Anfang mit Pfeilen gespickt.«
»Ja...«
»Die ersten paar Minuten«, sagte Doniger, »sind die Zeit, wenn alle noch als Gruppe in der Nähe der Maschinen zusammenstehen. Richtig? Welchen Grund haben wir also für die Annahme, daß Baretto getötet wurde, aber sonst niemand?« Kramer schwieg.
»Vernünftig wäre doch anzunehmen, daß derjenige, der Baretto getötet hat, auch alle anderen tötete. Die ganze Truppe.«
»Okay...»
»Das heißt, daß sie wahrscheinlich nicht zurückkommen. Der Professor kommt nicht zurück. Die ganze Gruppe ist verschwunden. Das ist zwar Pech, aber mit einer Gruppe verschwundener Leute können wir umgehen: ein tragischer Laborunfall, bei dem alle verbrannten, oder ein Flugzeugabsturz, und kein Mensch würde auf irgendwelche Gedanken kommen ... « Eine Pause entstand.
»Aber da ist Stern«, sagte Krämer schließlich. »Er kennt die ganze
Geschichte.«
»Das stimmt.«
»Deshalb willst du ihn auch zurückschicken. Ihn ebenfalls loswerden. Einen sauberen Schnitt machen.«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Doniger prompt. »He, ich bin absolut dagegen. Aber der Kerl will unbedingt gehen. Er will seinen Freunden helfen. Es wäre doch falsch, wenn ich mich ihm ihn den Weg stellen würde.«
»Bob«, sagte sie, »es gibt Zeiten, da bist du ein richtiges Arschloch.« Plötzlich fing Doniger an zu lachen. Er hatte ein schrilles, keuchendes, hysterisches Lachen, wie ein kleiner Junge. Es war die Art, wie viele Wissenschaftler lachten, aber Kramer erinnerte es immer an eine Hyäne.
»Wenn du Stern erlaubst zurückzugehen, kündige ich.«
Doniger lachte darauf nur noch lauter. Er saß auf seinem Stuhl und warf den Kopf in den Nacken. Es machte sie wütend.
»Ich meine es ernst, Bob.«
Schließlich hörte er auf zu lachen und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Diane, also komm«, sagte er. »Ich mache doch nur Spaß. Natürlich darf Stern nicht gehen. Wo bleibt denn dein Humor?« Kramer wandte sich zum Gehen. »Ich sage Stern, daß er nicht gehen darf«, sagte sie. »Aber spaßig fand ich das nicht.« Doniger fing wieder an zu lachen. Hyänenschreie gellten durchs Zimmer. Kramer schlug wütend die Tür hinter sich zu.
Seit vierzig Minuten hasteten sie nun schon durch den Wald nordöstlich von Castelgard. Schließlich erreichten sie die Hügelkuppe, die höchste Erhebung in der Gegend, und konnten eine Pause einlegen, um wieder zu Atem zu kommen und sich umzusehen. »O mein Gott«, sagte Kate und starrte nach unten. Unter ihnen lag der Fluß, das Kloster am anderen Ufer. Aber ihre Aufmerksamkeit wurde auf die abweisende Burg hoch über dem Kloster gelenkt: die Festung von La Roque. Sie war riesig! Im dunkler werdenden Blau des Abends erstrahlte die Burg im Licht aus hundert Fenstern und von Fackeln auf den Zinnen. Doch trotz der Lichter wirkte die Festung bedrohlich. Die Außenmauer erhob sich schwarz über dem stillen Wasser des Burggrabens. Im Inneren befand sich ein zweiter kompletter Mauerring mit vielen runden Türmen, und in der Mitte der Anlage stand die Burg selbst mit ihrem riesigen Festsaal und vier großen, runden Ecktürmen.
Marek fragte Kate: »Sieht es aus wie das moderne La Roque?« »Überhaupt nicht«, antwortete sie kopfschüttelnd. »Das Ding hier ist gigantisch. Die moderne Burgruine hat nur eine Außenmauer. Die da hat zwei: einen zusätzlichen Mauerring, der nicht mehr auffindbar ist.« »Soweit ich weiß«, sagte Marek, »wurde es nie mit Gewalt eingenommen.«
»Man sieht ja auch, warum«, bemerkte Chris. »Schau nur, wie es liegt.« An der Ost- und Südseite stand die Burg am Rand steiler Kalksteinhänge, die fast senkrecht über einhundertfünfzig Meter tief zur Dordogne hin abfielen. Im Westen, wo der Abhang weni-

ger steil war, wuchsen die Häuser der Stadt zum Schloß empor, aber die Straße durch die Stadt endete an einem breiten Burggraben und mehreren Zugbrücken. Im Norden fiel das Land sanft ab, aber alle Bäume auf dieser Seite waren gefällt, und auf einem solchen freien Feld ohne jede Deckung anzugreifen wäre Selbstmord für jede Armee. Marek zeigte zur Festung. »Schaut mal dort«, sagte er. Im Zwielicht sahen sie einen Trupp Soldaten, die sich auf einem unbefestigten Weg von Westen her der Burg näherten. Zwei Ritter an der Spitze hielten Fackeln, und in diesem Licht konnten sie Lord Oliver, Sir Guy und den Professor gerade noch erkennen. Der Rest von Olivers Rittern bildete in zwei Kolonnen die Nachhut. Die Gestalten waren so weit entfernt, daß sie nur an Körperform und Haltung zu erkennen waren. Aber zumindest Chris hatte keinen Zweifel, um wen es sich handelte.
