»Ja, Sir, das haben Sie uns damals an den Feiertagen gepredigt.«
»Schön, dass du dich erinnerst. Unser Feind ist jeder, der gegen Gott rebelliert — erinnerst du dich noch an diesen Aphorismus?«
»Ja, Sir.«
»Was glaubst du, in welcher Gestalt diese Rebellion für gewöhnlich auftritt?«
»In Gestalt der Sünde?«
»Sünde, ja, sicher, Sünden gibt es in Hülle und Fülle. Aber die meisten schaden nur dem Sünder. Manche Sünden sind heimtückischer und zielen direkt darauf ab, das Dominion in seinem Werk zu behindern.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Sir?« Mir schwante nichts Gutes.
»Als du bei der Armee warst, gab es da in deinem Regiment einen Dominion-Offizier?«
»Ja.«
»Und erfreute er sich allgemeiner Beliebtheit?«
»Nicht unbedingt, nein.«
»Wie sollte er auch? Schließlich war es seine Aufgabe, die Tugend zu fördern und falsches Handeln zu geißeln. Diebe lieben keine Gefängnisse und Sünder keine Kirchen. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Das Verhältnis zwischen dem Dominion und den Vereinigten Staaten ist dasselbe wie zwischen diesem Seelsorger und der Truppe. Er hatte nicht die Absicht, sich beliebt zu machen, er wollte eine verirrte Herde durch Überredung und sanfte Gewalt in das Gehege der göttlichen Liebe führen.«
Aus einem unerfindlichen Grund fiel mir Lymon Pugh ein und seine Beschreibung der Abpackindustrie für Rindfleisch.
»Das Dominion hat großes Interesse am Schicksal dieser Nation — und jeder anderen Nation«, sagte Ben Kreel. »Verglichen mit diesem institutionellen Interesse sind die Launen von Präsidenten flüchtige Erscheinungen.«
»Sie sprechen in Rätseln, Sir«, beklagte ich mich. »Wenn es um Julian geht, dann sagen Sie es doch gleich.«
»Wer bin ich, um über den Präsidenten zu richten? Ich bin nur ein kleiner Pastor vom Lande. Doch das Dominion beobachtet, das Dominion richtet; und das Dominion ist älter als Julian Comstock, und letzten Endes auch mächtiger.«
»Julian hat nichts gegen das Dominion, gestritten wird nur um Details.«
»Ich hoffe, du behältst Recht, Adam; doch selbst wenn — warum versucht er dann, die uralte und heilsame Verbindung zwischen dem Dominion und den Armeen aufzulösen?«
»Tut er das?«
Ben Kreel lächelte unangenehm. Über viele Jahre hinweg war mir dieser Mann wie ein kleiner Gott vorgekommen, über jeden Tadel erhaben: Er hatte eine liebenswürdige Art, er war ein guter Lehrer und ein entschlossener Friedensstifter. Wenn ich mir Ben Kreel jetzt ansah, entdeckte ich etwas Säuerliches und Triumphierendes in seinen Zügen, als freue er sich, einem Parvenü wie mir die Schau zu stehlen. »Tja, genau das macht er, Adam; weißt du das nicht? Ich bekam heute früh ein Telegramm aus Colorado Springs. Julian der Eroberer, wie man ihn nennt, hat das Dominion angewiesen, seine Vertreter aus den Armeen zurückzuziehen und nicht mehr an militärischen Beratungen teilzunehmen.«
»Das ist ein gewagter Schritt«, sagte ich erschrocken.
»Das ist mehr als ein gewagter Schritt, Adam. Das ist fast eine Kriegserklärung.« Er lehnte sich zu mir herüber und sagte in einem öligen und zutraulichen Ton: »Und diesen Krieg kann er unmöglich gewinnen. Wenn ihm das nicht klar ist, solltest du ihn vielleicht aufklären.«
»Ich werde ihm von unserem Gespräch berichten, Sir, verlassen Sie sich darauf.«
»Ja, danke«, sagte Ben Kreel. »Julian Comstock hat einen guten Freund in dir.«
»Ich gebe mir Mühe.«
»Aber man sollte auch seinem besten Freund nicht folgen, wenn er auf dem Weg in die Hölle ist, Adam Hazzard.«
Ich hätte ihm am liebsten erklärt, dass mein Glaube an die Hölle inzwischen noch angeschlagener war als mein Vertrauen ins Paradies. Vielleicht hätte ich erzählen sollen, dass ich in New York einem Mann begegnet war, der behauptete, Gott sei das Gewissen (- Höre nur auf dein Gewissen! -); wenn das stimmte, war das gesamte Dominion eine einzige Ketzerei, wenn nicht Schlimmeres; aber ich wollte keine neue Diskussion vom Zaun brechen und saß für den Rest des Weges still und verdrossen da.
