»Die Ablesungen sind da«, sagte Dunworthy.
Mary nahm das Aufnahmegerät und gab die Zahlen ein.
Badri öffnete die Augen. »Sie müssen…«, sagte er und schloß sie wieder. »So kalt«, murmelte er.
Dunworthy zog seinen Mantel aus, aber dieser war zu naß, um ihn als Decke zu benutzen. Hilflos hielt er im Raum nach etwas zum Zudecken Ausschau. Badris Jacke war in das Ablagefach unter der Konsole gestopft. Dunworthy legte sie seitwärts über ihn.
»Kalt«, murmelte Badri. Er zitterte sichtbar.
Mary, noch mit der Eingabe von Daten beschäftigt, blickte scharf auf. »Was hat er gesagt?«
Badri murmelte wieder etwas und sagte dann mit klarer Stimme: »Kopfschmerzen.«
»Kopfschmerzen«, sagte Mary, »fühlen Sie Übelkeit?«
Er bewegte den Kopf ein wenig hin und her, um zu verneinen. »Wann war…«, sagte er und umfaßte ihren Arm.
Sie legte ihre Hand stirnrunzelnd auf seine und die andere an seine Stirn.
»Er hat Fieber«, stellte sie fest.
»Etwas ist nicht in Ordnung«, sagte Badri und schloß die Augen. Seine Hand ließ ihren Arm los und fiel zurück auf den Boden.
Mary sah auf die Ablesungen und befühlte wieder seine Stirn. »Wo ist dieses verdammte Hautthermometer?« sagte sie und begann wieder in ihrer Tasche zu suchen.
Das Aufnahmegerät piepte. »Sie sind hier«, sagte sie. »Vielleicht kann jemand hinuntergehen und ihnen den Weg zeigen.« Sie tätschelte Badris Brust. »Liegen Sie schön still.«
Sie waren bereits an der Tür, als Dunworthy sie öffnete. Zwei Ärzte aus dem Krankenhaus drängten sich an ihm vorbei, beladen mit Taschen wie Kabinenkoffer.
»Sofortige Einweisung«, sagte Mary, bevor sie ihre Koffer öffnen konnten. Sie stand auf. »Lassen Sie die Bahre bringen«, sagte sie zu der Ärztin. »Und geben Sie mir ein Hautthermometer und einen Succosetropf.«
»Ich nahm an, das Balliol-Personal wird auf Drogen und Endorphine überprüft«, sagte Gilchrist.
Einer der Ärzte drängte sich mit dem Tropf in der Hand an ihm vorbei.
»Im Brasenose würden wir niemals zulassen…« Er mußte aus dem Weg gehen, als die Sanitäter mit der Bahre kamen.
»Ist das ein Drogenfall?« fragte der Arzt mit einem Blick zu Gilchrist.
»Nein«, sagte Mary. »Haben Sie das Hautthermometer?«
»Wir haben keines bei uns«, sagte er. Er verband den Zuleitungsschlauch mit der Kanüle. »Wir werden warten müssen, bis wir ihn in der Station haben.« Er hielt den Plastikbeutel mit der Lösung eine Minute in die Höhe, bis der Flüssigkeitsdruck den kleinen Pumpenmotor in Gang setzte. Dann klebte er den Beutel Badri auf die Brust.
Die Ärztin nahm Badris Jacke weg und zog eine graue Decke über ihn. »Kalt«, sagte Badri. »Sie müssen…«
»Was muß ich tun?« sagte Dunworthy.
»Die Fixierung…«
»Eins — und zwei«, sagten die Sanitäter wie aus einem Munde und hoben Badri mit einem Schwung auf die Bahre.
»James, Mr. Gilchrist, ich muß Sie bitten, mit mir in die Klinik zu kommen, um sein Aufnahmeformular auszufüllen«, sagte Mary. »Und ich werde seine Krankengeschichte brauchen, falls eine vorhanden ist. Einer von Ihnen kann im Krankenwagen mitfahren und der andere folgen.«
Dunworthy wartete nicht, um mit Gilchrist zu streiten, wer von ihnen im Krankenwagen mitfahren sollte. Er folgte den Krankenträgern mit der Bahre, stieg ein und setzte sich zu Badri, der angestrengt atmete, als ob die Beförderung auf der Bahre zuviel Anstrengung für ihn gewesen wäre.
»Badri«, sagte er mit gedämpfter Stimme, aber in drängenden Ton, »Sie sagten, etwas sei nicht in Ordnung. Meinten Sie, mit der Fixierung sei etwas schiefgegangen?«
»Ich bekam die Fixierung«, sagte Badri mit zusammengezogenen Brauen.
Der Arzt, bisher damit beschäftigt, Badri an eine einschüchternde Reihe von Anzeigeinstrumenten anzuschließen, blickte irritiert zu Dunworthy.
