über die Steine. Marek schaute zum anderen Ufer. Sie waren jetzt ein ganzes Stück von den Rauchsäulen entfernt.
Er zeigte auf den Kahn. Sollten sie es riskieren?
Die einzige Alternative war, das wußte Chris, durch den Fluß zu schwimmen. Aber die Nacht war kühl, und er wollte nicht naß werden.
Er deutete ebenfalls auf den Kahn und nickte.
Auch Kate nickte.
Sie stiegen ein, und Marek ruderte sie leise über die Dordogne. Kate, die neben Chris saß, mußte an ihre Unterhaltung denken, als sie vor ein paar Tagen den Fluß überquerten. Wie viele Tage war das her? Nur zwei, erkannte sie. Aber ihr kam es vor wie Wochen. Mit zusammengekniffenen Augen suchte sie das andere Ufer nach Bewegungen ab. Ihr Boot war zwar nur ein dunkler Umriß auf dunklem Wasser vor einem dunklen Hügel, aber wenn jemand in ihre Richtung schaute, wären sie trotzdem sichtbar.
Doch offensichtlich tat das niemand. Das Ufer war jetzt schon sehr nahe, und dann glitt der Kahn leise zischend über das Gras am Ufer und kam mit einem leichten Knirschen zum Stehen. Sie stiegen aus und entdeckten sofort einen schmalen Lehmpfad, der am Ufer entlangführte. Marek hielt sich den Finger an die Lippen und setzte sich auf dem Pfad in Bewegung. Er ging auf den Rauch zu. Sie folgten ihm vorsichtig.
Ein paar Minuten später hatten sie die Antwort. Es waren vier Feuer, die in Abständen am Ufer brannten. Doch die Flammen waren umstellt mit kaputten Rüstungsteilen, die in einem niederen Erdwall steckten, so daß nur der Rauch zu sehen war. Aber nirgendwo waren Soldaten.
Marek flüsterte. »Ein alter Trick. Die Feuer geben die falsche Position an.«
Kate begriff nicht so recht, was mit diesem »alten Trick« erreicht werden sollte. Vielleicht sollten sie eine größere Truppenstärke, als wirklich vorhanden war, vortäuschen. Marek führte sie an den unbewachten Feuern vorbei zu einigen anderen, die etwas weiter unten am Ufer brannten. Sie gingen dicht am Wasser und hörten das Plätschern des Flusses. Als sie zum letzten Feuer kamen, drehte Marek sich plötzlich auf dem Absatz um und ließ sich zu Boden fallen. Auch Kate und Chris gingen zu Boden, und dann hörten sie Stimmen, die ein eintöniges Trinklied grölten; der Text ging etwa so: »Wenn ein Mann am Feuer schnarcht, dann war's das Bier, das Bier, wenn ein Mann im Dreck sich suhlt, dann war's das Bier, das Bier...« Es ging endlos so weiter. Beim Zuhören fühlte Kate sich an die Sauflieder ihrer Collegezeit erinnert. Und als sie den Kopf hob, sah sie wirklich ein halbes Dutzend Soldaten in Grün und Schwarz, die um mehrere Feuer saßen, tranken und laut sangen. Vielleicht hatten sie den Befehl, genug Lärm zu machen, um die vielen Feuer zu rechtfertigen. Marek bedeutete ihnen umzukehren, und als sie ein Stück gegangen waren, führte er sie nach links, vom Fluß weg. Sie verließen den Schutz des Waldstreifens, der das Ufer säumte, und huschten nun wieder über offene Felder ohne jede Deckung. Kate erkannte, daß es dieselben Felder waren, über die sie an jenem Morgen gelaufen waren. Und wirklich sah sie auf der linken Seite schwache gelbe Lichter in den oberen Fenstern des Klosters. Offensichtlich arbeiteten einige Mönche bis spät in die Nacht. Direkt vor ihnen erkannte sie die dunklen Umrisse strohgedeckter Bauernhütten.
Chris deutete zum Kloster. Warum gingen sie nicht dorthin? Marek formte mit seinen Händen ein Kissen am Ohr: Alle schlafen. Chris zuckte die Achseln: Na und?
Marek spielte ihnen ängstliches Hochschrecken vor. Er schien zu meinen, daß sie beträchtliche Aufregung verursachen würden, wenn sie mitten in der Nacht dort auftauchten. Chris zuckte die Achseln: Na und?
Marek wackelte mit dem Finger: Keine gute Idee. Mit den Lippen formte er lautlos: Morgen früh. Chris seufzte.
Marek ging an den Hütten vorbei, bis er zu einem ausgebrannten Bauernhaus kam - vier Wände und die schwarzen Überreste von Balken, die ein Strohdach getragen hatten. Durch eine Tür mit einem roten Streifen quer über dem Blatt traten sie ein. In der Dunkelheit konnte Kate kaum etwas erkennen.
