Sie folgten dem schmalen Pfad, der an den Schweinekoben vorbeiführte. Die Schweine schnaubten und quiekten, die nahen Flammen ängstigten sie.
Marek machte einen Bogen um die brennenden Häuser und lief zum Südtor, durch das sie vor einigen Stunden hereingekommen waren. Doch schon aus der Entfernung sahen sie, daß das Tor heftig umkämpft war; der Durchgang war fast blockiert von den Kadavern toter Pferde, und Arnauts Soldaten mußten darüberklettern, um zu den Verteidigern zu kommen, die sich mit Äxten und Schwertern erbittert wehrten. Marek machte kehrt und lief wieder zwischen den Bauernhäusern hindurch.
»Wohin?« fragte Chris.
»Weiß nicht so recht«, sagte Marek. Er sah zur Umfassungsmauer der Stadt hoch. Auf der Krone liefen Soldaten zum Südtor, um den Verteidigern beizustehen. »Ich will auf diese Mauer hoch.« »Auf die Mauer hoch?«
»Dort.« Marek deutete zu einer schmalen, dunklen Öffnung in der Mauer, in der Stufen nach oben führten. Kurz darauf standen sie auf der Mauerkrone. Von hier oben sahen sie, daß schon größere Teile der Stadt Feuer gefangen hatten; die Flammen näherten sich bereits den Geschäften. Bald würde ganz Castelgard brennen. Marek drehte sich um und schaute hinunter zu den Feldern vor der Mauer. Der Erdboden lag sieben Meter unter ihnen. Es gab einige, etwa einen Meter fünfzig hohe Büsche, die weich genug aussahen, um den Aufprall zu dämpfen. Aber inzwischen war kaum mehr etwas zu erkennen. »Locker bleiben«, sagte er. »Den Körper ganz entspannt halten.« »Locker bleiben?« fragte Chris.
Aber Kate hatte sich bereits über die Brüstung geschwungen und hing nun an der Außenmauer. Sie ließ los, fiel das restliche Stück und landete wie eine Katze auf den Füßen. Sie schaute zu ihnen hoch und winkte.
»Das ist ziemlich tief«, sagte Chris. »Ich will mir kein Bein brechen ...« Von rechts kamen Schreie. Drei Soldaten kamen mit erhobenen Schwertern auf sie zu gelaufen.
»Dann tu's nicht«, sagte Marek und sprang. Chris sprang nach ihm ins Zwielicht, landete grunzend auf der Erde und rollte sich ab. Dann stand er langsam auf. Nichts gebrochen.
Er war erleichtert und ziemlich stolz auf sich, als die ersten Pfeile an seinem Ohr vorbeizischten und sich zwischen seinen Füßen in die Erde bohrten. Von der Mauer riefen Soldaten herab. Marek packte ihn am Arm und rannte zu dem dichten Gestrüpp, das etwa zehn Meter entfernt war. Dort ließen sie sich zu Boden fallen und warteten. Gleich darauf surrten weitere Pfeile über ihre Köpfe hinweg, aber diesmal kamen sie aus der anderen Richtung. In der hereinbrechenden Dunkelheit konnte Chris die Soldaten in grünen und schwarzen Überwürfen auf dem Hügel unter ihnen gerade noch erkennen. »Das sind Arnauts Männer!« sagte Chris. »Warum schießen die auf uns?«
Marek antwortete nicht. Er kroch, den Bauch flach auf den Boden gedrückt, davon. Kate robbte hinter ihm her. Ein Pteil zischte an Chris vorbei, so dicht, daß er sein Wams an der Schulter aufschlitzte. Chris spürte einen kurzen, brennenden Schmerz. Dann drückte er sich flach auf den Boden und folgte ihnen.
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagte Diane Kramer, als sie kurz vor neun Uhr morgens in Donigers Büro kam. Doniger saß an seinem Computer, tippte mit einer Hand und hielt eine Dose Coke in der anderen.
»Zuerst die schlechte Nachricht«, sagte Doniger.
»Unsere Verletzten wurden ins University Hospital gebracht. Als sie gestern abend dort ankamen, was meinst du, wer gerade Dienst hatte?
