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James White: Jenseits des Todes

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James White Jenseits des Todes

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Der Stuhl war nicht bequem, denn er sollte die Nachtschwestern am Einschlafen hindern. Die Daten wirbelten in Ross’ Gehirn durcheinander und verursachten ein Gedankenchaos. Ross beschloß, wieder in sein Zimmer zurückzugehen, um sich dort auszuruhen. Nach einem stärkenden Schlaf würde er die Dinge gewiß klarer sehen und vielleicht Hilfe von außen erhalten.

Fünf Minuten später lag er zwischen den vergilbten Bettüchern aus einem ihm unbekannten Plastikmaterial. Er wollte schlafen, doch die wirren Gedanken hielten ihn wach. Die Unterlagen hatten ihn verwirrt. Er hatte den grünen Aktendeckel mitgenommen und unter sein Kopfkissen geschoben. Er hatte noch nicht alle Blätter gelesen und fürchtete sich davor, es zu tun, denn nach den vorangegangenen Erlebnissen war anzunehmen, daß die auf diesen Blättern stehenden Angaben noch verwirrender sein würden. Ross wußte nicht, was er tun sollte. Er fürchtete sich vor der Wahrheit, wußte aber, daß er keine Ruhe finden konnte. Er mußte die übrigen Blätter lesen und sich vollständig informieren.

Stöhnend und zögernd richtete er sich auf und zog den grünen Aktendeckel hervor. Er stützte sich auf einen Ellenbogen, schlug ein neues Blatt auf und begann zu lesen. Es handelte sich um ein Blatt aus einem ihm unbekannten Material, auf dem die Versetzung verschiedener Pfleger und Ärzte beschrieben war. Zwei Ärzte und vier Schwestern waren namentlich aufgeführt. Infolge akuter Personalknappheit mußten diese Leute alle anderen Arbeiten, wie das Reinigen, ebenfalls übernehmen. Das Blatt war von Dr. Pellew unterzeichnet worden und trug das Datum März 2092.

Weitere Blätter beschrieben die immer stärker werdende Personalknappheit der folgenden zwanzig Jahre und die sich daraus ergebenden Änderungen der Organisation. Die gewöhnlichen Hilfskräfte waren immer wichtiger geworden und schließlich sogar zur Pflege der Patienten herangezogen worden.

Ross schüttelte den Kopf und las aufgeregt weiter. Immer mehr Fragen tauchten auf, die er unbedingt beantwortet haben wollte. Mehrere gesperrt geschriebene und unterstrichene Sätze sprangen ihm förmlich in die Augen:

„Während des Notstands müssen alle Abteilungen völlig unabhängig voneinander bestehen können; ein Austausch von Hilfsmitteln, Lebensmitteln und Personal darf nicht stattfinden! Zuwiderhandlungen werden mit sofortigem Ausschluß bestraft.

Alle in Tiefschlaf versetzten Patienten mit Aussicht auf Heilung müssen sofort in die Spezialabteilung für noch fruchtbare Mutanten transportiert werden.“

Ross las eine Reihe von Nummern, darunter seine eigene. Es hatte also einen Notstand gegeben. Das Wort gefiel ihm nicht und ließ ihn Böses ahnen.

Seine Hände zitterten vor Erschöpfung, aber er nahm sich ein neues Blatt vor, weil er genauere Angaben zu finden hoffte.

Er fand das Protokoll einer Konferenz, die am 6. Juli 2101 unter Vorsitz von Dr. Hanson stattgefunden hatte. Bei dieser Konferenz waren neue Heilmethoden besprochen worden, die auch bei Patienten im Tiefschlaf angewendet werden konnten. Der Nachteil dieser Behandlung bestand in der langen Verzögerung der Wirkung. Die Schwierigkeit lag darin, daß die meisten Ärzte schon im fortgeschrittenen Alter waren und die Wiederbelebung der Patienten nicht erleben würden. Allein Dr. Hanson war noch jung genug, um Zeuge der Wiederbelebung langfristig eingeschläferter Patienten werden zu können.

Die Ärzte waren übereingekommen, sich selbst in Tiefschlaf versetzen zu lassen. Nur einer mußte jeweils wach sein und die lebensnotwendigen Geräte überwachen. Es war vereinbart worden, jeweils zwanzig Jahre zu schlafen Der für eine Periode von drei Monaten wachende Arzt sollte gleichzeitig Forschungsaufgaben erledigen.

