Livres zahle, damit er die Stadt nicht zerstöre.«
»Wahrhaftig?« fragte Lord Oliver und machte ein besorgtes Gesicht.
»Das habe ich noch nicht gehört. Natürlich gibt es Gerüchte, daß Arnaut vorhat, gen Avignon zu marschieren, vielleicht schon nächsten Monat.
Und alle glauben, daß er den Papst bedrohen wird. Aber er hat es noch nicht getan.« Er runzelte die Stirn. »Oder doch?«
»Ihr sprecht wahr, Mylord«, erwiderte Johnston sofort. »Ich wollte damit sagen, daß die Kühnheit seines Vorhabens täglich neue Soldaten an seine Seite zieht. Inzwischen hat er eintausend in seiner Kompanie.
Vielleicht schon zweitausend.«
Oliver schnaubte. »Ich fürchte mich nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte Johnston, »aber diese Burg hat einen flachen Graben, nur eine einzige Zugbrücke, nur ein einzelnes Tor, keine Fallgrube und nur ein einziges Fallgitter. Euer Schutzwall im Osten ist niedrig. Lagerplatz für Nahrung und Wasser habt Ihr nur für ein paar Tage. Eure Garnison drängt sich in den kleinen Höfen, und Eure Männer sind nicht leicht zu manövrieren.«
Darauf erwiderte Oliver: »Ich sage Euch, mein Schatz ist hier, und ich werde hier bei ihm bleiben.«
»Und ich rate Euch«, sagte Johnston, »nehmt mit, was Ihr könnt, und brecht auf. La Roque steht auf einer Anhöhe, mit steilen Felshängen auf zwei Seiten. Auf der dritten Seite hat es einen tiefen Graben, und es hat zwei Tore, zwei Fallgitter, zwei Zugbrücken. Auch wenn die Angreifer es schaffen, durch das äußere Tor einzudringen —« »Ich kenne die Vorzüge von La Roque!« Johnston hielt inne.
»Und ich will Eure abscheulichen Belehrungen nicht hören!« »Wie Ihr wollt, Lord Oliver.« Und dann sagte Johnston: »Ah.« »Ah? Ah?«
»Mylord«, sagte Johnston, »ich kann Euch kein Berater sein, wenn Ihr mir ausweicht.«
»Ausweichen? Ich weiche Euch nicht aus, Magister. Ich spreche offen und ehrlich und halte nichts zurück.«
»Wie viele Männer habt Ihr in La Roque?«
Oliver wand sich. »Dreihundert.«
»Dann ist Euer Schatz bereits in La Roque.«
Lord Oliver sah ihn mißtrauisch an. Er sagte nichts, ging um Johnston herum und sah ihn noch einmal argwöhnisch an. Dann sagte er: »Ihr drängt mich, dorthin zu gehen, indem Ihr meine Ängste schürt.« »Das tue ich nicht.«
»Ihr wollt, daß ich nach La Roque gehe, weil Ihr wißt, daß diese Burg eine Schwäche hat. Ihr seid eine Kreatur Arnauts, und Ihr bereitet ihm den Weg für seinen Angriff.«
»Mylord«, sagte Johnston, »wenn La Roque so minderwertig ist, wie Ihr sagt, warum habt Ihr dann Euren Schatz dort versteckt?« Oliver schnaubte mißmutig. »Ihr seid geschickt mit Worten.« »Mylord, Eure eigenen Taten sagen Euch, welche Burg die bessere ist.« »Nun gut. Aber Magister, wenn ich nach La Roque gehe, geht Ihr mit mir. Und wenn ein anderer den geheimen Eingang findet, bevor Ihr ihn mir verraten habt, werde ich selbst dafür sorgen, daß Ihr sterbt auf eine Art, die Edwards Ende« — er lachte über seinen Witz - »als Freundlichkeit erscheinen läßt.« »Ich verstehe, was Ihr meint«, sagte Johnston. »Ihr versteht? Dann nehmt es Euch zu Herzen.« Chris Hughes blickte zum Fenster hinaus.
Zwanzig Meter unter ihm lag der Burghof im Schatten. Männer und Frauen in Festkleidung strömten zu den hell erleuchteten Fenstern des Festsaals. Schwach war Musik zu hören. Der festliche Anblick machte ihn noch niedergeschlagener, er kam sich noch einsamer und verlassener vor. Sie sollten alle drei umgebracht werden -und es gab nichts, was sie dagegen tun konnten.