Dieselbe Ärztin, die Traub in Gallup behandelte. Eine Frau namens
Tsosie.«
»Dieselbe Ärztin arbeitet in beiden Krankenhäusern?«
»Ja. Sie ist hauptsächlich am UH, arbeitet aber zwei Tage die Woche in
Gallup.«
»Scheiße«, sagte Domger. »Ist das legal?«
»Sicher. Aufjeden Fall hat sich Dr. Tsosie unsere Techniker sehr genau angesehen. Bei dreien hat sie sogar eine Kernspintomographie machen lassen. Sie hat sich die Maschine extra reservieren lassen, als sie hörte, daß es um einen Unfall bei ITC geht.«
»Eine Kernspintomographie?« Doniger runzelte die Stirn. »Das heißt, sie muß gewußt haben, daß bei Traub einiges nicht mehr zu -sammenpaßte.«
»Ja«, sagte Kramer. »Weil sie Traub offensichtlich auch durch die Röhre geschickt hat. Sie war eindeutig auf der Suche nach etwas. Körperliche Fehler. Gefäße et cetera, die nicht aufeinanderpassen.« »Scheiße«, sagte Doniger.
»Sie hat ein Riesentamtam um die Sache veranstaltet und alle im Krankenhaus verrückt gemacht. Und sie hat diesen Bullen Wauneka in Gallup angerufen. Anscheinend sind die beiden Freunde.«
Doniger stöhnte auf. »Das kann ich so gut gebrauchen«, sagte er, »wie ein zweites Arschloch.«
»Willst du jetzt die gute Nachricht hören?«
»Ich warte drauf.«
»Dieser Wauneka ruft die Polizei in Albuquerque an. Der Chef persönlich begibt sich ins Krankenhaus. Ein paar Reporter. Alle sitzen herum und warten auf die große Schlagzeile. Sie erwarten Radioaktivität. Opfer, die im Dunkeln leuchten. Und statt dessen -eine große Enttäuschung. Alle Verletzungen sind ziemlich geringfügig. Vorwiegend Verletzungen durch herumfliegendes Glas. Sogar die Splitterverletzungen sind ziemlich oberflächlich; die Metallsplitter sind nur in die Oberhaut eingedrungen.«
»Anscheinend haben die Wasserschilde die Splitter abgebremst«, sagte Doniger.
»Das glaube ich auch,ja. Aber die Leute sind ziemlich enttäuscht. Und der Höhepunkt - die Tomographien, der erhoffte Gnadenstoß — ist ein absoluter Reinfall. Niemand von unseren Leuten hat Transkriptionsfehler. Ist natürlich klar - weil es alles nur Techniker sind. Der Polizeichef von Albuquerque ist stinksauer. Der Krarikenhausverwalter ist sauer. Die Reporter verduften, um über einen brennenden Wohnblock zu berichten. Unterdessen stirbt ein Kerl mit Nierensteinen fast, weil sie keine Tomographie machen konnten, da Dr. Tsosie die Maschinen belegt hat. Plötzlich macht sie sich Sorgen um ihren Job. Wauneka hat sein Gesicht verloren. Beide versuchen jetzt zu retten, was noch zu retten ist.«
»Perfekt«, sagte Doniger und schlug auf den Tisch. Er grinste. »Diese Trottel haben es verdient.«
»Und als Krönung des Ganzen«, fuhr Kramer triumphierend fort, »hat diese französische Reporterin, Louise Delvert, sich bereit erklärt, unsere Firma zu besuchen.« »Na endlich. Wann?«
»Nächste Woche. Wir veranstalten die übliche Augenwischerführung für sie.«
»Das entwickelt sich allmählich zu einem superguten Tag«, sagte Doniger. »Weißt du, mit ein wenig Glück kriegen wir den Korken wieder auf die Flasche. Sonst noch was?« »Heute mittag kommen die Medienleute.« »Das gehört eher zu den schlechten Nachrichten«, sagte Doniger. »Und Stern hat unseren alten Prototypen entdeckt. Er will die Reise machen. Gordon ist zwar strikt dagegen, aber Stern will deine persönliche Bestätigung, daß er nicht fahren darf.« Doniger zögerte kurz. »Ich würde sagen, lassen wir ihn gehen.« »Bob
»Warum sollte er nicht?« fragte Doniger.
»Weil es verdammt gefährlich ist. Die Maschine hat nur eine minimale Abschirmung. Sie wurde seit Jahren nicht benutzt, und sie hat gigantische Transkriptionsfehler bei den Leuten verursacht, die sie benutzt haben. Es kann passieren, daß er nicht einmal mehr zurückkommt.«
»Das weiß ich.« Doniger machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Aber das ist alles nicht der Kern.«
»Was ist der Kern?« fragte sie verwirrt.
»Baretto.«
»Baretto?«
»Höre ich da ein Echo? Diane, um Himmels willen, denk mal nach.«
Kramer runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Zähl doch mal alles zusammen. Baretto starb in den ersten ein oder zwei Minuten nach ihrer Ankunft. Oder nicht? Jemand hat ihn gleich am
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