Der Eremit war acht Jahre zuvor entdeckt worden. Es gab auf ihm keinen Wechsel der Jahreszeiten. Das feuchte, heiße Klima in den Zonen um den Äquator wurde nach den Polen zu allmählich trockener. Aber selbst an den Polen sank die Temperatur tagsüber nie unter fünfzehn Grad. Auf dem Eremiten herrschten ewiger Frühling und ewiger Sommer. Vom Äquator nach Norden und Süden zu erstreckte sich Tausende von Kilometern, bedrohend und finster, die Selva, ein undurchdringliches Dickicht. Die Fauna der Selva war abscheulich und einförmig: hirnlose Lebewesen von sackartiger Gestalt, bedeckt mit übelriechendem Schleim, sprangen und krochen umher und kannten nur eine einzige Beschäftigung, ihre Artgenossen, die kleiner als sie selbst waren, aufzufressen.
Das erste Raumschiff hatte den Eremiten lange umkreist, um einen Landeplatz ausfindig zu machen, und hatte Raketen zu Erkundungszwecken abgeschossen. Überall hatte es ein und dasselbe vorgefunden. Daraufhin hatte der Kommandant beschlossen, mit den Planetartriebwerken einen Flecken von einem Kilometer Durchmesser niederzubrennen. Das Raumschiff war gelandet. Die mit der Erkundung beauftragten Kosmonauten stiegen aus, und nach einer Stunde waren die von dieser Gruppe Übriggebliebenen zum Raumschiff zurückgekehrt. Bereits zwei Stunden später unterschied sich der abgebrannte Fleck durch nichts mehr von der Selva ringsum. Die düstere Monotonie der Landschaft wurde lediglich von dem wie ein Pfeil zum Zenit aufragenden Schiff unterbrochen.
Das Raumschiff war wieder zur Erde zurückgekehrt. Sein Kommandeur war fest davon überzeugt, daß sich der neu entdeckte Planet nur dann für Leben eignen könne, wenn man die Selva absolut vernichtete. Die Schnelligkeit, mit der die Selva das vom Menschen gewonnene Gebiet zurückerobert hatte, war beängstigend. Trotzdem war zum Eremiten — irgendwer hatte diesen öden Planeten „Eremit“ getauft — eine zweite Expedition entsandt worden. Sie hatte ihre Erkundungen von oben, mit Hubschraubern, vorgenommen. Von der Existenz vernunftbegabten Lebens auf dem Eremiten konnte in keiner Weise die Rede sein. Es gab dort nicht einmal Reptilien, geschweige denn Säugetiere.
Am fünften Tage ihres Aufenthaltes war die Expedition inmitten der Selva auf einen bräunlichen Fleck gestoßen. Ein Hubschrauber war daraufhin mehr in die Tiefe gegangen und hatte einige halbkugelförmige Gebäude mit Durchgängen und zwanzig Meter hohen, weißen Zylindern beobachten können.
Diese Entdeckung kam so völlig unerwartet, daß sie unter den Mitgliedern der Expedition großen Jubel ausgelöst hatte. Aber sie hatten diese Gebäude nicht betreten können. Nicht einmal bis in ihre Nähe waren sie vorgedrungen, weil der gesamte Gebäudekomplex von einem Kraftfeld abgeschirmt wurde, das dem Eindringen der Selva zu wehren hatte. Dieses isolierte Stück Zivilisation wurde Tag und Nacht bewacht. Doch es lag still und wie ausgestorben da.
Tags darauf hatte man am Äquator die Zentralstation entdeckt; sie wurde sofort mit diesem Namen bezeichnet. Sie umfaßte ein Gebiet mit einem Radius von etwa zehn Kilometern. Ein riesiges Gebäude in der Mitte war ebenfalls leer.
Wenig später wurden noch neunzehn dieser kleinen Flecken geortet. Irgend jemand mußte sie der Selva abgerungen, merkwürdige Gebäude darauf placiert und sie mit unsichtbaren Wächtern, Kraftfeldern, versehen haben. Die zwanzig Siedlungsflecken, die von einer unbekannten Zivilisation stammen mußten, bezeichnete man einfach als Basen. Sie waren über den Eremiten ringförmig, in regelmäßigen Abständen von zweitausend Kilometern, verteilt. Weitere Merkmale einer Zivilisation gab es nicht. Keine Städte, keine Straßen oder Wege, keine Raumhäfen.
Die dritte Expedition hatte dann entdeckt, wie die Kraftfelder auszuschalten waren. Damit konnten die systematische Erforschung des Planeten und die Ergründung seiner Geheimnisse ihren Anfang nehmen.
