Pantaleone Buzacarini war bekanntermaßen ein Ghibelline, der diese Stellung aufgrund der neuen Politik der Welfen bekleidete, die Gegner in die Lenkung der Geschicke der Stadt einzubeziehen, sie aber in der Minderheit zu halten. Bei ihm musste er doppelt vorsichtig sein.
»Darum geht es nicht«, antwortete Uberto und wählte den Weg der Vernunft. »Ich möchte sie nur lieber nicht erwähnen, bevor ich etwas Greifbares in Händen habe. Ich beschuldige ungern jemanden ohne Beweise.«
»Ich hatte genau das Gegenteil angenommen«, stieß Pantaleone leise zwischen den Zähnen hervor, woraufhin auf den Lippen des Podestà ein Lächeln erschien - und dies, obwohl der ein unversöhnlicher Welfe war.
»Was meintet Ihr gerade?«, fragte Uberto, der es in Wirklichkeit genau gehört hatte.
»Nichts von Bedeutung. Doch sagt mir eins, wenn Ihr nicht einmal dem Gefangenen mitteilt, welches Verbrechens Ihr ihn beschuldigt, wie soll er sich da schuldig bekennen?«
Uberto hätte den Capitano del Popolo liebend gern selbst auf das Rad gespannt und gefoltert. Solche respektlosen Verhaltensweisen waren die direkte Folge der Schwäche von Kirchenfürsten wie dem Erzbischof von Ravenna.
Er verschränkte die Arme vor der Brust seiner weißen Kutte, die er unter dem schwarzen Umhang mit der Kapuze seines Ordens trug; diese Geste löste bei seinen Untergebenen und den Befragten sonst Angst und Schrecken aus.
»Wie und wann ich es ihm mitteilen werde, entscheide ich, Capitano. Und jetzt, wenn Ihr erlaubt, möchte ich das Verhör fortsetzen.«
Der Notar schrieb nicht mehr mit und beobachtete alle drei von seinem Tisch aus, wobei er sich mit der Gänsefeder am Ohr kitzelte.
Francesco Salimbene verfolgte seinerseits aufmerksam jedes Wort. Über sein Gesicht glitten abwechselnd Hoffnung und Enttäuschung wie beim Spiel von Licht und Schatten, das die zwischen Blättern durchscheinende Sonne hervorbringt.
»Fahrt ruhig fort«, sagte der Podestà und stellte sich hinter dem Notar auf. Pantaleone folgte ihm sogleich. »Wir werden Euch nicht stören.«
Nun machte sich wieder ausschließlich Schatten auf dem Gesicht des jungen Mannes breit - Uberto war jedoch zu aufgebracht, um darüber Befriedigung zu empfinden. Leider hatte der unverschämte Capitano Recht. Unter diesen Umständen blieb ihm keine andere Möglichkeit, als den Gefangenen zu ihren Bedingungen zu befragen. Und dann musste man auch noch schnell zu einem Ergebnis kommen.
Doch vielleicht konnte er die Lage ja noch zu seinem Vorteil wenden.
»Soweit ich weiß«, sagte er, an den Podestà gewandt, und ignorierte den Capitano del Popolo vollkommen, »gibt es schwerwiegende Beweise gegen diesen Mann, dass er ein Brandstifter ist. Dennoch behauptet er, der Brand wäre in seiner Abwesenheit ausgebrochen.«
»Das ist richtig, aber dieses Verbrechen fällt in den Zuständigkeitsbereich der Stadt.«
»Und wie wollt Ihr nachweisen, dass er schuldig ist, wo der Angeklagte nicht gesteht?«
Der Podestà warf ihm einen verblüfften Blick zu. »Die Beweise gegen ihn sind so belastend, dass sie den Einsatz der Folter rechtfertigen. Aber das wisst Ihr selbst sehr genau.«
»Dann fahrt doch Ihr mit dem Verhör fort.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr lieber darauf verzichtet, ihn zu befragen, als uns zu erklären, wessen Ihr ihn beschuldigen werdet?«
»Keineswegs«, erwiderte Uberto. »Doch ich habe mich entschieden, aufrichtig zu Euch zu sein. Bei dem Verbrechen, dessen ich ihn beschuldigen werde, handelt es sich um Mord, bei dem auf Hexenkünste zurückgegriffen wurde. Mord, von einem Tempelritter verübt, der nach dem Brand in der Gemeinde Sant’Antonino verschwunden ist und dessen Namen ich noch nicht kenne …« Er bemerkte, dass der Capitano del Popolo ihn unterbrechen wollte, und brachte ihn durch einen Blick zum Schweigen. »Ich weiß, dass es dort wirklich einen Mord gegeben hat«, sagte er, um seinem Einwand zuvorzukommen, »da ich die Leiche ausfindig gemacht habe. Kann ich jetzt fortfahren?«
»Tut das«, mischte sich der Podestà ein.
