»Das ist Alice«, sagte Gordon stolz und zeigte auf den ersten Käfig. »Und das ist Bob.«
Stern wußte, daß Quantentransmitter traditionell »Alice« und »Bob« oder »A« und »B« genannt wurden. Er betrachtete die klei-nen Käfige. In einem lehnte eine Kinderpuppe aus Plastik, ein Siedlermädchen in einem karierten Kleid.
»Hier wurde die erste Übertragung durchgeführt«, sagte Gordon. »Wir haben erfolgreich die Puppe zwischen den Käfigen hin und her geschickt. Das war vor vier Jahren.«
Stern nahm die Puppe zur Hand. Es war nur ein billiges Ding, er sah die Plastiknähte seitlich an Gesicht und Körper. Die Augen öffneten und schlossen sich, als er die Puppe auf und ab kippte. »Wissen Sie«, sagte Gordon, »unser erstes Ziel war es, die Übertragung makroskopischer Objekte zu perfektionieren. Dreidimensionales Faxen. Sie wissen vielleicht, daß daran großes Interesse bestand.«
Stern nickte; er hatte von den Forschungen auf diesem Gebiet gehört. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie weit diese schon gediehen waren.
»Stanford hatte das früheste Projekt«, fuhr Gordon fort. »Und auch im Silicon Valley wurde heftig daran gearbeitet. Der Ausgangspunkt war, daß in den letzten zwanzig Jahren die Dokumentenübertragung rein elektronisch geworden war — mit Fax oder mit E-Mail. Man muß jetzt kein Papier mehr verschicken, man schickt nur noch elektrische Signale. Viele Leute hatten den Eindruck, daß man früher oder später alle Objekte auf diese Art verschicken würde. Man brauchte dann zum Beispiel keine Möbel mehr zu transportieren, man könnte sie einfach von einer Station zur anderen übertragen. Solche Sachen.« »Wenn man dazu in der Lage ist.«
»Ja. Solange wir nur mit einfachen Gegenständen arbeiteten, waren wir dazu in der Lage. Das machte uns Mut. Aber natürlich reicht es nicht, zwischen zwei Stationen zu übertragen, die mit Kabeln verbunden sind. Wir müssen über größere Entfernungen übertragen, durch die Luft sozusagen. Also haben wir das versucht. Hier.«
Er ging zu zwei anderen Käfigen, die etwas größer und komplexer waren. Sie ähnelten bereits den Käfigen, die Stern im Transitbereich gesehen hatte. Zwischen diesen Käfigen gab es keine Verbindungskabel. »Alice und Bob, Teil zwei«, sage Gordon. »Oder Allie und Bob-bie, wie wir sie nannten. Das war unser Prüfstand für die drahtlose
Übertragung.«
»Und?«
»Hat nicht funktioniert. Wir haben von Allie losgeschickt, aber bei Bobbie nie was bekommen. Kein einziges Mal.« Stern nickte langsam. »Weil das Objekt aus Allie in ein anderes Universum verschwand.«
»Ja. Natürlich wußten wir das nicht von Anfang an«, sagte Gordon. »Ich meine, das war die theoretische Erklärung, aber wer hätte vermutet, daß es tatsächlich passierte? Wir brauchten verdammt lange, bis wir daraufkamen. Schließlich bauten wir eine Heimkehrmaschine, eine die rausgeht und automatisch wieder zurückkommt. Das Team nannte sie >Allie-Allie-kommt-zurück<. Sie steht da drüben.« Ein weiterer, noch größerer Käfig, knapp einen Meter hoch und schon fast identisch mit den Käfigen, die jetzt benutzt wurden. Die gleichen drei Röhren, das gleiche Laserarrangement. »Und?« fragte Stern.
»Wir konnten nachweisen, daß das Objekt hinausging und wieder zurückkehrte. Also schickten wir komplexere Dinge. Bald schafften wir es, eine Kamera zu schicken und mit einem Foto zurückzubekommen.« »Ja?«
»Es war ein Bild der Wüste. Von genau diesem Gelände. Aber bevor hier irgendwelche Gebäude standen.«
Stern nickte. »Konnten Sie das Bild datieren?«
»Nicht gleich«, sagte Gordon. »Wir haben immer und immer wieder Kameras losgeschickt, bekamen aber nichts anderes als Bilder der Wüste. Manchmal im Regen, manchmal im Schnee, auch tagsüber, auch nachts, aber immer Wüste. Sie kamen eindeutig aus verschiedenen Zeiten — aber was für Zeiten? Die Datierung der Bilder war ziemlich schwierig. Ich meine, wie würden Sie eine Kamera einsetzen, um die Abbildung einer solchen Landschaft zu datieren?« Stern runzelte die Stirn. Er erkannte das Problem. Die meisten alten Fotos ließen sich anhand menschlicher Artefakte datieren -ein Gebäude, ein Auto, Kleidung oder Ruinen. Aber eine unbe-wohnte Wüste in New Mexico änderte sich in Tausenden, vielleicht sogar Hunderttausenden von Jahren kaum.