Der Zug nach Manhattan war ungleich komfortabler als der mit dem Karibugeweih, in dem ich Williams Ford zum ersten Mal verlassen hatte. Aber ich hatte genauso viel Angst wie damals.
Nachdem ich das Wiedersehen mit Calyxa und Flaxie gefeiert, mir den Schmutz der Reise vom Leib gebadet und eine Nacht geschlafen hatte, suchte ich den Palast auf, um mit Julian zu reden.
Im Regierungspalast herrschte eine mysteriöse Stille. Das gewaltige Bauwerk war ein fein ausgetüfteltes Labyrinth aus Büros, Wohnräumen, Wirtschaftsräumen, Salons und Sälen. Es beherbergte Dienstpersonal, Beamte und die Republikanische Garde und den Präsidenten natürlich. Es hatte zwei Geschosse über dem Parterre und darunter ein ausgedehntes Tiefgeschoss und Kellerräume. Ich kannte kein Gebäude mit so viel Vertäfelungen, Vorhängen, Schärpen, Teppichen und Rüschen; und ich habe mich nie darin wohlgefühlt. Die kleineren Beamten, an denen ich vorbeikam, betrachteten mich mit einem Hochmut, der an Verachtung grenzte, und die Republikanischen Gardisten runzelten bei meinem Anblick die Stirn und tasteten nach ihren Pistolen.
Julian »bewohnte« natürlich nicht den ganzen Palast — das hätte ein Einzelner gar nicht geschafft —, sondern verbrachte die meiste Zeit in der Bibliothek. Dieser Trakt enthielt nicht bloß die umfangreiche Präsidentenbibliothek (die zum größten Teil dominiongeprüft war, obgleich Julian inzwischen viele Schriften aus dem befreiten Archiv hinzugefügt hatte), sondern auch einen Lesesaal mit hohen, sonnigen Fenstern und einem mächtigen Eichenschreibtisch. Diesen Saal hatte Julian zu seinem Aufenthaltsraum erkoren, und hier fand ich ihn auch.
Magnus Stepney, der schlitzohrige Pastor der Church of the Apostles etc. , hatte es sich in einem Plüschsessel bequem gemacht und las in einem Buch, während Julian am Schreibtisch saß und schrieb (zumindest hatte er den Federhalter in der Hand und vor ihm lag Papier). Pastor Stepney war jetzt schon seit vielen Wochen Julians ständiger Begleiter, und beide lächelten, als ich eintrat. Sie stellten mir Fragen über Williams Ford, über meinen Vater und meine Mutter, und ich ließ sie ein wenig an dieser traurigen Angelegenheit teilhaben; es dauerte aber nicht lange, und Julian kam wieder auf sein Drehbuch zu sprechen.
Ich ließ ihn wissen, ich hätte das Manuskript mit Charles Curtis Easton besprochen. Ich hatte Angst, er könne sich ärgern, weil ich diese »Familienangelegenheit« einem Fremden angetragen hatte, und er schien tatsächlich ein wenig verstört; aber Magnus Stepney — der genauso ein Ästhet und Anhänger der Schauspielkunst war wie Julian [100] Stepney nahm zwar seine pastoralen Pflichten ernst, machte aber keinen Hehl daraus, dass er, wenn es denn jemals zur Produktion kam, liebend gerne die Rolle des Charles Darwin spielen würde. Das klingt eitler, als es ist, denn er verstand sich wirklich auf eindrucksvolle Posen und amüsante Stimmlagen.
— klatschte und meinte, ich hätte genau das Richtige getan: »Das ist es, was wir brauchen, Julian, eine professionelle Meinung.«
»Kann schon sein. Hat sich Mr. Easton denn schon geäußert?«, fragte Julian.
»Ja, in der Tat.«
»Wärst du auch so freundlich, mir zu sagen, was er gesagt hat?«
»Er meinte auch, dass der Geschichte ein paar unentbehrliche Zutaten fehlten.«
»Als da wären?«
Ich räusperte mich. »Drei Akte — einprägsame Lieder — schöne Frauen — Piraten — ein Kampf auf offener See — ein mieser Schurke — ein Duell …«
»Aber nichts von alledem hat mit Mr. Darwin zu tun.«
»Siehst du, und das ist der springende Punkt. Willst du die Wahrheit erzählen oder eine Geschichte? Der Trick ist«, sagte ich in Erinnerung an Theodore Dornwoods Kommentar zu meinen Texten, »einen Kurs zwischen Skylla und Charybdis zu steuern …«
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