Dennoch verspürte ich überraschend den Wunsch, für Jase um Verständnis zu bitten. Es war weniger Simons Weltanschauung, die ihm ein Ärgernis war, als vielmehr dessen bloße Anwesenheit. Diese Woche in den Berkshires war als Wiedersehen gedacht gewesen, für Jason und Diane und mich, eine Rückkehr in die Behaglichkeit unserer Kindheit. Stattdessen mussten wir es uns gefallen lassen, auf engem Raum mit Simon eingesperrt zu sein, den Jason offensichtlich als Eindringling sah, als eine Art Yoko Ono mit Südstaatenakzent.
Ich fragte Diane, wie lange sie schon unterwegs seien.
»Ungefähr eine Woche«, erwiderte sie, »aber wir werden den Großteil des Sommers auf Reisen sein. Jason hat dir sicherlich von New Kingdom erzählt. Nun, in Wirklichkeit ist es ziemlich wunderbar, Ty. Wir haben Internetfreunde im ganzen Land. Leute, bei denen wir ein, zwei Tage pennen können. Wir werden also zu Konklaven und Konzerten fahren, von Maine bis Oregon, von Juli bis Oktober.«
Jason sagte: »Da dürftet ihr ja eine Menge Kosten für Unterkunft und Kleidung sparen.«
»Nicht jede Konklave ist eine Ekstasis«, gab Diane zurück.
»Wir werden allerdings überhaupt nicht viel zum Reisen kommen«, sagte Simon, »wenn uns dieses alte Auto, das wir da haben, zusammenbricht. Der Motor hat Fehlzündungen und der Benzinverbrauch ist katastrophal. Leider verstehe ich nicht viel von Autos. Kennst du dich mit Motoren aus, Tyler?«
»Ein bisschen.« Ich begriff, dass das eine Einladung war, mit Simon nach draußen zu gehen, damit Diane einen Waffenstillstand mit ihrem Bruder aushandeln konnte. »Wir können uns das ja mal ansehen.«
Der Tag war immer noch klar, warme Luft kam vom smaragdgrünen Rasen jenseits der Auffahrt heraufgeweht. Ich hörte, wie ich zugeben muss, mit geteilter Aufmerksamkeit zu, als Simon die Motorhaube seines alten Fords öffnete und die Probleme aufzählte, die er mit dem Auto hatte. Wenn er so wohlhabend war, wie Jason angedeutet hatte, warum kaufte er sich dann keinen besseren Wagen? Aber womöglich war das Erbe ja schon halb aufgebraucht, oder es war fest angelegt in Treuhandfonds.
»Ich schätze, ich mache hier einen ziemlich dämlichen Eindruck«, sagte Simon. »Vor allem in der Gesellschaft, in der ich mich befinde. Was Wissenschaft oder Technik angeht, war ich schon immer ein bisschen unterbelichtet.«
»Ich bin auch kein Experte. Selbst wenn wir diesen Motor dazu bringen, reibungsloser zu laufen, solltest du ihn mal in einer richtigen Werkstatt untersuchen lassen, bevor du größere Strecken in Angriff nimmst.«
»Danke, Tyler.« Er sah mit kulleräugiger Faszination zu, wie ich den Motor inspizierte. »Den Rat werde ich beherzigen.«
Als Verursacher des Übels schienen mir am ehesten die Zündkerzen in Frage zu kommen. Der Wagen hatte etwa hunderttausend Kilometer auf dem Buckel. Ich benutzte das Werkzeugset aus meinem eigenen Auto, um eine der Kerzen herauszuziehen, und zeigte sie ihm. »Das hier ist der größte Teil deines Problems.«
»Das Ding da?«
»Und seine Freunde. Die gute Nachricht ist, die Ersatzteile sind nicht teuer. Die schlechte Nachricht ist, es wäre besser, wenn du das Auto nicht mehr fährst, bis wir die neuen Teile eingesetzt haben.«
»Hmm.«
»Wir können mit meinem Wagen in die Stadt fahren und Ersatzteile holen, falls du bereit bist, bis morgen Früh zu warten.«
»Ja, sicher. Das ist sehr freundlich. Wir hatten auch nicht die Absicht, sofort wieder wegzufahren. Es sei denn, Jason besteht darauf.«
»Jason wird sich beruhigen. Er ist nur…«
»Du brauchst nichts zu erklären. Er hätte es lieber, wenn ich nicht hier wäre. Das verstehe ich, es schockiert oder überrascht mich nicht. Diane fand nur, dass sie keine Einladung annehmen könne, die mich ausdrücklich nicht einschließt.«
»Tja… gut für sie.« Vermutlich.
