Haremhab war hingerissen. So verzückt hatte ich ihn noch nie erlebt. Er sah mich an, und sein so attraktives, unfreundliches Gesicht hatte einen triumphalen Ausdruck.
»Hast du das gesehen? Die Finsternis hat den Aton verschlungen. Das ist ein Zeichen der Götter, dass sie die korrupte Macht dieser armseligen Familie nicht länger unterstützen.« Und sodann schlug er sich triumphierend mit der Faust auf die Brust und rief entschlossen in die Runde: »Es wird eine neue Ordnung geben! Das dort oben ist eine neue Sonne, und sie strahlt nieder auf ein neues Zeitalter!« Diszipliniert jubelten seine Soldaten ihm zu.
Danach ritt er in Begleitung seiner rennenden Mannen den unfruchtbaren Hügel hinunter, und Thot und ich konnten allein zusehen, wie wir zum Palast zurückkamen. Während unseres Rückweges über die staubigen Pfade konnte ich an nichts anderes denken als an das Himmlische Auge. Das Symbol des schwarzen Kreises war Wirklichkeit geworden. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht getäuscht. Das Symbol war nicht nur das Zeichen eines Geheimbundes, es war auch eine Prophezeiung von etwas Realem, das kommen würde. Mir fiel plötzlich ein, was Nacht über den schwarzen Kreis gesagt hatte: »Er bedeutet, dass sich in der finstersten Stunde der Nacht die Seele des Re mit dem Leib und der Seele des Osiris vereinigt. Das ermöglicht es Osiris und damit allen Toten der Beiden Länder, wiedergeboren zu werden. Es ist der heiligste und bedeutsamste Moment der gesamten Schöpfung.«
Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto zwiespältiger wurden meine Gefühle. Hatte dieses Himmelsereignis ein Wunder der Wiedergeburt prophezeit oder eine bevorstehende Katastrophe?
Das Personal rannte konfus durch die Korridore wie Ameisen durch eine Kolonie, in der spielende Kinder mit Stöckchen herumgestochert hatten. Ich betrat die Gemächer der Königin, die sich angespannt mit Eje, Khay und Simut besprach.
Eje warf mir kurz einen Blick zu. Sein Gesicht war vor Müdigkeit eingefallen. Zur Abwechslung sah er mal beunruhigt aus.
Simut berichtete gerade über die Nachwehen der Sonnenfinsternis.
»In der Stadt ist es zu beträchtlichem Chaos gekommen. Vor den Tempeltoren haben sich Menschenmengen versammelt, die sich weigern, sich wieder aufzulösen. Es ist zu Plünderungen gekommen, Gebäude sind in Brand gesteckt worden … und ich muss dazu sagen, dass die Medjai die Situation nur noch weiter verschlimmert haben, indem sie versuchten, die Menschenmassen in den Griff zu bekommen. In einigen Stadtbezirken ist es zu Straßenschlachten mit regimekritischen Elementen gekommen und …«
»Das Volk ruft nach dem König«, fiel Khay ihm ins Wort. »Sie weigern sich zu gehen, bis der König erscheint und zu ihnen spricht.«
Eje saß ganz ruhig da und suchte so verbissen nach einer Lösung, dass ich meinte, sein Gehirn surren zu hören. Dadurch, dass er sich geweigert hatte, den Tod des Königs zu verkünden, saß er jetzt in der Falle. Gefangen im Netz seiner eigenen Lüge.
»Das ist nur eines unserer Probleme«, sagte Simut. »Haremhab wird die Gelegenheit nutzen, seine Divisionen in die Stadt zu holen, damit sie die Unruhen niederschlagen.«
»Und wo sind diese Divisionen?«, blaffte Eje.
»Soweit uns bekannt ist, sind sie in Memphis. Eindeutige Informationen unseres Geheimdienstes liegen uns dahingehend allerdings nicht vor«, gab er zu. »Selbst der schnellste Bote braucht mindestens drei Tage, um Befehle von hier nach Memphis zu bringen, und dann müssen sie mobil machen und nach Süden segeln. Es sei denn, Haremhab hat alles vorausgesehen und Divisionen bereitgestellt, die schneller Richtung Theben marschieren können.«
Es folgte eine Schweigeminute, die jeder in der Runde zum Anlass nahm, um sich zu überlegen, wie die wenige kostbare Zeit, die uns noch blieb, am besten genutzt werden konnte.
»Ich werde zum Volk sprechen«, sagte Anchesenamun auf einmal.
»Was willst du den Leuten denn sagen?«, erwiderte Eje. Mit einem Mal flackerte Neugier aus seinen bösen Augen.
