„Aber da besteht doch ein ernsthafter Widerspruch!“ rief Pur Hiss.
„Der Widerspruch ist die Mutter der Wahrheit!“ antwortete Erg Noor gelassen mit einem alten Sprichwort. „Es ist Zeit, das Planetenschiff startklar zu machen.“
Bald löste sich das Schiff vom Triton und jagte auf einem gigantischen Bogen, senkrecht zur Ebene der Ekliptik, dahin. Ein direkter Flug zur Erde war unmöglich. Jedes Raumschiff würde zugrunde gehen in dem breiten Gürtel von Meteoriten und Asteroiden, den Bruchstücken des Planeten Phaeton, der sich einst zwischen Mars und Jupiter befand, durch die Anziehungskraft dieses Giganten des Sonnensystems jedoch auseinandergerissen worden war.
Erg Noor beschleunigte die Geschwindigkeit: Er wollte die Helden nicht in den festgelegten 72 Tagen zur Erde bringen, sondern beschloß, unter Ausnutzung aller technischen Möglichkeiten die Strecke in kürzerer Zeit zu schaffen.
Durch den Kosmos drang eine Sendung von der Erde zum Planetenschiff; man beglückwünschte die Weltraumfahrer zu ihrem Sieg über den Eisenstern und über das Dunkel des eisigen Pluto. Zu Ehren der „Tantra“ und der „Amat“ erklangen Sinfonien und Lieder.
„37. Sternenexpedition“, meldete sich schließlich die Stimme von der Zentrale des Rates, „Landung frei auf El Homra!“
Das zentrale Kosmodrom befand sich dort, wo einst die Wüste in Nordafrika war. Dorthin flog das Planetenschiff durch die lichtdurchflutete Erdatmosphäre.
Die Sinfonie in f-Moll Farbtonart 4,750 μ
Durchsichtige Kunststoffplatten bildeten die Wände der breiten Veranda, die nach Süden zum Meer hin lag. Die matte Deckenbeleuchtung kontrastierte nicht mit dem hellen Mondlicht, sondern zeichnete die scharfen Schatten weicher. Auf der Veranda war fast die gesamte Meeresexpedition versammelt. Nur die jüngsten Mitarbeiter badeten im mondbeschienenen Meer. Kart San, der Maler, hatte sich mit seinem schönen Modell eingefunden. Frit Don, der Expeditionsleiter, erzählte von der Untersuchung des von Miiko entdeckten Pferdes. Als man, um das Gewicht zu berechnen, das Material bestimmen wollte, hatte man eine überraschende Entdeckung gemacht: Unter einer dünnen Schicht, die aus einer einfachen Legierung bestand, befand sich pures Gold. Wenn die Statue massiv war, betrug ihr Gewicht, nach Abzug des verdrängten Wassers, vierhundert Tonnen. Zur Bergung dieses Monstrums wurden Schiffe mit Spezialausrüstungen erwartet.
Als man auf die unsinnige Verwendung des wertvollen Metalls zu sprechen kam, erinnerte sich eines der ältesten Expeditionsmitglieder einer Sage, die er im Geschichtsarchiv gelesen hatte. Ihr zufolge war einst der gesamte Goldschatz eines Landes verschwunden. (Damals hatte Gold noch als Äquivalent der Arbeit gedient.) Die verbrecherischen Herrscher waren nach jahrelanger Unterdrückung des Volkes geflohen, weit über die Grenzen des Landes, die es dereinst noch gab. Zuvor ließen sie jedoch in aller Stille die gesamten Goldvorräte des Landes zusammentragen und daraus eine Statue gießen, die auf dem belebtesten Platz der Hauptstadt aufgestellt wurde. Das Gold konnte also niemand finden. Der Historiker äußerte die Vermutung, daß niemand geahnt habe, welches Metall unter der billigen Legierung verborgen sei.
Diese Geschichte fand größte Aufmerksamkeit. Der Fund dieser riesigen Goldmenge bedeutete für die Menschheit ein großartiges Geschenk. Obzwar das schwere gelbe Metall schon längst nicht mehr als Wertsymbol diente, wurde es nach wie vor für elektrische Geräte, medizinische Präparate und vor allem für die Anamesonherstellung benötigt.
In einer Ecke der Veranda hatten sich Weda Kong, Dar Weter, der Maler, Tschara Nandi und Ewda Nal zusammengefunden. Ganz in der Nähe hatte der bescheidene Ren Boos Platz genommen. Nur Mwen Mass fehlte.