Gordon lächelte. »Wir legten die Kamera auf den Rücken und benutzten ein Fischaugenobjektiv. Und fotografierten den Himmel bei Nacht.« »Aha.«
»Natürlich funktioniert es nicht immer - es mußte Nacht und der
Himmel wolkenlos sein -, aber wenn man genug Planeten auf dem Bild hat, kann man den Himmel ziemlich genau datieren. Bis aufs Jahr, den
Tag und die Stunde genau. Und so fingen wir an, unsere
Navigationstechnologie zu entwickeln.«
»Das ganze Projekt änderte also die Richtung...«
»Ja. Wir wußten natürlich, was wir hatten. Wir machten keine
Objektübertragungen mehr - es hatte keinen Sinn, das länger zu versuchen. Wir transportierten zwischen Universen.«
»Und wann haben Sie angefangen, Leute zu schicken?«
»Noch eine ganze Weile nicht.«
Gordon führte ihn um eine Wand aus elektronischen Geräten herum in einen anderen Teil des Labors. Und dort sah Stern riesige, von der Decke hängende, wassergefüllte Plastiktanks, die ein bißchen wie auf den Kopf gestellte Wasserbetten aussahen. In der Mitte stand ein normal großer Käfig, zwar noch nicht ganz so ausgereift wie die im Transitraum, aber eindeutig dieselbe Technologie. »Das war unsere erste echte Maschine«, sagte Gordon stolz. »Moment mal«, sagte Stern. »Funktioniert das Ding?« »Ja, natürlich.«
»Ich meine, funktioniert es jetzt?«
»Es wurde zwar eine ganze Weile nicht mehr benutzt«, sagte Gordon. »Aber ich kann mir gut vorstellen, daß es funktioniert. Warum?« »Wenn ich zurückgehen und ihnen helfen wollte«, sagte Stern, »dann könnte ich - es in dieser Maschine tun? Habe ich recht?« »Ja.« Gordon nickte langsam. »Sie könnten in dieser Maschine zurückgehen, aber -«
»Hören Sie, ich glaube, die anderen sind in ihrer Zeit in ernsten Schwierigkeiten - oder noch Schlimmeres.« »Wahrscheinlich. Ja.«
»Und Sie sagen mir, daß wir eine Maschine haben, die funktioniert«, sagte Stern, »und zwar jetzt im Augenblick.«
Gordon seufzte. »Ich fürchte, es ist ein bißchen komplizierter als das, David.«
Kate fiel wie in Zeitlupe, als die Deckensteine unter ihr nachgaben. Im letzten Moment schlossen sich ihre Finger um die schartige Mörtelkante, mit der Übung vieler Jahre krallte sie sich daran fest, und der Mörtel hielt. An einer Hand hängend, sah sie zu, wie die Steine in einer Staubwolke auf den Boden der Kapelle krachten. Was mit den Soldaten passiert war, konnte sie nicht sehen.
Sie hob die andere Hand und bekam die Steinkante zu fassen. Die Steine konnten jeden Augenblick losbrechen, das wußte sie. Die ganze Decke bröckelte. Die größte Tragfähigkeit besaß die verstärkte Rippe, wo die Bögen zusammenstießen. Dort oder an der Seitenwand der Kapelle, die aus vertikal geschichteten Steinen bestand. Sie wollte versuchen, zur Seitenwand zu kommen. Der Stein löste sich, und sie hing wieder allein an der linken Hand. Sie griff mit der Rechten über die Linke, und zwar so weit es irgendwie ging, um wiederum ihr Gewicht zu verteilen.
Jetzt brach der Stein unter ihrer linken Hand los und fiel zu Boden. Erneut baumelte sie in der Luft, fand aber gleich einen anderen Handhalt. Sie war nur noch einen knappen Meter von der Seitenwand entfernt, und die Steine des Gewölbes waren — so knapp vor der Vereinigung mit der Wand - merklich dicker. Die Kante, an der sie sich festklammerte, fühlte sich stabiler an.
Unter sich hörte sie Soldaten, die schreiend in die Kapelle gelaufen kamen. Es würde nicht lange dauern, bis sie mit Pfeilen nach ihr schössen.
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