Er seufzte, als er sah, daß die Männer einen Graben auf einer Zugbrücke überquerten und dann durch ein großes, von zwei halbrunden Türmen flankiertes Wachhaus einritten - ein sogenanntes Doppel-D-Tor, weil die Zwillingstürme von oben betrachtet wie Ds aussahen. Soldaten auf den Türmen beobachteten die Reiter.
Hinter dem Wachhaus kamen die Reiter in einen umschlossenen Hof. Hier waren viele lange, hölzerne Gebäude errichtet worden. »Dort liegen die Truppen in Garnison«, sagte Kate.
Die Männer ritten über diesen äußeren Hof und überquerten einen zweiten Graben auf einer zweiten Zugbrücke. Dann verschwanden sie in einem zweiten Wachhaus mit noch höheren Doppeltürmen: zehn Meter hoch und hell erleuchtet vom Schein aus Dutzenden von Schießscharten.
Erst dahinter, im innersten Burghof, stiegen sie ab. Der Professor wurde von Oliver zum Festsaal geführt, und sie verschwanden darin. Kate sagte: »Der Professor hat gesagt, wenn wir getrennt werden, sollen wir ins Kloster gehen und Bruder Marcel suchen, weil der den Schlüssel hat. Ich bin mir sicher, er meint den Schlüssel zum Geheimgang.«
Marek nickte. »Und genau das werden wir jetzt tun. Es ist bald ganz dunkel. Dann können wir los.«
Chris schaute den Hügel hinunter. In der Dämmerung erkannte er auf den Feldern kleine Soldatentrupps, die sich bis zum Flußufer verteilten. An all diesen Soldaten mußten sie sich vorbeischleichen. »Du willst heute nacht zum Kloster?« fragte er.
Marek nickte. »Wie gefährlich das jetzt auch aussehen mag«, sagte er, »morgen wird es noch schlimmer.«
Kein Mond war zu sehen. Der Himmel war schwarz und voller Sterne, hin und wieder zog eine Wolke vorüber. Marek führte sie den Hügel hinunter und an der brennenden Stadt von Castelgard vorbei in die dunkle Landschaft. Es überraschte Chris, wie erstaunlich gut er im Licht der Sterne sehen konnte, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Wahrscheinlich, weil es keine Luftverschmutzung gibt, dachte er. Er erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, daß die Leute in früheren Jahrhunderten tagsüber den Planeten Venus sehen konnten, so wie wir jetzt den Mond sehen.
Außerdem überraschte ihn die absolute Stille der Nacht. Das Lauteste, was sie hörten, war das Geräusch ihrer Füße, die sich durch Gras und Gestrüpp bewegten.
»Wir gehen zum Pfad«, flüsterte Marek. »Und dann zum Fluß hinunter.« Sie kamen nur langsam vorwärts. Marek blieb immer wieder stehen und duckte sich hinter Gestrüpp, um ein paar Minuten zu horchen. So brauchten sie fast eine Stunde, bis sie den Lehmpfad erreichten, der von der Stadt zum Fluß führte. Der Pfad war nur ein heller Streifen im dunklen Gras und dem Laubwerk zu beiden Seiten. Hier hielt Marek inne und kauerte nieder. Völlige Stille umgab sie. Chris hörte nur das schwache Säuseln des Winds. Er wollte unbedingt weitergehen. Nach einer vollen Minute des Wartens stand er auf. Doch Marek zog ihn wieder zu Boden. Er hielt sich den Finger an die Lippen.
Chris horchte. Da war mehr als nur der Wind, erkannte er. Es war das Flüstern von Männern. Er strengte seine Ohren an. Ein leises Husten, irgendwo vor ihnen. Dann noch ein Husten, etwas näher, auf ihrer Seite des Pfads.
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