Ich schlug so knapp wie möglich einen Bogen aus dem tiefen Nordwesten, wo ich herkam, bis zu unserer momentanen Bleibe auf dem Palastgelände. Erzählte von der Hingabe des lesehungrigen Pächterjungen an sein, Eastons, Werk und dass ich ihm heute noch treu war und seine Bücher nicht selten weiterempfahl. Er nahm mein Lob mit reserviertem Dank zur Kenntnis und stellte Fragen über den Krieg und über Labrador und dergleichen. Er schien ernsthaft interessiert an meinen Antworten, und nach einer guten halben Stunde waren wir »alte Freunde«.
Doch ich hatte nicht vor, ihm lediglich zu schmeicheln, so sehr es ihm zugestanden hätte. Also dauerte es nicht lange, und ich brachte Julian Comstocks Interesse am Theater zur Sprache und seine Absicht, ein Drehbuch zu schreiben; und dass es bei dem Film um etwas gehe, das Julian sehr am Herzen liege.
»Für einen Präsidenten ein ungewöhnlicher Ehrgeiz«, bemerkte Mr. Easton.
»So ist es, Sir, aber Julian ist auch ein ungewöhnlicher Präsident. Seine Liebe zum Kino ist keine Tändelei, sie ist tief in ihm verwurzelt. Aber er ist auf Grund gelaufen, er hat sich festgefahren, und seine schriftstellerische Begabung reicht nicht, um die Geschichte wieder flottzumachen.« Ich ging dazu über, Leben und Abenteuer des großen Naturforschers Charles Darwin zu umreißen …
»Es dürfte nicht leicht sein, aus Charles Darwin und seiner biologischen Evolution einen spannenden Film zu machen«, sagte Mr. Easton. »Und was ist, wenn der Film am Ende nicht die Zustimmung des Dominions findet? Sehr religiöse Menschen sind nicht begeistert von Mr. Charles Darwin, wenn ich an meine Bibelstunden denke.«
»Sie haben ganz Recht. Allerdings hält Julian nichts von der weltlichen Macht des Dominions. Ich denke, in diesem Fall wird er die Einwände zurückweisen.«
»Kann er das?«
»Er sagt Ja. Nun ist das eigentliche Problem das Drehbuch. Es will kein Leben entfalten. Er hat mich um Rat gefragt, aber ich bin nur ein Anfänger. Und da dachte ich — nicht, dass ich Ihre Großmut strapazieren möchte …«
»Um das Drehbuch eines Neulings würde ich mich normalerweise nicht kümmern. Der Auftrag eines amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten ist natürlich etwas anderes. In der Vergangenheit habe ich an filmischen Adaptionen eigener Geschichten gearbeitet. Ja, wenn es erwünscht ist, würde ich mir sein Material ansehen und ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
»Und ob es erwünscht ist, Sir, und ich bin überzeugt, Julian wird dankbar sein für alles, was Sie ihm zu sagen haben. Ich auch, Sir.«
»Haben Sie das Material dabei?«
»Ja«, sagte ich und zog die gerollten Seiten aus meiner Westentasche. »Handgeschrieben, fürchte ich«, denn ich sah, dass Mr. Easton eine Schreibmaschine besaß, die noch eleganter aussah als meine, die ich von Mr. Dornwood bekommen hatte, »aber Julian schreibt ziemlich leserlich.«
»Ich würde es gerne lesen. Würden Sie bitte unten warten, bis ich so weit bin?«
»Sie wollen es sofort lesen, Sir?«
»Wenn Sie so freundlich wären.«
»Natürlich, Sir.« Ich ging nach unten und unterhielt mich eine Weile mit seiner Tochter. Mrs. Robson teilte sich das Haus mit ihrem Vater, wohingegen ihr Mann oben in Quebec City ein Regiment kommandierte. Ihre vier Kinder (wenn ich richtig zählte) sprangen, während wir redeten, in unregelmäßigen Abständen durchs Zimmer, schrien nach Aufmerksamkeit und wischten sich den Schnodder vom Mund. Wann immer sie vorbeikamen, bedachte ich sie mit einem Lächeln und erntete meist nur Grimassen oder respektlose Geräusche.
Dann kam Mr. Easton die Treppe heruntergehumpelt, einen Krückstock in der einen Hand und Charles Darwin in der anderen. Das Alter machte ihn ein wenig unsicher, und Mrs. Robson sprang ihm zur Seite und schimpfte, weil er die Treppe ohne Hilfe herunterkam.
