„Da haben sie lange diskutiert!“ bemerkte Dar Weter. „Einerseits die verlockend einfache Möglichkeit der Bandaufnahme, andererseits die Schwierigkeit beim Lesen…“
Der Sprecher auf dem Bildschirm fuhr fort: „Die gestrige Nachricht wird bestätigt, die 37. Sternenexpedition hat sich gemeldet. Sie kehrt“ — Dar Weter erstarrte. Er sah Weda Kong an. Seinem feinen Ohr entging nicht ihr stockender Atem — „aus der Richtung des Quadrats 401 zurück; soeben hat das Schiff das Minusfeld in einem Hundertstel Parsek Entfernung von der Bahn des Neptuns verlassen. Die Verspätung der Expedition ist auf das Zusammentreffen mit einer schwarzen Sonne zurückzuführen. Menschenleben sind nicht zu beklagen. Die Geschwindigkeit des Schiffes“, sagte abschließend der Sprecher, „beträgt fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit. Die Expedition wird in elf Tagen auf der Station Triton eintreffen. Informationen über hervorragende Entdeckungen sind zu erwarten.“
Weitere Nachrichten folgten, doch niemand hörte mehr zu. Alle umringten Weda und beglückwünschten sie. Weda lächelte. Auch Dar Weter trat zu ihr. Sie fühlte den festen Druck der ihr so vertraut gewordenen Hand und begegnete seinem offenen Blick. Schon lange hatte er sie nicht mehr so angesehen. Sie wußte, daß sich hinter seiner Ungezwungenheit ihr gegenüber ein geheimer Kummer verbarg. Und sie wußte auch, daß er jetzt in ihrem Gesicht nicht nur Freude las.
Dar Weter ließ ihre Hand los, lächelte und trat beiseite. Lebhaft erörterten die anderen Expeditionsteilnehmer die Meldung.
Weda blieb im Kreise der anderen, beobachtete aber heimlich Dar Weter. Sie sah, wie Ewda Nal zu ihm trat und sich eine Minute später auch Ren Boos dazugesellte.
„Wir müssen Mwen Mass suchen, er weiß ja noch von nichts!“ rief Dar Weter, als wäre ihm das plötzlich eingefallen. „Kommen Sie mit, Ewda. Sie auch. Ren.“
„Ich komme auch, wenn es recht ist“, sagte Tschara Nandi, die zu den dreien getreten war.
Sie gingen auf das leise Plätschern der Wellen zu. Dar Weter blieb stehen, wandte das Gesicht dem kühlen Wind zu und seufzte tief. Als er sich umdrehte, traf er Ewda Nals Blick.
„Ich fahre gleich von hier aus weg“, antwortete er auf ihre stumme Frage.
Ewda faßte ihn unter. Eine Zeitlang schritten alle vier schweigend weiter.
„Ich habe mir eben überlegt, ob es sein muß“, flüsterte Ewda. „Aber wahrscheinlich muß es das, und Sie haben recht. Wenn Weda…“
Ewda verstummte, doch Dar Weter drückte verstehend ihre Hand. Hinter ihnen ging Ren Boos, ängstlich auf eine gehörige Entfernung zu der neben ihm gehenden Tschara bedacht. Mit großen Augen blickte sie ihn wiederholt von der Seite an und konnte nur mit Mühe ein spöttisches Lächeln unterdrücken. Ewda lachte leise auf und reichte dem Physiker plötzlich die freie Hand. Ren Boos ergriff sie hastig, was bei diesem schüchternen Mann komisch wirkte.
„Wo ist denn ihr Freund?“ Tschara blieb am Wasser stehen.
Dar Weter blickte sich suchend um und bemerkte im hellen Mondlicht deutlich Fußspuren auf dem nassen Sand.
„Dorthin ist er gegangen.“ Dar Weter zeigte in Richtung der großen Felsen.
„Ja, das sind seine Fußtapfen“, bestätigte Ewda.
„Wie wollen Sie das so genau wissen?“ fragte Tschara zweifelnd.
„Sehen Sie, wie regelmäßig die Schritte sind? Solch einen Gang hatten die Jäger in der Urgesellschaft. Mir scheint, Mwen Mass ist bei all seiner Gelehrtheit naturverbundener als jeder von uns. Wie Sie sind, Tschara, weiß ich allerdings nicht.“
„Ich? O nein!“ Das junge Mädchen zeigte plötzlich nach vorn und rief: „Da ist er ja!“
Auf einem der zunächst liegenden Felsbrocken war die riesige Gestalt des Afrikaners aufgetaucht. Wie polierter schwarzer Marmor glänzte seine Haut im Mondlicht.
Mwen Mass bemerkte die Näherkommenden, sprang vom Felsen und kam kurz darauf angekleidet zum Vorschein. Mit wenigen Worten erzählte ihm Dar Weter, was sich ereignet hatte, und Mwen Mass äußerte den Wunsch, unverzüglich Weda Kong zu sehen.
„Gehen Sie mit, Tschara“, meinte Ewda, „wir bleiben noch ein wenig hier.“
Dar Weter winkte zum Abschied, und über Mwen Mass’ Gesicht glitt ein Ausdruck des Verstehens. Er murmelte halb vergessene Abschiedsworte. Bewegt und nachdenklich ging Dar Weter in Begleitung der schweigsam gewordenen Ewda weiter. Ren Boos blieb unschlüssig stehen, bis er sich Mwen Mass und Tschara Nandi anschloß.
Dar Weter und Ewda wanderten bis zu dem Kap, das die Bucht vom offenen Meer trennte. Von hier aus waren die Lichter, die die riesigen tellerförmigen Flöße der Meeresexpedition säumten, deutlich sichtbar.
