„Ich habe die Löcher bemerkt und mit meinem Pflaster zugeklebt“, sagte der Biologe.
Erg Noor drückte ihm dankbar den Arm.
„Allerdings wäre es wegen der übermäßigen Schwerkraft besser“, sagte Luma, „so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Dabei wird nicht sosehr die Startbeschleunigung als vielmehr der Übergang zur normalen Schwerkraft gefährlich sein.“
„Ich verstehe: Sie befürchten, daß sich der Puls noch mehr verlangsamt. Aber er ist doch kein Pendel, der seine Bewegungen in einem stärkeren Gravitationsfeld beschleunigt!“
„Die Impulse des Organismus haben den gleichen gesetzmäßigen Rhythmus. Wenn der Herzschlag sich um die Hälfte verlangsamt — also ein Schlag in zweihundert Sekunden —, dann wird das Gehirn nicht mehr genügend mit Blut versorgt und…“
Erg Noor war völlig in Gedanken versunken und vergaß die Umstehenden. Seine Mitarbeiter warteten geduldig. Endlich schien er sich wieder besonnen zu haben, er seufzte tief.
„Sollte man nicht den Organismus einem erhöhten Druck in einer mit Sauerstoff angereicherten Atmosphäre aussetzen?“ fragte er zaghaft und erkannt sogleich im Lächeln seiner beiden Mitarbeiter, daß sein Gedanke richtig war.
„Eine ausgezeichnete Idee, das Blut bei großem partiellem Druck mit Sauerstoff zu sättigen! Natürlich werden wir alles tun, um eine Thrombose zu verhindern; dann macht es auch nichts aus, wenn sich der Herzschlag verlangsamt.“
Eon Tal lächelte, und sein strenges Gesicht wirkte auf einmal jung und übermütig.
„Zwar wird das Bewußtsein nicht zurückkehren, aber die Funktionen des Organismus bleiben erhalten“, meinte Luma erleichtert. „Wollen wir jetzt die Druckkammer vorbereiten? Ich möchte die große Silikollglocke benutzen, die wir für die Sirda mitgenommen haben! Dort hinein stellen wir einen hydraulischen Sessel, der während des Starts als Lager dient. Nach der Aufhebung der Beschleunigung legen wir Nisa auf ein Bett.“
„Benachrichtigen Sie mich, sobald Sie alles hergerichtet haben. Ich bin in der Zentrale zu finden. Wir werden hier keinen Augenblick länger als nötig bleiben, wohl alle haben genug von der Finsternis und Bedrückung dieser schwarzen Welt!“
Die Expeditionsmitglieder eilten in die verschiedenen Kabinen. Startsignale hallten durch die Räume. Noch nie hatten sich die Raumfahrer so erleichtert gefühlt wie jetzt, da sie in die weichen hydraulischen Sessel sanken. Der Start des Schiffes auf solch einem schweren Planeten war schwierig und gefährlich. Die riesige Beschleunigung lag an der Grenze der menschlichen Widerstandsfähigkeit, und der geringste Fehler des Piloten konnte allen zum Verhängnis werden.
Erg Noor steuerte das Sternschiff meisterhaft auf der Tangente in den Raum hinaus.
Die hydraulischen Sessel wurden unter der zunehmenden Schwere immer tiefer hinabgedrückt. Bald würden sie nicht mehr nachgeben können, und die zerbrechlichen menschlichen Knochen müßten unter dem unvorstellbaren Druck der Beschleunigung zersplittern. Die Hände des Expeditionsleiters auf den Geräteknöpfen wurden so schwer, daß er sie nicht mehr von der Stelle zu rühren vermochte. Nur die kräftigen Finger arbeiteten, und die „Tantra“ stieg in einem gigantischen flachen Bogen immer höher in die schwarze Unendlichkeit. Erg Noor schaute unverwandt auf die rote Säule des Horizontalausgleichers, die in labilem Gleichgewicht pendelte und anzeigte, daß das Schiff jederzeit wieder fallen konnte. Der schwere Planet entließ die „Tantra“ noch immer nicht aus seiner Gefangenschaft. Erg Noor beschloß, die Anamesontriebwerke einzuschalten, die das Sternschiff von jedem beliebigen Planeten fortzutragen imstande waren. Das Schiff begann heftig zu vibrieren. Die rote Säule stieg um einen Zehntel Millimeter über den Nullstrich. Noch ein wenig…
Durch das Periskop des oberen Sehfeldes sah der Expeditionsleiter, wie die „Tantra“ von einer dünnen Schicht bläulicher Flammen bedeckt war, die zum Schiffsheck hin langsam abfloß. Die Atmosphäre war durchstoßen! In der Leere des Raumes flossen die restlichen Ströme nach dem Gesetz der Supraleitfähigkeit gerade am Schiffskörper entlang.