Dr. Hanson als der jüngste Arzt hatte um eine Frist von fünf Jahren gebeten. Er war jung genug, um sich das leisten zu können, und außerdem mit der Erforschung einer bestimmten Herzkrankheit beschäftigt. Der frühere Direktor war wegen dieser Krankheit in Tiefschlaf versetzt worden und konnte nur durch eine völlig neuartige Behandlung gerettet werden. Dr. Pellew war eine anerkannte Kapazität und mußte unbedingt gerettet werden. Dr. Hanson bat um eine angemessene Zeit für seine Forschungen und bekam sie zugebilligt.

Die verschiedenen Gefahren des geplanten Verfahrens waren in dem Protokoll erwähnt, ebenso die möglichen Schutzmaßnahmen. Als Ergebnis dieser Konferenz wurde auch den weniger kompetenten Leuten und Hilfskräften ein größerer Arbeitsbereich zugestanden. Hilfskräfte mit nur mäßiger Ausbildung sollten fortan Diagnosen stellen und kleinere Eingriffe vornehmen dürfen.

* * *

Ross starrte mit brennenden Augen auf die Papiere. Er begriff, daß sie für ihn bestimmt waren. Sie sollten eine Art Lektion sein und ihm das Zurechtfinden nach dem Erwachen erleichtern.

Er schluckte schwer und dachte dankbar an die alten Männer, die ihr Leben verlängert hatten, um ihr Wissen möglichst lange zu erhalten. Es war ein Kampf gegen die Zeit gewesen, denn nur die erwachenden und geheilten Patienten konnten dieses Wissen in sich aufnehmen und vor dem Untergang bewahren. Dr. Hanson schien erfolgreich gewesen zu sein, denn ein Blatt aus dem Jahre 2233 trug wieder Dr. Pellews Unterschrift.

Eine wilde Hoffnung sproß in Ross auf. Das Protokoll berichtete nur von der Einschläferung der Experten. Wenn nun auch das Hilfspersonal eingeschläfert worden war? Vielleicht gehörte Alice dazu?

Plötzlich ging das Licht aus.

Die absolute Finsternis war erschreckend. Sieben Kilometer unter der Erde zu liegen und keinen Lichtstrahl zu sehen — das ging an die Nerven. War er vergessen worden? Lag er in einem Verlies tief unter der Oberfläche, vielleicht als der letzte Überlebende? Er spürte sein Herz schlagen und hörte das Rauschen seines Blutes. Der Aktendeckel entglitt seinen Händen, die losen Blätter fielen auf den Boden. Er biß die Zähne zusammen, um sie so am unkontrollierbaren Klappern zu hindern.

Dann hörte er Geräusche, die das Brausen seines Blutes und das wilde Hämmern des Herzens übertönten. Es war ein regelmäßiges Dröhnen, begleitet von einem leisen Zischen. Irgend jemand stand einen Augenblick vor der Tür und kam dann herein. Ross bemühte sich vergebens, die Dunkelheit zu durchdringen, doch seine Augen nahmen nicht den geringsten Lichtschimmer wahr. Er hörte ein Wesen durch den Raum gehen, vernahm Atemgeräusche und leises Hantieren.

Das Wesen schien Gegenstände aufzuheben und an anderer Stelle abzulegen. Was immer der Fremde tat, er schien es zielbewußt zu tun. Offenbar bereitete ihm die Finsternis keine Schwierigkeiten, denn er stieß niemals irgendwo an und warf nichts um. Wenn das so war, mußte das Wesen ihn sehen können. Jeden Augenblick konnte es erkennen, daß er erwacht war. Würde es dann an sein Bett kommen? In Ross krampfte sich alles zusammen. Er wollte nicht so lange warten und entschloß sich, die nervenzermürbende Ungewißheit zu beenden.

„Wer ist da?“

„Die Krankenschwester“, antwortete eine unpersönlich klingende Stimme. „Sie erholen sich schnell, Mr. Ross. Jetzt müssen Sie aber unbedingt schlafen.“

Die Schwester ging wieder zur Tür und kam nicht an sein Bett. Ross hörte sie durch den Gang gehen und die Tür zur aufwärts führenden Rampe hinter sich zuschlagen. Wenige Sekunden darauf ging das Licht wieder an.

Ross hob die Hände vor die Augen, denn er mußte sich erst wieder an das gleißende Licht gewöhnen. Neben der Beethovenbüste standen vier neue Büchsen mit Nahrung für ihn. Sonst war nichts verändert worden. Er zog die Bettücher bis ans Kinn und entspannte sich. Die Müdigkeit verlangsamte zwar den Denkprozeß, doch er dachte klar und logisch. Warum war die Schwester in völliger Dunkelheit in sein Zimmer gekommen? Das mußte eine wichtige Bedeutung haben. Waren die Lampen nur ihretwegen ausgeschaltet worden?

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