»Nur keine Aufregung«, sagte er zu seiner Tochter. »Ich arbeite für den Präsidenten. Mr. Hazzard, Sie haben die Arbeit Ihres Freundes ganz richtig beurteilt. Sie ist offensichtlich ernsthaft und gut recherchiert, lässt aber bestimmte Elemente vermissen, die unerlässlich sind für jede erfolgversprechende Filmproduktion.«
»Und welche Elemente sind das?«, fragte ich.
»Lieder«, sagte er entschieden. »Und ein Schurke. Und, wenn irgend möglich, Piraten.«
Ich wollte Julian so schnell wie möglich wissen lassen, dass der berühmte Schriftsteller Mr. Charles Curtis Easton eingewilligt hatte, ihm bei der Ausarbeitung des Drehbuchs zu helfen — doch im Gästehaus bei Calyxa und Flaxie wartete ein Telegramm auf mich.
Ich hatte noch nie ein Telegramm bekommen. Ich erschrak, als ich es sah, und ahnte nichts Gutes.
Meine Ahnung wurde zur Gewissheit. Das Telegramm kam von Williams Ford. Meine Mutter hatte es geschickt.
Lieber Adam, Vater schwer krank. Schlangenbiss. Komm, wenn Du kannst.
Ich packte sofort und besorgte mir ein Ticket für den Schnellzug; doch er starb, noch ehe ich Athabaska erreichte.
Der Zug schien durch halb Amerika zu rollen an diesem Vierten Juli — vorbei an blühenden Städtchen und vielen, die verwaist waren, an weiten Landgütern, auf denen halbnackte Abhängige arbeiteten, vorbei an unzähligen Halden, Kippen und Ruinen in einen Sonnenuntergang hinein, der wie ein ersterbendes Kohlefeuer glühte, und weiter in die Prärienacht hinaus. Es wurde kein Feuerwerk abgebrannt, im Speisewagen kam es zu einer improvisierten Feier, an der ich nicht teilnahm. Ich schlief, bis der Mond aufging. Spät am nächsten Tag passierte der Zug die Staatsgrenze von Athabaska, die Landschaft war durchsetzt von gigantischen Gruben, wo die Säkularen Alten die teerige Erde abgebaut und aufgeschwemmt hatten, um das Öl abzuschöpfen. Ich sah eine uralte Maschine von der Größe einer Kathedrale, das verrostete Fahrwerk eingebettet in verschorften und verkalkten Schlamm. Wo immer wir offenes Gewässer passierten, stoben scharenweise Gänse und Krähen auf, um uns zu begrüßen.
Julian hatte das Duncan-und-Crowley-Landgut telegrafisch über mein Kommen informiert. Was für die Aristokraten dort ein gesellschaftliches Problem war. Einerseits war ich ein unbedeutender Pächterjunge, der Reißaus genommen hatte und nun nach Hause kam, um das Grab seines analphabetischen Vaters zu besuchen; andererseits war ich Sekretär und Vertrauter des neuen Präsidenten, so etwas wie ein Emissär der Regierung, den Williams Ford gebührlich zu empfangen hatte. Die Duncans und Crowleys, deren Vermögen in Ohio-Farmland und Nevada-Minen steckte und die nur eine lose Verbindung zu New York hatten, lösten das Dilemma, indem sie Ben Kreel schickten, um mich in Connaught abzuholen. Er kam mit dem besten Zweispänner des Landsitzes, die Pferde waren edle Traber.
Der Morgen dämmerte, als der Zug einlief. Ich hatte nicht gut geschlafen; doch Ben Kreel war ein passionierter Frühaufsteher und schüttelte mir die Hand so herzlich, wie die Situation es zuließ. »Adam Hazzard! Oder sollte ich Colonel Hazzard sagen?«
Er hatte sich kaum verändert, obwohl ich ihn mit neuen Augen zu sehen schien. Er war immer noch derb, stämmig, rotbackig und äußerst selbstbeherrscht. »Ich bin nicht mehr in der Armee — einfach Adam, das reicht.«
»Einfach Adam? Der Adam, der uns vor Jahren verlassen hat? Wir alle dachten, du und Julian, ihr wolltet euch dem Dienst an der Waffe entziehen. Aber ihr habt euch im Kampf bewährt — und nicht bloß im Kampf —, hab ich Recht?«
»Wovor man davonläuft und wohinter man herläuft, ist nicht immer so verschieden, wie man hofft.«
»Und du bist jetzt ein Autor und sprichst wie ein Autor.«
»Ich will mich nicht aufspielen, Sir. Nichts liegt mir ferner.«
»Berechtigter Stolz ist nie unangebracht. Das mit deinem Vater tut mir leid.«
»Danke, Sir.«
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