»Euch wird zu Ohren gekommen sein, dass ich –«
»Halt.«
Er hob die rechte Hand. Ich sprach nicht weiter.
»Wenn die Königin es gewagt hätte, mich nach meiner Meinung zu fragen, hätte ich ihr verboten, nach Euch schicken zu lassen.«
Er taxierte mich von oben bis unten.
»Ich mag es nicht, wenn die städtische Medjai sich in die Verwaltung und die Angelegenheiten des Palasts einmischt.«
»Sie hat aus privaten, persönlichen Gründen nach mir schicken lassen«, erwiderte ich.
»Der Natur und der Hintergründe Eurer Beziehung zur königlichen Familie bin ich mir vollauf bewusst«, sagte er ruhig. »Und falls das Ganze keine rein private, persönliche Angelegenheit bleibt, dürft Ihr versichert sein, dass ich weder Euch noch Eurer Familie gegenüber Gnade werde walten lassen.«
Ich nickte, sagte aber nichts dazu.
»In jedem Fall bin ich zu dem Schluss gelangt, dass dieses Relief bedeutungslos ist. Man muss es einfach nur vernichten und vergessen.«
Seine fleckige, knochige Hand zitterte, als er den Knauf seines Gehstocks umfasste. Ich sah mir die penible Ordnung an, die in diesem Raum herrschte. Ihm fehlte jegliches Leben und somit auch alles Natürliche wie etwa Unordnung.
»Trotzdem scheint es den König und die Königin beunruhigt zu haben.«
»Sie sind Kinder. Die Ängste von Kindern sind irreal und unerheblich. Das Gespenst in der Gruft. Der böse Geist unter der Liege. Das ist Aberglaube. In den Beiden Ländern ist kein Platz für Aberglauben.«
»Vielleicht ist es kein Aberglaube, sondern Fantasie.«
»Zwischen dem einen und dem anderen besteht kein Unterschied.«
Für dich nicht, du hohles Stück, dachte ich.
»Nichtsdestotrotz«, fuhr er fort, »spricht das Ganze für ein Versagen der Ordnungskräfte. Die Palastbeamten hätten es entdecken müssen. Dass das Relief überhaupt auf das Palastgelände gelangen konnte, spricht für grobe Nachlässigkeit. Das wird nicht toleriert.«
»Es wird zweifellos eine Untersuchung geben, und man wird die Fehler beseitigen.«
Er ignorierte die Verachtung, die in meinem Ton mitschwang.
»Ordnung ist das oberste Gebot der Macht. Nach den anmaßenden Katastrophen der Vergangenheit stellt die glorreiche Herrschaft Tutanchamuns den Triumph der göttlichen, universellen Ordnung von maat nach dem Willen der Götter dar. Wir haben diese Beiden Länder wieder in Ordnung gebracht. Diese wird nicht gefährdet. Von nichts und niemandem.«
»Ihr habt ihn gerade erst ein Kind genannt.«
Er starrte mich an, und einen kurzen Moment dachte ich, er würde mich hinauswerfen. Er tat es nicht, also sprach ich weiter.
»Vergebt mir, dass ich hier weiter auf dem Thema herumreite, aber als diese Leute anfingen, den König mit dem Blut geschlachteter Schweine zu bespritzen, in aller Öffentlichkeit, während des Höhepunkts des Opet-Festes …«
»Eine Ausnahme. Diese paar Dissidenten sind unwichtig und werden eliminiert werden.«
Ihm fiel auf, dass der Tisch nicht richtig stand, und er runzelte die Stirn und stellte ihn wieder korrekt hin.
»Und dann das Relief. Am gleichen Tag wurde das aufgefunden? Irgendjemand, der zur obersten Führungsschicht gehört, hat sich gegen den König verschworen. Und wenn man sich die Gerüchte über das Scheitern der Feldzüge gegen die Hethiter vor Augen hält und die lange Abwesenheit von General Haremhab …«
Ich hatte den wunden Punkt getroffen. Mit seinem Gehstock schlug er auf den flachen Tisch, der zwischen uns stand. Dabei fiel eine Glasfigur um und zerbrach. »Eure Aufgabe besteht darin, das Gesetz anzuwenden«, kläffte er mich an. »Nicht darin, die Moral und die Umsetzung seiner Anwendung in Frage zu stellen.«
Er versuchte sich zu beruhigen.
