Erg Noor zuckte zusammen, als ihm auf dem Bildschirm die Oberfläche des Planeten entgegenstürzte. Der unbekannte Pilot ließ die „Parus“ tiefer gehen. Ganz nahe glitten Sandkegel, schwarze Felsen und im Licht der Wega grün funkelnde Kristallfelder vorüber. Das Sternschiff zog seine Spiralen um den Planeten von einem Pol zum anderen. Keinerlei Anzeichen von Wasser oder von pflanzlichem Leben.
Ein banges Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit des Sternschiffes in den öden Weiten, im Machtbereich des blauen Flammensterns stellte sich ein. Erg Noor konnte die Hoffnung derjenigen nachempfinden, die den Film aufgenommen und den Planeten nach Spuren von Leben abgesucht hatten. Jeder, der einmal zu toten Planeten geflogen war, kannte dieses angespannte Suchen nach Ruinen, nach Überresten von Städten und Bauwerken, die man immer wieder in Felseinschnitten oder Schluchten zu entdecken glaubt. Schnell jagt die verbrannte, von Wirbelstürmen aufgewühlte, schattenlose Oberfläche über den Bildschirm.
„Unsere Mitmenschen auf der Erde werden enttäuscht sein“, sagte der Biologe zum Expeditionsleiter. „Viele Jahrtausende blicken Millionen Menschen voll Hoffnung zur Wega. Bereits vor tausend Jahren wußten die Menschen verhältnismäßig viel über die Sterne. Doch sie ahnten nicht, daß fast jeder langsam rotierende Stern mit starkem Magnetfeld Planeten hat, wie auch fast jeder Planet in unserem Sternensystem Trabanten hat. Sie kannten dieses Gesetz nicht, aber sie träumten von Brüdern auf anderen Sternen, vor allem auf der Wega. Ich habe verschiedene alte Gedichte über die Menschen dieses blauen Sterns gelesen.“
„Nach dem letzten Funkspruch der ›Parus‹ war auch mein Traum die Wega“, sagte Erg Noor, zu Eon Tal gewandt. „Jetzt ist klar, daß eine Wunschvorstellung mir und vielen anderen den Blick vernebelt hat.“
„Und wie entschlüsseln Sie heute den Funkspruch der ›Parus‹?“
„Ganz einfach: ›Die vier Planeten der Wega sind völlig tot. Es gibt nichts Herrlicheres als unsere Erde. Welch ein Glück zurückzukehren!‹“
„Sie haben recht!“ rief der Biologe. „Wieso kam bisher keiner darauf?“
„Vielleicht ist es jemand eingefallen, nur uns nicht, den Astronauten, und auch nicht dem Rat. Doch eigentlich gereicht uns das zur Ehre, denn kühne Träume und nicht Skepsis siegen im Leben!“
Auf dem Bildschirm war der Flug um den Planeten beendet. Aufzeichnungen der automatischen Station schlossen sich an, die zur Analyse der Oberflächenverhältnisse des Planeten hinuntergeschickt worden war. Dann erfolgte eine heftige Explosion. Die „Parus“ hatte eine geologische Bombe abgesetzt, und eine riesige Wolke von Mineralteilchen stieg hinauf bis zum Sternschiff. Pumpen heulten auf, sie sogen Staubteilchen in die Filter der Ansaugkanäle. Einige Proben feinsten Mineralpulvers aus den Wüsten und Bergen den verbrannten Planeten füllten die Silikoll-Reagenzgläschen, Luft der oberen atmosphärischen Schichten wurde in Quarzballons aufbewahrt. Die „Parus“ trat den Rückflug an, den sie jedoch nie vollenden sollte. Nun brachten die Forscher der „Tantra“ alles, was die toten Astronauten mit großer Mühe, Geduld und Tapferkeit erringen konnten, zur Erde.
Die restlichen Aufzeichnungen — sechs Spulen Beobachtungen — würden von den besten Astronomen der Erde ausgewertet werden. Das Wichtigste davon würde allen über den Großen Ring zugänglich gemacht werden.
Keiner wollte sich die Filme über das weitere Schicksal der „Parus“, über den schweren Kampf gegen die Havarie und den T-Stern, ansehen, keiner sich die tragische letzte Tonspule anhören — jene wertvolle Warnung. Zu stark waren noch die eigenen Erlebnisse. Man wollte damit warten, bis die gesamte Besatzung wach war. Von den Eindrücken überwältigt, begaben sich die Diensthabenden zur Ruhe, nur Erg Noor blieb in der Zentrale.
Er dachte nicht mehr daran, daß seine Träume zerstört waren. Er überlegte, was nun an auch noch so geringem Wissen für die Menschheit auf Kosten zweier opfervoller Expeditionen gewonnen worden war.