Transportlinienschiffe brachten im Laufe von vier Monaten Ausrüstungen, Hubschrauber, Mehrzweckmobile, Apparaturen, komplette wissenschaftliche Laboratorien, Gebäude, Lebensmittel, Möbel und Menschen auf den Eremiten. Die Expedition war vorzüglich ausgestattet. In ihr waren zweihundertvierzehn Mann tätig: Archäologen, Zoologen, Botaniker, Physiker, Techniker und Ingenieure. Da man nicht wußte, was auf dem Eremiten einst vor sich gegangen war, hatte man zur Arbeit auf diesem Planeten Vertreter aller Wissensgebiete herangezogen.
Die Expedition wurde von Konrad Stakowski geleitet, bei dem Erli studiert hatte. Als sich Erli der Journalistik verschrieb, war Stakowski verärgert gewesen. Er hatte dadurch einen seiner Lieblingsschüler verloren. Erli hatte die Physik jedoch nicht aufgegeben, denn er schrieb darüber, als er Journalist geworden war. Auch jetzt flog er auf Einladung seines alten Lehrers mit zum Eremiten. Konrad hatte den Grund für seine Auswahl verschwiegen, und Erli erging sich in Mutmaßungen. Eine Einladung zur Arbeit auf dem Eremiten war für jeden Journalisten schmeichelhaft. Erli wußte das und war stolz darauf. Aber es war noch ein anderer Umstand zu berücksichtigen. Auf dem Eremiten arbeitete in der Gruppe der Ar-chäologen seine frühere Frau Lej. Hatte Stakowski etwa im Sinn, zwei Menschen, die er selbst gut kannte, wieder miteinander zu versöhnen? Auch das hatte Erli bedacht, doch diesen Gedanken weit von sich gewiesen. Erli träumte zwar von Begegnungen mit Lej, tat jedoch gleichzeitig alles, sie zu verhindern. Jetzt würde es wohl nicht mehr zu umgehen sein.
Zweihundertfünfzehn Menschen auf ein und demselben Planeten waren schließlich nicht viel. Es war einfach unmöglich, einander nicht zu begegnen.
Erli warf die Kopie des Rechenschaftsberichtes über die Arbeit auf dem Eremiten auf den Tisch. Das war überhaupt keine Rechenschaftslegung! Die Expedition war auf Probleme und Rätsel gestoßen, wie ein blindes Kätzchen gegen eine Wand anläuft. Zoologen und Botaniker hatten allerdings einige Erfolge zu verzeichnen.
Aber was für eine Zivilisation hatte es hier gegeben? Wohin war sie entschwunden? Was bedeuteten die merkwürdigen Bauten auf der Zentralstation? Wozu hatte man die Basen benötigt, die in gleichmäßigen Abständen voneinander errichtet waren?
Erli verließ die Bibliothek und ging den hell erleuchteten Korridor entlang, um einen Blick in den Kommandosektor zu werfen und sich mit dem Kommandeur von „Veilchen“ zu unterhalten.
Nikolai Traikow rekelte sich in einem Sessel in der Bibliothek, reagierte auf alle Fragen Erlis nur mit sauren Grimassen und antwortete zuweilen wortkarg: „Später. Du wirst schon noch alles erfahren. Früh genug.“
Und Sven sagte: „Ist noch absolut undurchsichtig und unklar.
Wir treten auf der Stelle. ›Veilchen‹ macht Patrouille im Raum um den Eremiten. Gerade so, als warteten wir darauf, daß uns jemand besucht.“
„Nicht zu uns zu Besuch kommt, sondern zu sich nach Hause“, korrigierte ihn Henry. „Wir sind nämlich die Gäste, dazu auch noch ungebetene.“ Damit wechselte er jäh das Thema.
„Sag mal, Erli, was für neue Vornamen sind denn so auf der Erde aufgekommen? Ich werde ein Töchterchen haben, auf jeden Fall ein Mädchen. Osa will sie Seona nennen. Aber ich weiß nicht, bin mir noch nicht ganz im klaren…“
Es waren bereits zwei Tage vergangen, seitdem sich „Veilchen“ von „Warszawa“ getrennt hatte. Das bedeutete, sie konnten nun den Versuch machen, die Verbindung mit der Zentralstation aufzunehmen.
Erli war im Korridor kaum ein paar Schritte gegangen, als er Henry bemerkte, der auf ihn zukam. Dieser war offensichtlich mißgelaunt und brummte, als er Erli erreicht hatte: „Faulpelze.“
„Ist irgendwas passiert?“ fragte Erli, der nicht verstand, wo-von der Funker sprach.
„Sie wollen mit uns nicht eher Verbindung aufnehmen, als es der Zeitplan vorsieht. Ich kann einfach nicht glauben, daß Osa mir nichts mitzuteilen hat. Faulpelze, dabei bleib’ ich. Wenn man in einem Gebiet Patrouille machen muß, kommt das vor.
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