Wieder schienen die Sterne Nadeln gleich, die „Tantra“ entfernte sich immer weiter von dem schrecklichen Planeten. Mit jeder Sekunde verringerte sich die Schwerkraft. Immer leichter wurde der Körper. Das Gerät für künstliche Gravitation begann zu summen, und die normale irdische Anziehungskraft kam der Besatzung nach dem anhaltenden Druck des schwarzen Planeten unbeschreiblich gering vor. Alle sprangen aus den Sesseln. Ingrid, Luma und Eon vollführten einen Freundentanz. Doch bald trat die unvermeidliche Reaktion ein, und fast alle versanken in einen kurzen Schlaf. Nur Erg Noor, Pel Lin, Pur Hiss und Luma Laswi blieben wach. Der vorläufige Kurs des Sternschiffs mußte berechnet werden, damit man auf einer gigantischen Kurve senkrecht zur Rotationsebene des gesamten Systems des T-Sterns dem Eis- und Meteoritengürtel dieses Systems ausweichen konnte. Erst dann durfte das Schiff auf annähernde Lichtgeschwindigkeit gebracht werden, erst dann konnte man beginnen, in langwieriger Arbeit den endgültigen Kurs zu bestimmen.
Die Ärztin beobachtete Nisas Zustand beim Start und nach dem Übergang zur normalen Schwerkraft. Bald konnte sie alle mit der Mitteilung beruhigen, daß die Pulsschläge zwar langsamer geworden, aber konstant geblieben waren — ein Schlag in hundertzehn Sekunden. Bei Erhöhung der Sauerstoffzufuhr bedeutete das keinesfalls den Tod. Luma schlug vor, Thyratron und organische Stimulatoren zu Hilfe zu nehmen.
Fünfundfünfzig Stunden lang vibrierten die Schiffswände unter dem Donnern der Anamesontriebwerke, bis die Zeiger endlich eine Geschwindigkeit von neunhundertsiebzig Millionen Kilometern in der Stunde anzeigten, das war nahe an der Gefahrengrenze. Der Abstand vom Eisenstern vergrößerte sich innerhalb von vierundzwanzig Erdenstunden auf mehr als zwanzig Milliarden Kilometer. Es läßt sich mit Worten kaum beschreiben, wie erleichtert die dreizehn Weltraumfahrer nach den schweren Prüfungen auf dem toten Planeten waren. Doch ihre Freude über die Befreiung war getrübt; das vierzehnte Besatzungsmitglied, die junge Nisa Krit, lag hinter der Tür der Krankenkabine bewegungslos zwischen Schlaf und Tod.
Alle fünf Frauen — Ingrid, Luma, die Elektroneningenieurin, die Geologin und die Lehrerin für rhythmische Gymnastik, Irne Mar, hatten sich bei der Kranken versammelt. Über eine Luftmatratze breiteten sie einen Teppich aus weichen Mittelmeerschwämmen, legten Nisa darauf und stülpten die Glocke aus rosa Silikoll über sie. Exakte Geräte konnten jahrelang die erforderliche Temperatur, den Druck und die Zusammensetzung der Luft in der Druckkammer konstant halten. Weiche Schaumgummikissen hielten Nisa in einer Lage, die die Ärztin nur einmal im Monat änderte. Allerdings konnte die absolute Bewegungslosigkeit abgestorbene oder wund gelegene Stellen zur Folge haben. Deshalb wollte die Ärztin Nisa nicht ohne Aufsicht lassen und lehnte es ab, sich die ersten ein bis zwei Jahre der bevorstehenden Flugzeit in Schlaf versenken zu lassen.
Der kataleptische Zustand Nisas hielt an. Das einzige, was die Ärztin zu erreichen vermochte, war die Beschleunigung des Pulses auf einen Schlag in sechzig Sekunden. Wie gering auch der Erfolg war, er machte es möglich, die für die Lunge auf die Dauer schädliche Übersättigung mit Sauerstoff aufzuheben.
Vier Monate waren vergangen. Das Sternschiff flog sicher auf dem exakt errechneten Kurs, der in großem Bogen um das Gebiet der Meteoritenschwärme herumführte. Die von den Abenteuern und der kräftezehrenden Arbeit ermüdete Besatzung wurde in einen siebenmonatigen Schlaf versenkt. Den Dienst versahen diesmal nicht drei, sondern vier Personen. Zu Erg Noor und Pur Hiss hatten sich noch die Ärztin Luma Laswi und der Biologe Eon Tal gesellt.
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