In der Hütte wuchs hohes Gras, einige Stücke kaputten Steingutgeschirrs lagen herum. Marek suchte das Gras ab, bis er zwei irdene Töpfe mit gesprungenen Rändern entdeckt hatte. Für Kate sahen sie aus wie Nachttöpfe. Marek stellte sie vorsichtig auf ein verkohltes Fensterbrett. Sie flüsterte: »Wo sollen wir schlafen?« Marek zeigte auf den Boden.
»Warum können wir nicht ins Kloster gehen?« flüsterte sie und deutete auf den freien Himmel über ihnen. Die Nacht war kalt. Sie hatte
Hunger. Sie wollte ein Dach über dem Kopf.
»Nicht sicher«, flüsterte Marek. »Wir schlafen hier.«
Er legte sich auf die Erde und schloß die Augen.
»Warum ist es nicht sicher?« fragte sie.
»Weil irgend jemand einen Ohrstöpsel hat. Und derjenige weiß, wohin wir gehen.«
Chris sagte: »Ich wollte mit dir noch über -«
»Nicht jetzt«, sagte Marek, ohne die Augen zu öffnen.
Kate legte sich hin, und Chris legte sich neben sie. Sie drückte sich mit dem Rücken an ihn. Nur um sich zu wärmen. Es war so verdammt kalt.
In der Ferne hörte sie Donnergrollen.
Irgendwann nach Mitternacht fing es an zu regnen. Kate spürte schwere Tropfen auf ihren Wangen und stand auf, als der Wolkenbruch anfing. Sie sah sich um und entdeckte einen kleinen hölzernen Verschlag, zwar angekohlt, aber noch mit intaktem Dach. Sie kroch darunter, setzte sich aufrecht an die Wand und kuschelte sich wieder an Chris, der ihr gefolgt war. Kurz darauf kam Marek, legte sich neben sie und schlief sofort wieder ein. Sie sah, daß Regentropfen ihm auf die Wange klatschten, aber er schnarchte weiter.
2:0
Ein halbes Dutzend Heißluftballons stieg über den Tafelbergen in die Höhe. Es war fast elf Uhr. Einer der Ballons hatte ein Zickzackmuster, das Stern an die Sandpaintings der Navajo erinnerte. »Tut mir leid«, sagte Gordon. »Aber die Antwort ist nein. Sie können nicht im Prototypen zurückgehen, David. Es ist einfach zu gefährlich.« »Warum? Ich dachte, das ist alles so sicher. Sicherer als ein Auto. Was ist denn so gefährlich?«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß wir bislang keine Transkriptionsfehler hatten - die Fehler, die beim Wiederaufbau passieren«, sagte Gordon. »Aber das stimmt nicht ganz.« »Aha.«
»Normalerweise stimmt es, daß wir keine Hinweise auf Fehler finden können. Aber wahrscheinlich treten sie bei jeder Reise auf. Sie sind einfach nur so winzig, daß sie nicht entdeckt werden. Aber wie radioaktive Strahlung sind auch Transkriptionsfehler akkumu-lativ. Nach nur einer Reise sieht man nichts, aber nach zehn oder zwanzig Reisen werden gewisse Anzeichen sichtbar. Vielleicht haben Sie eine kleine Naht in Ihrer Haut wie eine Narbe. Eine Schliere auf Ihrer Hornhaut. Oder Sie bekommen feststellbare Symptome wie Diabetes oder Durchblutungsstörungen. Wenn das einmal passiert ist, dürfen Sie nicht mehr rüber. Weil Sie es sich nicht leisten können, daß die Probleme schlimmer werden. Das bedeutet, Sie haben Ihr Reiselimit erreicht.«
»Und das ist schon passiert?«
»Ja. Mit einigen Labortieren. Und einigen Leuten. Den Pionieren — denjenigen, die diesen Prototypen benutzt haben.«
Stern zögerte kurz. Dann: »Wo sind diese Leute jetzt?« »Die meisten sind immer noch hier. Und arbeiten noch für uns. Aber sie reisen nicht mehr. Sie dürfen es nicht.«
»Okay«, sagte Stern, »aber ich rede ja nur von einer Reise.« »Außerdem haben wir die Maschine seit langem nicht mehr benutzt oder kalibriert«, sagte Gordon. »Vielleicht ist sie okay, vielleicht aber auch nicht. Sehen Sie: Mal angenommen, ich lasse Sie zurückgehen, und nachdem Sie in 1357 angekommen sind, stellen Sie fest, daß Sie so ernste Transkriptionsfehler haben, daß Sie sich nicht mehr zurückzukehren trauen. Weil Sie eine Akkumulation nicht mehr riskieren können.«
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