»Hat der Lehrling die Koordinaten falsch berechnet? Es ist wichtig, Badri. Hat er sich bei den Entfernungskoordinaten geirrt?«
Mary kletterte in den Krankenwagen.
»Als stellvertretender Dekan der Fakultät sollte ich derjenige sein, der den Patienten im Krankenwagen begleitet«, hörte Dunworthy Gilchrist sagen.
»Sie erreichen uns in der Notaufnahme der Klinik«, sagte Mary und zog die Hecktüren zu. »Haben Sie schon die Temperatur gemessen?« fragte sie den Arzt.
»Ja. Er hat 39,5. Blutdruck 90 zu 55, Puls 115.«
»Gab es einen Irrtum in den Koordinaten?« fragte Dunworthy, über Badri gebeugt.
»Alles fertig hinten?« fragte der Fahrer über das Mikrofon.
»Ja«, sagte Mary. »Code eins.«
»Ist Puhalski in den Standortkoordinaten der Ferndistanz ein Irrtum unterlaufen?«
»Nein«, sagte Badri. Plötzlich hob er die Hand und packte Dunworthy beim Mantelaufschlag.
»Ist es die Verschiebung?«
»Ich muß…«, sagte Badri. »So in Sorge.«
Die Sirenen schmetterten los und übertönten den Rest seines Gemurmels. »Sie müssen was?« rief Dunworthy durch das ohrenbetäubende Tatü, Tatü.
»Etwas verkehrt«, sagte Badri und sank wieder in Bewußtlosigkeit.
Etwas verkehrt. Es mußte die Verschiebung sein. Außer den Koordinaten war sie das einzige, was bei einer Absetzoperation schiefgehen konnte, ohne diese selbst zu unterbrechen, und er hatte gesagt, die Standortkoordinaten seien richtig gewesen. Aber wieviel Verschiebung? Badri hatte ihm gesagt, es könnten bis zu zwei Wochen sein, und er wäre nicht im strömenden Regen ohne seinen Mantel bis zum Wirtshaus gelaufen, wenn es nicht viel mehr gewesen wäre. Wieviel mehr? Ein Monat? Drei Monate? Andererseits hatte er Gilchrist gesagt, daß die vorläufigen Ergebnisse eine minimale Verschiebung gezeigt hätten.
Mary schob ihn beiseite und befühlte wieder Badris Stirn. »Geben Sie Natriumthiosalycilat in den Tropf«, sagte sie. »James, gehen Sie aus dem Weg.«
Dunworthy schob sich an ihr vorbei und setzte sich auf die Bank beim rückwärtigen Einstieg.
Mary nahm wieder ihr Aufnahmegerät und drückte auf den Sendeknopf. »Ahrens hier. Bereiten Sie eine Serotypie vor.«
»Pyelitis?« mutmaßte der Arzt beim Ablesen der Instrumente. »Blutdruck 96 zu 60, Puls 120, Temperatur 39,5.«
»Kann ich mir nicht denken«, sagte Mary. »Der Patient scheint keine Bauchschmerzen zu haben, aber bei dieser Temperatur ist es offensichtlich eine Infektion.«
Plötzlich gingen die Sirenen in der Frequenz herunter und verstummten. Der Arzt zog die Anschlüsse aus den Wandinstrumenten.
Mary tätschelte dem Kranken die Brust. »Wir sind da, Badri. Bald werden Sie wieder auf den Beinen sein.«
Er gab nicht zu erkennen, daß er sie gehört hatte. Mary zog ihm die Decke bis zum Kinn und legte die Kabel darauf. Der Fahrer öffnete die Hecktüren, und zusammen mit seinem Kollegen zogen sie die Bahre heraus. »Ich möchte eine vollständige Blutuntersuchung«, sagte Mary beim Aussteigen zum Arzt. »Blutbild, chemische, serologische und bakteriologische Blutuntersuchung.« Dunworthy kletterte hinter ihr hinaus und folgte ihr in die Notaufnahme.
»Ich brauche eine Krankengeschichte«, sagte sie bei der Anmeldung. »Von Badri — wie ist sein Nachname, James?«
»Chaudhuri«, sagte er.
»Krankenversicherungsnummer?«
»Keine Ahnung«, sagte er. »Er ist am Balliol College angestellt.«
»Würden Sie so gut sein und den Namen buchstabieren?«
»C-H-A-U-«, sagte er. Mary verschwand in der Abteilung. Er wollte ihr nach, hatte aber kein Glück.
»Tut mir leid, Sir«, sagte die Schwester im Empfang, sprang von ihrer Konsole auf und versperrte ihm den Weg. »Bitte bleiben Sie sitzen…«
»Ich muß mit dem Patienten sprechen, den Sie gerade aufgenommen haben«, sagte er.
»Sind Sie ein Angehöriger?«
»Nein«, sagte er. »Er ist bei mir beschäftigt. Es ist sehr wichtig.«
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