»Aber ich könnte mir genauso gut irgendwo in der Stadt ein Zimmer nehmen.«
»Dazu besteht keine Veranlassung«, sagte ich und fragte mich im gleichen Atemzug, wie es um Gottes willen dazu hatte kommen können, dass dieser Simon Townsend ausgerechnet von mir zum Bleiben gedrängt wurde. Ich weiß nicht, was genau ich mir von einem Wiedersehen mit Diane versprochen hatte, jedenfalls hatte Simons Anwesenheit mögliche verschwiegene Hoffnungen gleich wieder zunichte gemacht. Gut so, vermutlich.
»Ich nehme an«, sagte Simon, »Jason hat mir dir über New Kingdom gesprochen. Das ist ein Streitpunkt zwischen uns.«
»Er hat mir erzählt, dass ihr damit zu tun habt.«
»Ich will hier keine Werbung machen, aber falls dir irgendetwas an der Bewegung Sorgen bereitet, kann ich sie dir vielleicht nehmen.«
»Alles, was ich über NK weiß, ist das, was ich im Fernsehen sehe, Simon.«
»Einige Leute bezeichnen es als christlichen Hedonismus. Ich ziehe den Namen New Kingdom vor. Das bringt es im Grunde auf den Punkt. Den Chiliasmus wachsen lassen, indem man ihn lebt, hier und jetzt. Das Dasein der letzten Generation so idyllisch sein lassen wie das der allerersten.«
»Aha. Tja, Jason hat wenig Nachsicht mit Religion.«
»Ja, das ist richtig, aber weißt du was, Tyler? Ich glaube, es ist gar nicht die Religion, die ihn so aufregt.«
»Nicht?«
»Nein. Ich bewundere Jason Lawton, und das nicht nur, weil er so klug ist. Er ist einer der Eingeweihten, wenn du mir die Vokabel gestattest. Er nimmt den Spin ernst. Es gibt, na, acht Milliarden Menschen auf der Erde? Und so ziemlich jeder davon weiß, dass die Sterne und der Mond vom Himmel verschwunden sind. Und doch verschließen sie sich dieser Realität. Nur wenige von uns glauben wirklich an den Spin. NK nimmt ihn ernst. Und Jason tut es auch.«
Das entsprach auf fast schockierende Weise dem, was Jason gesagt hatte. »Nun, allerdings nicht im gleichen… Stil.«
»Das ist der springende Punkt. Zwei Visionen, die um öffentliche Zustimmung wetteifern. Über kurz oder lang werden die Menschen sich der Realität stellen müssen, ob sie wollen oder nicht. Und sie werden sich entscheiden müssen zwischen einem wissenschaftlichen Verständnis und einem spirituellen. Das macht Jason Sorge. Denn wenn es um die Frage von Leben und Tod geht, dann obsiegt immer der Glaube. Wo würdest du die Ewigkeit lieber verbringen? In einem irdischen Paradies oder einem sterilen Labor?«
Die Antwort schien mir nicht so klar auf der Hand zu liegen, wie Simon offenbar meinte. Ich musste an Mark Twains Antwort auf eine ähnliche Frage denken: Im Himmel, des Klimas wegen, in der Hölle, der Gesellschaft wegen.
Im Innern des Hauses fand eine unüberhörbare Diskussion statt — abwechselnd Dianes schimpfende Stimme und die mürrischen, monoton vorgetragenen Antworten ihres Bruders. Simon und ich holten uns zwei Klappstühle aus der Garage, setzten uns in den Schatten des Carports und warteten darauf, dass die Zwillinge fertig würden. Wir unterhielten uns über das Wetter. Das Wetter war sehr schön. In diesem Punkt bestand Konsens zwischen uns.
Der Lärm im Haus ebbte schließlich ab, und nach einer Weile trat ein etwas ernüchtert wirkender Jason nach draußen und lud uns ein, ihm mit dem Grill zu helfen. Wir folgten ihm nach hinten und setzten unsere Unterhaltung fort, während der Grill heiß wurde. Auch Diane kam jetzt nach draußen, mit gerötetem Gesicht, aber sichtlich triumphierend. So hatte sie schon früher immer ausgesehen, wenn sie aus einem Streit mit Jason siegreich hervorgegangen war: ein bisschen überheblich, ein bisschen überrascht.
Dann setzten wir uns an den Tisch auf der Terrasse. Es gab Huhn, Eistee und die Überreste des Dreibohnensalats. »Habt ihr etwas dagegen, wenn ich ein Gebet spreche?«, fragte Simon.
Jason verdrehte die Augen, nickte aber tolerant.
Simon senkte feierlich den Kopf. Ich machte mich auf eine Predigt gefasst, aber alles, was er sagte, war: »Gib uns den Mut, die Fülle anzunehmen, die du uns an diesem und jedem anderen Tag vorsetzt. Amen.«
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