Seinen Besuchern zeigte sich Goodwin in verschiedenen wunderlichen Gestalten, die den Leuten Schreck einflößten. Dabei erklang irgendwo von der Seite her eine Stimme, die sagte:
»Ich bin Goodwin, der Große und Schreckliche! Warum lenkst du mich von meinen weisen Gedanken ab?«
Das Komischste an der Sache war, daß viele Jahre lang nicht nur die Bewohner der Smaragdenstadt, sondern sogar die vier Zauberinnen auf diesen Trick hereinfielen. Selbst sie glaubten, daß Goodwin ein großer Zauberer sei, und fürchteten sich vor einem Kampf mit ihm. Dabei bestand die Ursache des Schreckens, den Goodwin verbreitete, einzig und allein darin, daß er mit einem Ballon vom Himmel herabgestiegen war. Das verstanden jedoch die Zauberinnen nicht, weil sie ungebildet waren und nie etwas von Luftballons gehört hatten…
Goodwin wurde von Elli entlarvt, einem kleinen Mädchen, das ein Zufall in das Wunderland verschlagen hatte.
ELLIS ERSTE REISE IN DAS WUNDERLAND
Elli lebte mit ihren Eltern in der weiten Steppe von Kansas. Als Haus diente ihnen ein leichter Packwagen ohne Räder.
Einmal wollte die böse Zauberin Gingema das ganze Menschengeschlecht vernichten und beschwor zu diesem Zweck einen schrecklichen Sturm herauf, der sich bis nach dem fernen Kansas wälzte. Ihre Schwester, die gute Zauberin Willina, machte den Sturm jedoch unschädlich. Das einzige, was sie ihm gewährte, war, den Packwagen aus der Steppe von Kansas fortzutragen. Das ließ Willina geschehen, denn ihr Zauberbuch hatte ihr gesagt, daß dieser Wagen während der Stürme immer leer stand.
Manchmal irren aber selbst die Zauberbücher. Als der Sturm ausbrach, befand sich gerade die kleine Elli im Wagen, die ihr Hündchen Toto in Sicherheit bringen wollte. Der Wagen wurde vom Sturm in das Wunderland getragen, wo er der bösen Gingema, die sich am Gewitter ergötzte, auf den Kopf fiel. Die Hexe war augenblicklich tot. Elli war nun mutterseelenallein im fremden Lande, ohne Freunde, wenn man das Hündchen Toto nicht rechnet, das im Wunderland plötzlich zu sprechen anfing und damit seine kleine Herrin in Staunen versetzte.
Dem Mädchen kam Willina, die gute Zauberin des Gelben Landes, zu Hilfe. Sie riet Elli, zum großen Zauberer Goodwin in die Smaragdenstadt zu gehen. Dieser, sagte sie, werde sie nach Kansas zu Vater und Mutter führen, falls sie, Elli, drei Geschöpfen bei der Erfüllung ihrer sehnlichsten Wünsche helfen werde. Das stand in Willinas Zauberbuch. Nach dieser Mitteilung flog die Zauberin in ihr Land zurück.
Während Elli mit Willina sprach, geriet der umherschnüffelnde Toto in die Höhle der Gingema, aus der er bald mit zwei schönen Silberschuhen in den Zähnen herauskam. Die Käuer, die das alles mit angesehen hatten, versicherten dem Mädchen, diese Schuhe seien der wertvollste Besitz Gingemas gewesen und hätten eine große Zauberkraft. Was das für eine Kraft sei, wußten sie jedoch nicht zu sagen.
Elli zog die Silberschuhe an, die ihr genau paßten, und machte sich, von den Käuern reichlich mit Mundvorrat versorgt, mit ihrem Hündchen auf den Weg in die Smaragdenstadt.
Unterwegs gewann Elli neue Freunde. In einem Weizenfeld hob sie einen Strohmann von einem Pfahl – es war der Scheuch, der gehen und sprechen konnte und den sehnlichsten Wunsch hatte, ein kluges Gehirn für seinen Strohkopf zu bekommen. Der Scheuch beschloß, mit Elli zusammen in die Smaragdenstadt zu ziehen.
In einem dichten Wald retteten Elli und der Scheuch den Eisernen Holzfäller vor dem Tod. Der Mann hatte ein ganzes Jahr mit erhobener Axt an einem Baum gestanden, wo ihn einmal der Regen überrascht hatte. Weil er seine Ölkanne damals nicht bei sich hatte, waren seine eisernen Gelenke im Regen eingerostet. Elli holte die Ölkanne aus des Holzfällers Haus und schmierte ihn, worauf er sich wie neugeboren fühlte. Auch er beschloß, in die Smaragdenstadt zu ziehen, wo er sich von Goodwin ein liebendes Herz für seine eiserne Brust erbitten wollte, denn das war sein sehnlichster Wunsch.