Dar Weter schob das durchsichtige Boot ins Wasser und trat dicht vor Ewda hin. Ewda hob sich auf die Zehenspitzen und küßte den Freund.
„Ich bleibe mit Weda zusammen, Dar“, sagte sie, seine Gedanken erratend. „Wir werden gemeinsam an unseren Wohnort zurückkehren und dort die Ankunft der Expedition abwarten. Geben Sie Bescheid, wenn Sie sich eingerichtet haben. Ich helfe Ihnen immer von Herzen gern.“
Noch lange blickte Ewda dem Boot nach,
Dar Weter fuhr zum zweiten Floß, wo die Mechaniker noch mit dem Montieren der Akkumulatoren beschäftigt waren. Auf Dar Weters Bitte entzündeten sie drei grüne Feuer, im Dreieck angeordnet.
Bereits anderthalb Stunden später hing ein Flugschiff, das gerade dieses Gebiet überflog, über dem Floß. Dar Weter setzte sich in den herabgelassenen Aufzug, war noch für wenige Sekunden unter dem beleuchteten Rumpf des Flugschiffes zu sehen und verschwand dann in der Bodenluke. Am nächsten Morgen betrat er seine Wohnung unweit vom Observatorium des Rates, die er noch nicht getauscht hatte. Er öffnete in beiden Zimmern die Gebläsehähne. Wenige Minuten später war aller Staub verschwunden. Dar Weter zog das Wandbett heraus, stellte das Zimmer auf den Geruch und das Plätschern des Meeres ein, an das er sich in der letzten Zeit so gewöhnt hatte, und war bald in tiefen Schlaf versunken.
Er erwachte mit dem Empfinden, die Welt habe für ihn ihren Reiz verloren. Weda war fern und würde fern bleiben, bis… Dabei sollte er ihr helfen, statt die Situation noch zu komplizieren!
Er erfrischte sich im Badezimmer unter dem angenehm kühlen, elektrisierten Wasser. Dann trat er ans Televisiofon, öffnete die Spiegeltüren und rief die nächst gelegene Stelle für Arbeitsverteilung an. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines jungen Mannes. Er begrüßte Dar Weter mit einem leichten Anflug von Ehrerbietung, einem Zeichen ausgesuchter Höflichkeit.
„Ich suche eine komplizierte, langfristige Tätigkeit, verbunden mit körperlicher Arbeit“, begann Dar Weter. „Zum Beispiel in den antarktischen Gruben.“
„Dort ist nichts frei!“ sagte der Sprecher bedauernd. „Auch in den Bergwerken der Venus, des Mars, ja sogar des Merkurs ist alles besetzt! Sie wissen ja, je schwieriger die Arbeit ist, desto lieber geht die Jugend dorthin.“
„Dazu kann ich mich nicht mehr zählen. Aber wo ist denn gegenwärtig noch etwas frei?“
„Auf den Diamantenfeldern in Mittelsibirien“, begann der junge Mann langsam, den Blick auf eine für Dar Weter unsichtbare Tabelle gerichtet, „falls Sie Bergarbeit wünschen. Außerdem gibt es freie Stellen in den ozeanischen Lebensmittelfabriken, am Sonnenpumpwerk in Tibet… Aber das gehört schon zur leichten Arbeit, ebenso wie die anderen Stellen.“
Dar Weter dankte dem Informator und bat, ihm kurze Bedenkzeit zu lassen, vorläufig die Arbeit auf den Diamantenfeldern aber nicht zu vergeben.
Er schaltete die Verteilungsstation aus und ließ sich mit dem Haus Sibiriens, einem geographischen Informationszentrum, verbinden. Man schaltete seinen Apparat in die dortige Gedächtnismaschine mit den neuesten Aufzeichnungen ein, und vor Dar Weter zogen langsam unendliche Wälder vorüber. Dort, wo einst die Taiga mit spärlichem Baumbestand und ständig gefrorenem Erdboden war, wuchsen jetzt mächtige Baumriesen: sibirische Zedern und amerikanische Mammutbäume, die bereits am Aussterben gewesen waren. Riesige rote Stämme umgaben wie eine große Ringsperre die mit Betonkappen bedeckten Hügel. Zehn Meter dicke Stahlrohre wanden sich aus den Betonkappen heraus, verliefen über die Wasserscheiden zu den nächst gelegenen Flüssen und sogen das Wasser in ihre trichterförmigen Schlünde ein. Leise summten die elektrischen Pumpen. Hunderttausende Kubikmeter Wasser stürzten in die Tiefen der edelsteinhaltigen vulkanischen Schächte, unterspülten das Gestein und ergossen sich wieder nach außen, wobei sie in den Sieben der Waschkammern riesige Mengen von Diamanten zurückließen. In langen, lichtüberfluteten Räumen überwachten Menschen die Skalen der Sortiermaschinen. In einem ununterbrochenen Strom rieselten die glitzernden kleinen Steine durch die kalibrierten Öffnungen in die Behälter. Fortwährend beobachteten die Operateure der Pumpstationen die Zeiger der Rechenmaschine, die den ständig sich ändernden Widerstand des Gesteins, den Druck und den Wasserverbrauch, den Streckenvortrieb und die ausgeworfene Menge fester Teilchen berechneten. Dar Weter kam zu dem Schluß, daß die freundliche Landschaft der sonnenbeschienenen Wälder jetzt nicht das Richtige für ihn sei, und schaltete das Haus Sibiriens ab. Im gleichen Augenblick ertönte das Rufsignal, und auf dem Bildschirm tauchte das Gesicht des Informators der Verteilungsstation auf.
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