»Ihr verfügt nicht über die Autorität, über irgendeine dieser Angelegenheiten zu sprechen. Womit verschwendet Ihr hier meine Zeit? Ich weiß, worum die Königin Euch gebeten hat. Warum sollte es mich interessieren, dass sie den Wunsch verspürt, sich ihren kleinen Fantasien von Angst und Beschütztwerden zu überlassen? Und was Euch persönlich anbetrifft – Ihr seht Euch als den Helden eines Märchens, in dem es um Wahrheit und Gerechtigkeit geht. Aber wer seid Ihr schon? Andere sind befördert worden, Euch hat man übergangen. Ihr hängt in einer Stellung auf der mittleren Ebene fest, bringt Eure Kollegen gegen Euch auf und habt nichts vorzuweisen. Ihr haltet Euch für vielschichtig und scharfsinnig, weil Ihr Euch für Poesie interessiert, aber trotzdem seid Ihr in unsicherer Stellung in einem Beruf tätig, in dem die Aufgabe im Mittelpunkt steht, das Gesetz brutal durchzusetzen. Das ist alles, was Ihr seid.«
Schweigen. Ich stand auf. Er blieb sitzen.
»Wir Ihr sagt, bin ich eine Figur aus einem Märchen: lächerlich, altmodisch und veraltet. Die Königin hat mich überredet. Ich kann nicht anders. Ich habe eine Schwäche für Damen, die sich in Notlagen befinden. Irgendjemand ruft das Wort ›Gerechtigkeit‹, und ich springe herbei wie ein Hund.«
» Gerechtigkeit … was hat die denn mit dem Ganzen hier zu tun? Nichts …«
Der spöttische Ton, mit dem dieser alte, vor sich hin faulende Mann das Wort ausstieß, ließ mich an all das denken, was nicht gerecht war.
Ich lief zur Tür.
»Ich gehe davon aus, dass ich Eure Zustimmung habe, mit den Ermittlungen in diesem mysteriösen Fall fortzufahren, gleichgültig, in welche Richtung mich das führt?«
»Die Königin ist Autorität genug. Ich unterstütze ihre Wünsche in allen Angelegenheiten.« Und damit meinte er: »Von mir wirst du keine Vollmacht bekommen.«
Ich lächelte, öffnete die Tür und ließ ihn und seine schmerzenden Knochen in seinem perfekten Amtszimmer allein. Zumindest hatte ich jetzt meine Rolle in dem Ganzen deutlich gemacht. Und ich hatte noch etwas Wichtiges erfahren: Er hatte keine Ahnung von Anchesenamuns Plan.
Ich kehrte zurück in meine eigene schäbige Amtsstube, die sich am falschen Ende des letzten Korridors befand, wo das Licht vor lauter Enttäuschung aufgibt und die Putzmänner sich nie hinbequemen. Dinge, die auf Macht hindeuteten, gab es hier nicht. Eje hatte natürlich recht. Ich kam beruflich nicht voran, drehte mich nur wie ein Blatt in einer Pfütze aus abgestandenem Wasser. Es war sogar so, dass sich der Glanz, der über der Begegnung der vergangenen Nacht gelegen hatte, jetzt in harsches Tageslicht verwandelte, und ich musste feststellen, dass ich kaum wusste, wo ich anfangen sollte. An Tagen wie diesem fühlte ich mich, wie das Sprichwort so schön sagt, mieser als der Kot von Geiern. Thot trabte vor mir her, denn er kannte den Weg, wie er alles weiß und kennt, was wichtig ist.
Kheti erwartete mich. Er hat die Angewohnheit, Dinge, die er herausgefunden hat, geradezu hervorzusprudeln, was ich nur an guten Tagen erträglich finde.
»Setz dich.«
Er wirkte verdutzt, zögerte einen Moment.
»Sprich.«
»Gestern Abend …«
»Halt.«
Er hielt inne und schaute mit offenem Mund Thot an, als könne das Tier ihm die Gründe für meine Gereiztheit liefern. Wir saßen da wie drei Idioten.
»Glaubst du an Gerechtigkeit, Kheti?«
Er erweckte den Eindruck, als verwirre ihn diese Frage.
»Was meinst du mit glauben …?«
»Es geht dabei um den Triumph des Glaubens über die Erfahrung, nicht wahr?«
»Ich glaube an Gerechtigkeit, glaube aber nicht, sie je mit eigenen Augen gesehen zu haben.«
Ich nickte, denn das war eine gute Antwort. Dann wechselte ich das Thema.
»Du hast neue Informationen?«
Er nickte.
»Etwas, was du mit eigenen Augen gesehen hast?«, bohrte ich weiter.
Wieder nickte er.
»Es wurde eine weitere Leiche gefunden.«
»Das ist enttäuschend«, erwiderte ich leise. »Wann wurde sie entdeckt?«
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