Als nächster schloß sich der wunderlichen Schar der Feige Löwe an, der davon träumte, tapfer zu werden.
Auf dem Weg in die Smaragdenstadt erlebten Elli und ihre Gefährten viele gefährliche Abenteuer. Sie besiegten einen Menschenfresser, schlugen sich mit schrecklichen Säbelzahntigern, überquerten einen reißenden Fluß und gerieten in ein tückisches Mohnfeld, in dem Elli, Toto und der Löwe vom Duft der Mohnblumen in einen tiefen Schlaf fielen, aus dem sie nur durch einen glücklichen Zufall wieder erwachten.
Während dieses letzten Abenteuers lernte Elli die Königin der Feldmäuse, Ramina, kennen, die ihre Freundin wurde. Von Ramina bekam sie eine silberne Zauberpfeife, die Elli sehr zustatten kommen sollte.
Nach unzähligen Strapazen erreichten Elli und ihre Gefährten den herrlichen Palast Goodwins. Beim Betreten der Stadt hatte man ihnen grüne Brillen aufgesetzt, worauf alles ringsum in den verschiedensten Tönen der grünen Farbe zu funkeln begann.
Goodwin erklärte sich bereit, unsere Wanderer zu empfangen, nur mußte jeder einzeln vor ihn treten. Elli erschien er in der Gestalt eines riesigen Kopfes, dessen Stimme von der Seite kam.
»Ich bin Goodwin, der Große und Schreckliche«, hörte Elli. »Wer bist du, und warum belästigst du mich?«
»Ich bin Elli, ein kleines und schwaches Mädchen«, antwortete sie. »Ich komme von weit her, damit Ihr mir helft!«
Elli erzählte dem Kopf ihre Abenteuer und bat, er solle ihr helfen, zu Vater und Mutter nach Kansas zurückzukehren. Als der Zauberer hörte, daß Elli aus Kansas sei, sagte er in milderem Ton:
»Geh in das Violette Land und befreie seine Einwohner von der bösen Bastinda. Dann werde ich dich nach Hause bringen.«
Das gleiche forderte Goodwin vom Scheuch, vom Eisernen Holzfäller und vom Löwen, nachdem sie ihre Anliegen vorgetragen hatten.
Schweren Herzens machten sich unsere Freunde in das Violette Land auf, denn sie glaubten nicht, die mächtige Bastinda besiegen zu können. Die böse Hexe mußte indessen alle ihre Zaubermittel anwenden, um der tapferen Schar Herr zu werden. Auf ihren Befehl zerrissen die fliegenden Affen den Scheuch, warfen den Eisernen Holzfäller in einen Abgrund und brachten Elli, den Löwen und Toto als Gefangene in den Violetten Palast.
Lange schmachteten die drei in der Gefangenschaft ohne Hoffnung auf Rettung. Diese kam aber, wenn auch durch Zufall. Die Hexe hatte nämlich eine schreckliche Angst vor Wasser. Seit 500 Jahren hatte sie sich nicht mehr gewaschen, ihre Zähne nicht geputzt und kein Wasser angerührt, denn man hatte ihr prophezeit, daß sie durch Wasser umkommen werde.
Eines Tages schüttete Elli, außer sich vor Zorn, weil die Hexe ihr die silbernen Schuhe rauben wollte, einen Eimer Wasser über sie aus. Bastinda löste sich auf, und das Land der Zwinkerer war von nun an frei.
Frohlockend flickten die Zwinkerer die Kleider des Scheuchs und stopften sie mit frischem Stroh aus. Den Eisernen Holzfäller zerlegten sie in seine Bestandteile, und nachdem jedes einzeln repariert wurde, bauten sie ihn wieder zusammen und polierten ihn auf Hochglanz. Der Mann gefiel ihnen so sehr, daß sie ihm die Herrschaft über ihr Land anboten. Der Holzfäller willigte ein, sagte aber, er müsse sich zuerst bei Goodwin ein Herz holen.
Siegreich kehrte die kleine Schar in die Smaragdenstadt zurück, doch Goodwin beeilte sich nicht, sein Versprechen zu halten. Darüber aufgebracht, stürmten unsere Helden in den Thronsaal, wo Toto hinter einem Wandschirm einen kleinen alten Mann in gestreiften Hosen hervorzerrte.
Elli und ihre Begleiter waren enttäuscht, als sie erfuhren, daß das ängstliche Männchen niemand anders als der große und schreckliche Zauberer Goodwin war. Dieser erzählte ihnen seine Geschichte und gestand, daß er die Menschen viele Jahre lang betrogen hatte. Er schloß jedoch mit den Worten:
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