Ochsen und Esel waren in großer Anzahl aufgezogen und zahlreiche Herden für die Soldaten zum Schlachten gegeben worden. Dann endlich, als die Sterne durch ihre Konstellation den Zeitpunkt des Handelns anzeigten, war das Heer aufgebrochen. Es erschien eines Morgens vor den Mauern E- rechs. Die Tore der Stadt waren zwar verschlossen, und die Soldaten vermochten nicht einzudringen, aber es war auch gar nicht beabsichtigt gewesen, die Stadt gewaltsam zu erobern.
Der Gal-Uku-Patesi brauchte seine Soldaten noch für andere Kämpfe. Er hatte gehofft, daß allein seine wohlgeordnet aufmarschierten und aufs beste ausgerüsteten Krieger En-mer- kar und seine Ratgeber entmutigen und einschüchtern würden.
E-rech aber hatte sich nicht schrecken lassen, und er war gezwungen gewesen, die Stadt zu belagern. En-mer-kar würde wohl morgen einen Ausfall unternehmen lassen. Schon der Wassermangel in der Stadt zwang ihn sicher dazu. Es könnte zu einer Schlacht auf offenem Felde kommen.
Der Gal-Uku-Patesi faßte schließlich den Entschluß, den Ring der Belagerung auf der dem Fluß abgewandten Seite der Stadt zu verstärken und die Wache nahe dem Ufer nur schwach zu besetzen. Auf diese Weise würde En-mer-kar vielleicht den Ausfall zum Pu-rat-tu hin durchführen, und die Soldaten aus Ur konnten dann den Feind angreifen, in den Fluß drängen oder in die Stadt zurücktreiben.
Als der Morgen graute, warf sich der Gal-Uku-Patesi auf sein Lager. Schnell schlief er ein.
Wüstes Geschrei weckte ihn. Der Heerführer sprang auf und ergriff seinen Lederhelm. Die grellen Strahlen der noch tiefstehenden Morgensonne stachen durch einen Spalt des Zelteinganges und blendeten ihn kurze Zeit. Der Gal-Uku- Patesi trat ins Freie. Seine Soldaten standen umher und starrten in die Luft. Hoch oben, noch über der belagerten Stadt, schwebte eine runde Scheibe, um die ein Ring kreiste. Der fremde, nie gesehene unheimliche Vogel senkte sich etwas herab und folgte nahe der Stadtmauer der Linie der Postenkette. Die Soldaten dort stoben nach allen Seiten auseinander. Nur im Heerlager, das etwas abseits lag, blieben die Krieger dicht beisammen.
In der Stadt hatten die Priester des Tempelbezirkes inzwischen dafür gesorgt, daß die Bewohner E-rechs — die Männer, Frauen und Kinder, die Soldaten und Beamten, Wasserholer, Händler, Kaufleute, Flußschiffer, Lasttiertreiber, Schreiber, Töpfer und all die anderen — von der Anwesenheit der Himmelssöhne und dem fliegenden Haus erfuhren. So kam es, daß zwar ein jeder furchtsam zu dem fliegenden Haus der Götter aufsah, als es sich über den Tempeltürmen zeigte, daß aber niemand in panischer Angst davonrannte.
Mit freudigem Geschrei sammelten sich die Leute, als vom Palast her der Herrscher En-mer-kar, begleitet vom Hohenpriester auf dem heiligen Esel, vom Nubanda und anderen hohen Beamten, von Ia-du-lin und Offizieren der Leibgarde durch die Gassen und Straßen zum Südtor schritt. Es ging das Gerücht, die Himmelssöhne hätten in dieser Nacht eine Botschaft der Götter im Tempel des Nan-nar verkündet und Frieden gefordert. Der Herrscher gehe nun vor die Stadt, um das feindliche Heer zu vertreiben.
Die Soldaten En-mer-kars auf den Wällen, Türmen und Mauern sahen, wie die Wachposten aus Ur davonrannten, als der fliegende Ring erschien. Sie sprangen auf, kletterten von ihren Posten herab und liefen ihnen schreiend und waffenschwenkend nach, um die Belagerer vollends in die Flucht zu schlagen. Aber da kam plötzlich der fliegende Ring zurück und zog zwischen ihnen und den Feinden einen feurigen Strich, aus dem Funken stoben, Flammen loderten und Rauch und Dampf emporquollen. Die Soldaten hielten erschrocken inne und wagten nicht, diesen feurigen Strich zu überschreiten.