„Sie hatten recht mit ihrer Behauptung“, sagte Dar Weter, zu dem Maler gewandt. „Der Künstler oder, besser gesagt, die Kunst bleibt stets hinter der beschleunigten Entwicklung von Wisschenschaft und Technik zurück.“
„Sie haben mich mißverstanden“, entgegnete Kart San. „Diese Fehler wurden bereits korrigiert, und man hat die Verpflichtung der Kunst gegenüber der Menschheit erkannt. Nicht mehr erdrückende Monumentalwerke werden geschaffen, nicht mehr prunkvolle, aber hohle Fassaden. Die Kunst soll vor allem auf den emotionalen Bereich des Menschen einwirken. Nur die Kunst kann die menschliche Psyche beeinflussen und sie für die Wahrnehmung der kompliziertesten Eindrücke aufnahmebereit machen. Wer von uns weiß nicht, wie zauberhaft leicht man etwas versteht, in das man sich vorher durch Musik, Farbe oder Bild einfühlen konnte? Und wie verschließt sich die menschliche Seele, wenn man in sie grob und unvorbereitet eindringt! Sie als Historiker wissen besser als jeder andere, wieviel Leid die Menschheit im Kampf um Entwicklung und Erziehung der emotionalen Seite der Psyche erfahren hat.“
„Vor sehr langer Zeit strebte die Kunst nach abstrakten Formen“, bemerkte Weda Kong.
„Die Kunst versuchte, in Nachahmung des Verstandes zu abstrahieren, er hat allem anderen gegenüber den Vorzug erhalten. Keine Kunst kann sich abstrakt ausdrücken, außer der Musik, die eine Sonderstellung einnimmt und auf ihre Art gleichfalls völlig konkret ist. Es war ein Irrweg.“
„Welchen Weg halten Sie für den richtigen?“
„Die Kunst ist meiner Meinung nach Widerspiegelung des Kampfes und der Schrecken der Welt in den Gefühlen der Menschen und bisweilen eine Illustration des Lebens, jedoch stets mit der allgemeinen Zweckmäßigkeit als Richtschnur. Diese Zweckmäßigkeit ist eben das Schöne, ohne das es kein Glück gibt und das Leben keinen Sinn hat. Andernfalls führt die Kunst leicht zu grotesken Einfällen, vor allem bei ungenügender Kenntnis des Lebens und der Geschichte.“
„Ich habe mir immer gewünscht, die Kunst möge die Welt nicht nur nachgestalten, sondern sie bezwingen und verändern“, warf Dar Weter ein.
„Einverstanden!“ rief Kart San aus. „Jedoch nicht nur die äußere Welt, sondern — vor allem die innere Welt des Menschen, seine Emotionen. Ihre Erziehung… mit dem Verständnis für alle Widersprüche…“
Ewda Nal legte ihre feste, warme Hand auf Dar Weters Arm.
„Von welchem Traum haben Sie sich heute getrennt?“
„Von einem sehr schönen.“
„Jeder von uns“, fuhr der Maler fort, „der Werke der Massenkunst des Altertums — Filme, Aufzeichnungen von Theateraufführungen und Gemäldeausstellungen — gesehen hat, weiß, wie geschliffen, geschmackvoll und frei von allem Überflüssigen dagegen unsere modernen Schauspiele, Tänze und Bilder sind. Ganz zu schweigen von den Zeiten der Dekadenz.“
„Er ist klug, aber geschwätzig“, flüsterte Weda Kong.
„Für einen Maler ist es schwer, die höchst komplizierten Erscheinungen, die er sieht und aus seiner Umwelt auswählt, mit Worten oder Formeln auszudrücken“, schaltete sich Tschara Nandi ein, und Ewda Nal nickte zustimmend.
„Mir schwebt folgendes vor“, fuhr Kart San fort. „Ich möchte eine Gestalt malen, in der die edelsten Gefühle und typische Farben und Formen vereint sind. Ich möchte Gestalten reproduzieren, die die vollkommene Schönheit der verschiedenen Rassen aus ferner Vergangenheit repräsentieren, der Menschen, aus deren Vermischung wir hervorgegangen sind. ›Die Tochter Gondwanas‹ zum Beispiel verkörpert das Einssein mit der Natur, das unbewußte Wissen um den Zusammenhang zwischen Dingen und Erscheinungen; Gefühle und Empfindungen, die noch ganz vom Instinkt beherrscht werden.
›Die Tochter der Thetis‹ — des Mittelmeers — dagegen verkörpert weit höher entwickelte Gefühle, eine viel breitere Skala. Das ist bereits ein anderes Einssein mit der Natur: durch Emotionen statt durch Instinkte. Die alten Mittelmeerkulturen sind Zeugnis dafür: Im Lebensraum der Kreter, Etrusker, Hellenen, Inder entstand das Bild des Menschen, der diese emotional bestimmte Kultur schaffen konnte. Welch ein Glück, daß ich Tschara gefunden habe! In ihr sind Züge der Griechen und Kreter mit denen der späteren Völker Zentralindiens vereint.“
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