Erg Noor dachte an seine heimatliche Erde, an seine Mitmenschen, deren Leben frei war von schweren Sorgen, von den Gefahren der Natur oder der Primitivgesellschaft. Natürlich gab es auch jetzt noch in der Epoche des Rings Mißerfolge, Irrtümer und Enttäuschungen, doch jetzt entstanden sie in den schöpferischen Prozessen der Wissenschaft, der Kunst und des Aufbaus. Allein das Wissen und die schöpferische Arbeit befreiten die Erde von den Unbilden des Hungers, der Übervölkerung, von Seuchen und schädlichen Tieren, bewahrte sie vor Mangel an Brennstoff, an nützlichen chemischen Elementen, vor frühzeitigem Tod und Siechtum der Menschen. Und dieses Wissen, jene winzigen Erkenntnisse, die die „Tantra“ mitbrachte, werden in die mächtige Bewegung des Denkens eingehen, die mit jedem Jahrzehnt einen Schritt nach vorn beim Aufbau der Gesellschaft und bei der Erkenntnis der Natur machte.
Erg Noor öffnete den kleinen Safe für das Bordjournal der „Tantra“ und nahm die Schachtel heraus, in der das Metallstück vom Tellerschiff auf dem schwarzen Planeten lag. Der Splitter wog ungewöhnlich schwer in seiner Hand.
Erg Noor wußte, daß es solch ein Metall weder auf dem heimatlichen Planeten und den Nachbarplaneten im Sonnensystem noch auf den nächstgelegenen Sternen gab. Außer der Nachricht vom Untergang des Lebens auf der Sirda war das vielleicht die wichtigste Information, die sie der Erde und dem Ring bringen würden. Der Eisenstern war der Erde sehr nah, ein Besuch des schwarzen Planeten durch eine speziell ausgerüstete Expedition würde jetzt nach den Erfahrungen der „Parus“ und der „Tantra“ nicht mehr so gefährlich sein, ganz gleich, welche schwarzen Kreuze und Medusen in dieser ewigen Finsternis auch existierten. Sie hatten an einer ungeeigneten Stelle das Tellerschiff zu öffnen versucht. Hätten sie Zeit gehabt, das Vorhaben gut zu durchdenken, wären sie vielleicht schon an Ort und Stelle darauf gekommen, daß die Riesenspirale zum Antriebssystem des fremden Sternschiffes gehörte.
Wieder tauchten in der Erinnerung des Expeditionsleiters die Ereignisse des letzten unheilvollen Tages auf, wieder sah er in Gedanken Nisa vor sich, wie sie sich schützend über ihn warf, als er hilflos vor dem Ungeheuer lag. Seit kurzem erst war in ihr jenes Gefühl erwacht, das in sich den heroischen Opferwillen der Frauen des Altertums mit der Aufgeschlossenheit und dem besonnenen Mut der modernen Zeit vereinte.
Lautlos erschien Pur Hiss hinter dem Leiter, um ihn abzulösen. Erg Noor ging aber nicht zu den Schlafräumen, sondern öffnete die schwere Tür zur Krankenkabine.
Das diffuse künstliche Tageslicht spiegelte sich in den Silikollschränken mit Arzneien und Instrumenten, in dem Metall des Röntgenapparats und der Geräte für künstliche Blutzirkulation und Atmung. Vorsichtig schob der Expeditionsleiter den bis zur Decke reichenden dichten Vorhang beiseite und trat in das Halbdunkel. Das matte Licht bekam durch das rosa Kristall des Silikolls einen warmen Ton. Zwei Stimulatoren, die für den Fall eines plötzlichen Kollapses eingeschaltet waren, klickten hin und wieder ganz leise; sie erhielten künstlich das gelähmte Herz am Schlagen. Nisa lag regungslos unter der Glocke und schien in einen ruhigen, glücklichen Schlaf versunken zu sein. Die gesunde, reine Lebensführung der Menschen viele Generationen hindurch hatte den weiblichen Körper — die herrlichste Schöpfung des reichen Erdenlebens — zu höchster ästhetischer Vollkommenheit gebracht. Die Menschen wußten längst, daß ihr Schicksal vom Wasserreichtum ihres Planeten abhing. Das Wasser hatte eine üppige Vegetation begünstigt, und die Pflanzenwelt wiederum hatte große Vorräte an freiem Sauerstoff erzeugt. Das tierische Leben hatte sich mehr und mehr ausgebreitet und sich im Laufe von hundert Millionen Jahren immer höher entwickelt, bis zum denkenden Wesen, dem Menschen. Die historische Erfahrung bei der Entwicklung des Lebens auf Planeten zahlloser Welten lehrte, daß die Menschen in ihrem Äußeren um so vollkommener wurden, daß sie sich den Umweltbedingungen und den Erfordernissen des Lebens um so besser anpaßten, je komplizierter und langwieriger der Weg der blinden Evolution und Auslese war.
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