Als dennoch ein junger Offizier darüber hinwegsprang, senkte sich der fliegende Ring herab. Der junge Offizier duckte sich betroffen hinter einem großen Feldstein nieder, sprang dann aber wieder auf, als eine furchtbare Gestalt aus dem Haus der Götter fiel und auf ihn zuschwankte. Er rannte zurück bis in die Stadt hinein. Hinter ihm zersprang der Feldstein gräßlich knackend und prasselnd in unzählige Stücke. Der unsichtbare Feuerhammer des Gottes hatte ihn zur Warnung zerschmettert.
En-mer-kar, Ia-du-lin und die anderen aus der Begleitung des Herrschers erreichten mittlerweile das Südtor. Sie wurden Zeuge, wie die Himmelssöhne das Feuer vom Himmel warfen und so die Soldaten E-rechs daran hinderten, Leute aus Ur zu töten. Schleunigst gab En-mer-kar seinen Offizieren den Befehl, die Soldaten vom Vorfeld der Stadt auf die Mauern und Wälle zurückzuziehen. Nichts wäre im Augenblick schrecklicher, als die Söhne der I-na-nua zu erzürnen, die dann gewiß ihren strafenden Feuervogel herbeirufen würden.
Wer vermochte zu sagen, ob sich dann der Sinn der Götter nicht wandelte und sie den Gal-Uku in die Stadt einziehen ließen.
Ia-du-lin eilte dem Zug En-mer-kars voraus. Sein gelber Umhang leuchtete weithin sichtbar. Er schritt geradewegs auf den Gal-Uku-Patesi zu, der in ihm sogleich den Tamkare En- mer-kars erkannte. Ia-du-lin unterrichtete den Heerführer davon, daß der Herrscher E-rechs persönlich zu ihm komme, um ihm eine Botschaft A-nus, I-na-nuas, Nan-nars, Nin-Gals und der anderen Götter zu überbringen. Diese Botschaft sei heute nacht von den beiden Söhnen der I-na-nua verkündet worden. Niemand brauchte jedoch die beiden Götter, die En- mer-kar zusammen mit dem fliegenden Ring begleiteten, zu fürchten, es sei denn, daß jemand seine Waffe erhebe und die beiden Himmelssöhne dadurch erzürne.
Dann trat Ia-du-lin zur Seite und hüllte sich in Schweigen. Er sah, daß die Gunstbezeigung der Himmelssöhne für E-rech auf den Gal-Uku-Patesi einen starken Eindruck machte.
Erbitterung und Argwohn spiegelten sich in den Mienen des mächtigen Mannes aus Ur wider. Ia-du-lin fühlte Triumph aufsteigen. Der Gal-Uku mochte wohl ahnen, was für eine Niederlage sich ihm anbahnte.
Ia-du-lin hatte den Heerführer so laut über den nahenden Zug und dessen Absicht informiert, daß die Umstehenden es hörten und die Nachricht unter den Soldaten verbreiteten. Keiner der Offiziere dachte daran, die Soldaten aufzustellen und für den Empfang zu ordnen. Erst als die Feldpriester, die schon im Morgengrauen durch geheime Boten von den nächtlichen Ereignissen im Tempel des Nan-nar erfahren hatten, beschwörend durchs Lager liefen, nahmen die Soldaten widerwillig Aufstellung.
Langsam kam der Zug En-mer-kars näher. Sil und Azul waren aus dem Ringflügler ausgestiegen. Sie begleiteten En- mer-kar, in ihren schweren Raumanzügen eigentümlich anzusehen, bis mitten in das Lager. Der Ring folgte ihnen, vom Pilotron automatisch gesteuert, in geringer Höhe.
Der Zug benutzte ausschließlich die vorhandenen Wege und vermied es, über die Felder zu kommen. Der Nubanda, bereits an seine Amtsgeschäfte denkend, sah umher. Nur wenige Felder des Palastes, die das Korn, Gerste und Spelzweizen trugen, waren abgeerntet gewesen, als vor einigen Tagen das Heer aus Ur erschien. Viele Kornschläge waren daher verwüstet. Die Soldaten des Gal-Uku hatten sie zerstampft, oder die Herden, die sie mitführten, hatten sie abgefressen.
Man könnte noch einiges retten, würden gleich heute Soldaten und Sklaven zur Ernte herbeordert. Schon aus diesem Grunde erschien dem Nubanda der Rat der Himmelssöhne besonders klug und weise. Sie hatten wirklich alles bedacht.
Azul fand diese Komödie wunderlich. Wer ihm sechs Lichtzeiten von hier, als er darauf drängte zu landen, gesagt hätte, er würde den Götzen spielen und einen der Mächtigen der Bewohner eines heißen Planeten auf seinem Wege zu einem anderen Mächtigen begleiten, um ihnen das Töten auszureden, dem hätte er es nicht geglaubt. Sils liebenswerter Glaube, den Bewohnern des blauen Planeten nützlich sein zu können, hatte sie in diese eigenartige Situation gebracht.
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