, warum das so war, doch er glaubte ihnen. Er fand die kleine weiße Kugel zwischen den toten Ochsen. Ein zweites Giftkügelchen, wohl das des Mädchens, das sie auf sein Geheiß ebenfalls fortgeworfen hatte, entdeckte er bald danach in dem Staub des Höhlenbodens. Die Sternenwanderer eilten damit in ihr rundes, fliegendes Haus und kamen bald mit seltsam schmeckendem Wasser wieder, das sie den Frauen und Männern aus der Höhle einflößten.
Tivia hatte die Kügelchen in einen chemischen Analysator geworfen. Wenig später flammten auf seinem Lichtband Symbole. „Ein tückisches Gift“ murmelte Tivia. Das Diagnosegerät arbeitete inzwischen weiter. Knisternd sprangen Fünkchen über die schwarze Fläche des Schirms. Dann nannte das Myonenhirn die Zusammensetzung des Gegengiftes und die Behandlungsmethode. Tivia setzte eine weitere Apparatur in Tätigkeit und füllte aus kleinen Behältern die notwendigen Grundstoffe ein.
Schweigend umstanden sie Azul, Gohati und Sil. „Es wirkt ausschließlich auf die Nerven“, erklärte Tivia, „und ruft je nach der eingenommenen Menge die unterschiedlichsten Wirkungen hervor, die von der einfachen Betäubung bis zur dauernden Störung des Nervensystems, bis zur tödlichen Lähmung reicht. — Die Drogen der Priester waren schlecht gemischt“, fügte sie hinzu. „Das eine Kügelchen hätte nur Schlaf verursacht, das andere längere Lähmung.“
Die Raumfahrer trugen die noch lebenden Menschen aus den drei Höhlen hinaus auf einen Platz zwischen den Hügeln. Tivia untersuchte sie rasch und stellte den Grad ihrer Vergiftung fest, bevor sie weitere Medikamente eingab. Bei den meisten der erschöpften Menschen tat schnelle Hilfe not. Die Medizin und die konzentrierte Raumfahrernahrung ließ fast alle erstaunlich schnell wieder zu Kräften kommen. Nur bei wenigen wollten die Lähmungen nicht reichen. Am schwersten war es, das Paar, das sich fest umschlungen hatte, dem Leben zurückzugeben.
Schließlich legte Tivia allen Menschenwesen Masken auf die Gesichter und ließ sie ein Gas einatmen, das jenes Gift in den Menschenkörpern vollends beseitigte. Bald richteten sich die ersten auf und begannen mit langsamen Schritten umherzugehen.
Der Hagere stand abseits auf einer Höhe. Seine dunkle Gestalt hob sich deutlich vom nächtlichen Horizont ab. Er grübelte. Fragend ging sein Blick zu den Sternen. Der leichte Nachtwind umspielte ihn.
Neben ihm im Grase saß das Mädchen. „Wann führen uns die Götter in die Weite, in ein anderes Leben? Warum nehmen wir nicht unseren Lu-gul mit?“ fragte sie. Sie hatte noch nicht begriffen, was geschehen war, und glaubte, daß sich nun die Weissagungen der Priester vollzögen.
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