»Ich werde ihnen die Wahrheit sagen. Ich werde ihnen sagen, dass das, was sich am Himmel zugetragen hat, ein Zeichen für die erneuerte Ordnung auf Erden war. Ich werde ihnen erklären, dass der König während der Finsternis mit dem Gott vereint wurde und jetzt im Totenreich wiedergeboren ist. Ich bleibe hier, als seine Nachfolgerin und mit seiner Billigung. Wenn ich das täte, würden wir damit jeden Versuch Haremhabs, nach der Macht zu greifen, im Keim ersticken.«
Sie sahen einander an, Widersacher, vereint durch zwingende Not.
»Du bist ein cleveres Kind. Das ist eine gute Geschichte. Nur wird sie viele misstrauisch stimmen.«
»Die Finsternis war ein großartiges und seltenes Ereignis. Es war ein beispielloses Spektakel, und das muss das Volk begreifen. Meine Worte werden die Menschen überzeugen müssen.«
Rasch überdachte Eje, welche Auswirkungen ihr Vorschlag haben konnte und welche Möglichkeiten er eröffnete.
»Du hast meine Unterstützung, aber Worte sind Macht und müssen sorgsam gewählt werden. Wenn du über dich selbst sprichst, würde ich statt ›Nachfolgerin‹ das Wort ›Stellvertreterin‹ vorziehen.«
Sie dachte darüber nach.
»Damit sind wir wieder bei dem Thema, über das wir uns nicht einigen können. Es bleibt uns nur wenig Zeit, und eine andere Lösung sehe ich nicht. Warum sollte ich mich nicht Nachfolgerin nennen? Das bin ich schließlich.«
»Das Blut deiner Ahnen fließt in deinen Adern. Nur vergiss nicht: Du kannst nicht regieren, ohne Macht über die Ministerien zu haben. Und die Macht habe ich.«
»In meinem Namen«, parierte sie sofort.
»Das stimmt. Und genau deshalb gilt es, eine Strategie zu entwickeln, die uns beiden zum Nutzen gereicht.«
Sie ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. Sie musste sich schnell entscheiden.
»Gut.«
»Und der Inhalt der Rede wird zwischen uns abgesprochen?«, fragte er.
Sie sah Khay an, und der nickte.
»Selbstverständlich.«
»Dann bereite dich gut vor, denn dieser Auftritt ist der wichtigste deines Lebens.«
Kaum dass Eje fort war, sprang sie auf.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie gereizt und mit einem Anflug von Wut in der Stimme. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Ich war in der Stadt und habe meinen Freund Nacht besucht. Und auf dem Rückweg erhielt ich die Einladung zu einer Audienz bei Haremhab, die ich nicht ablehnen konnte.«
Sie wirkte erstaunt.
»Du hast sie angenommen?«
»Mir blieb kaum eine andere Wahl. Sie haben mich gefangen genommen.«
»Und was hat er zu dir gesagt?«
Wir setzten uns zusammen, und ich erzählte ihr, was ich alles über Sobek in Erfahrung gebracht hatte und dass ich jetzt durch den Zeugen, den Jungen, beweisen konnte, dass Sobek auch für die Morde in der Stadt verantwortlich war. Zu guter Letzt teilte ich ihr mit, was Haremhab zu mir gesagt hatte. Einen Moment lang wirkte sie verwundert.
»Wir müssen deine Familie vor ihm schützen.«
»Ja, aber wir müssen auch nachdenken. Bisher hat er nur Drohungen gegen sie ausgesprochen, und solange er nicht weiß, wie Ihr Euch entscheidet, wird er sie nicht in die Tat umsetzen. Derweil müssen wir Sobek schnappen, und was das angeht, habe ich einen Plan. Sobald wir uns den geschnappt haben, können wir ihn verhören und herausfinden, ob und wie Haremhab oder Eje in seine Taten verwickelt sind. Und diese Informationen werden Euch große Macht verleihen.«
Sie nickte, und aus ihren Augen strahlte das Feuer der Euphorie. Auf einmal sah sie für sich selbst und ihre Dynastie einen Weg in die Zukunft.
»Diese Finsternis hat mich geschockt. Ich fühle mich plötzlich, als würden die Götter mich beobachten. Als könnten sie in mein Innerstes blicken. Alles steht auf dem Spiel, nicht nur die Zukunft meiner Dynastie, sondern auch das Schicksal der Beiden Länder. Aber seltsamerweise fühle ich mich zum ersten Mal seit vielen Monaten – richtig lebendig.«
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