Ihr Gefängnis war eine kleine Kammer hoch oben im Hauptturm der Burg, mit Blick auf die Burgmauern und die Stadt dahinter. Es war das Zimmer einer Frau, mit einem Spinnrad und einem Altar auf der einen Seite, oberflächlichen Zeichen der Fröm-migkeit und Demut, die jedoch förmlich erdrückt wurden von dem riesigen Bett mit roten Samtbezügen und Pelzbesatz in der Mitte des Zimmers. Die Tür bestand aus massiver Eiche und besaß ein neues Schloß. Sir Guy hatte die Tür eigenhändig verschlossen, nachdem er eine Wache im Zimmer, auf einem Hocker neben der Tür, und zwei draußen postiert hatte. Diesmal gingen sie kein Risiko ein.
Marek saß auf dem Bett und starrte gedankenverloren ins Leere. Vielleicht lauschte er aber auch, er hatte sich eine Hand ans Ohr gelegt. Kate ging unterdessen ruhelos von einem Fenster zum anderen und verglich die Ausblicke. Am hintersten Fenster beugte sie sich hinaus, schaute nach unten, kehrte dann zum Fenster zurück, an dem Chris stand, und beugte sich auch hier hinaus.
»Der Ausblick hier ist auch nicht anders«, sagte Chris. Ihre Ruhelosigkeit irritierte ihn.
Dann sah er, daß sie mit der Hand die Außenmauer neben dem Fenster abtastete und die Beschaffenheit von Steinen und Mörtel prüfte. Er sah sie fragend an.
»Vielleicht«, sagte sie mit einem Nicken. »Vielleicht.«
Chris streckte nun ebenfalls die Hand hinaus und tastete die Mauer ab.
Sie war gerundet, fast glatt und fiel senkrecht zum Burghof hin ab.
»Soll das ein Witz sein?«
»Nein«, sagte sie, »absolut nicht.«
Er schaute noch einmal hinaus. Im Hof waren neben den Höflingen noch viele andere zu sehen. Einige Burschen scherzten und lachten, während sie Rüstungen polierten und die Pferde der Ritter versorgten. Rechts patroullierten Soldaten auf der Mauerkrone. Es konnte leicht passieren, daß einer sich umdrehte und hochschaute, falls ihre Bewegungen ihm ins Auge fielen. »Man wird dich sehen.«
»An diesem Fenster, ja. Am anderen nicht. Unser einziges Problem ist der da.« Sie nickte in Richtung der Wache neben der Tür. »Könnt ihr mir nicht irgendwie helfen?«
Marek, der noch immer auf dem Bett saß, sagte: »Ich kümmere mich darum.«
»Was soll denn das?« sagte Chris sehr verärgert. Er sprach laut. »Mir traust du das wohl nicht zu, was?« »Nein, das tue ich nicht.«
»Verdammt, ich lasse mich von dir nicht länger so behandeln«, sagte Chris. Er schien wütend und auf der Suche nach einer Möglichkeit, Dampf abzulassen. Schließlich packte er den kleinen Hocker neben dem Spinnrad und stürzte damit auf Marek zu.
Die Wache sah es, rief hastig: »Non, non, non« und eilte zu Chris. Der Mann merkte überhaupt nicht, daß Marek hinter ihn trat und ihm einen metallenen Kerzenhalter über den Kopf zog. Er sackte zusammen, und Marek fing ihn auf und ließ ihn sachte zu Boden gleiten. Blut quoll aus dem Kopf des Mannes auf einen orientalischen Teppich. »Ist er tot?« fragte Chris und starrte Marek an.
»Ist doch egal«, sagte Marek. »Red einfach leise weiter, damit die draußen unsere Stimmen hören.«
Sie drehten sich um, aber Kate war bereits verschwunden.
Ist auch nichts anderes als Freeclimbing, sagte sich Kate, die zwanzig
Meter über dem Boden an der Mauer hing.
Der Wind fuhr ihr in die Kleider und zerrte an ihr. Mit den Fingerspitzen klammerte sie sich an kleinen Mörtelvorsprüngen fest. Manchmal zerbröckelte der Mörtel, und sie mußte nachgreifen. Doch ab und zu fand sie Kerben im Mörtel, die so groß waren, daß sie ihre Fingerspitzen hineinstecken konnte.
Sie hatte schon höhere Schwierigkeitsgrade gemeistert. Jedes Gebäude inYale war schwieriger, allerdings hatte sie dort Kreide für die Hände, richtige Kletterschuhe und eine Sicherheitsleine gehabt. Hier war sie ungesichert.
Sie war zum westlichen Fenster hinausgeklettert, weil es sich im Rücken der Wachen befand, weil es zur Stadt hinausging und so die Wahrscheinlichkeit geringer war, daß man sie vom Hof aus sah, und weil es von dort aus die kürzeste Entfernung zum nächsten Fenster war - dem Fenster am Ende des Gangs, der an ihrer Kammer vorbeiführte. Es ist nicht weit, sagte sie sich. Nur nichts überstürzen. Keine Eile. Eine Hand, dann ein Fuß... die nächste Hand...
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