»Ich habe die Absicht, diesen jungen Mann, der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Francesco Salimbene heißt, außerdem des Mordes an Wilhelm von Trier anzuklagen. Der deutsche Tempelritter wurde tot in einem Wirtshaus in der Nähe der Basilika Santo Stefano aufgefunden; sein Herz war in einen Eisenblock verwandelt. Doch um meine Anklagen zu beweisen, muss der Gefangene sich erst schuldig bekennen, den Brand gelegt zu haben. Allerdings werde ich mich jetzt zurückziehen, wenn Ihr das für angebracht haltet, während Ihr ihn dazu befragt, und mit anderen Beschuldigungen folgen, wenn er diese Tat gestanden hat.«
Der Capitano del Popolo klatschte langsam in die Hände, eine vulgäre Geste, mit der sonst das gemeine Volk seinen Beifall für die Darbietungen der Gaukler und Bänkelsänger ausdrückte. Uberto, der Podestà, der Notar und sogar der Gefangene drehten sich zu ihm hin und starrten ihn an.
»Meine Hochachtung, Inquisitor«, sagte Pantaleone. »Ich hätte Euch nicht für so schlau gehalten.«
»Was meint Ihr damit? Erklärt Euch näher«, griff der Podestà in strengem Ton ein.
»Jeder weiß doch, dass Erzbischof Rinaldo da Concorezzo den Einsatz von Folter verabscheut«, erklärte der Capitano. »Und wie Euch bekannt ist, benötigt ein Inquisitor die Erlaubnis des Bischofs, um einen Angeklagten zu foltern. Da der Angeklagte nicht cospectu tormentorum, also bereits beim puren Anblick der Folterinstrumente gestanden hat, will der gute Inquisitor nun uns die Aufgabe überlassen, ihn zu foltern, um dann die Ergebnisse für sich zu nutzen.«
»Nun und?«, entgegnete Uberto heftig. »Ihr habt mich doch aufgefordert, meine Befragung hier durchzuführen, statt mir den Beschuldigten zu überlassen. Jetzt schlage ich Euch eine Zusammenarbeit vor, die sich sowohl für die Kirche als auch für die Stadt als Segen erweisen kann. Welche Gründe könnt Ihr vorbringen, um sie abzulehnen?«
Der Capitano del Popolo wollte etwas sagen, doch der Podestà hielt ihn auf. »Das genügt, Pantaleone. Lasst nicht zu, dass Euer Herz eines Ghibellinen in Konflikt mit der Vernunft gerät. Sollte der junge Mann tatsächlich dieser Verbrechen gegen die Stadt und gegen die Kirche schuldig sein, wäre es wohl das Beste, im allgemeinen Interesse vereint vorzugehen und alle wechselseitigen Rivalitäten aus dem Spiel zu lassen. Lasst bitte den Henker rufen.«
Diesmal konnte sich Uberto selbst nur mühsam zurückhalten, um nicht zu applaudieren. »Wohl gesprochen!«, rief er, während der Capitano den Raum verließ.
Auf seine Worte folgte eine angespannte Stille, die andauerte, bis Pantaleone Buzacarini mit dem Henker zurückkam. Uberto zog sich neben den Podestà zurück und überließ dem Capitano die Aufgabe, den Gefangenen peinlich zu befragen, der seine Version wiederholte und daraufhin sofort mit Zugseilen gefoltert wurde. Der Henker band ihm die Hände hinter dem Rücken zusammen, befestigte sie an einem Seil, das von einer an der Decke angebrachten Laufrolle herunterhing, und hievte ihn über einen Mechanismus von weiteren Laufrollen zwei Arm hoch über den Boden. Er gab ihm die Zeit, den Schmerz in den Schultern zu spüren, die so einer unnatürlichen Spannung ausgesetzt waren, dann ließ er auf einen Wink des Capitano hin Seil ab und hielt es kurz darauf abrupt an. Der junge Mann schrie laut vor Schmerzen, als seine hinter dem Rücken gefesselten Arme nach oben gerissen wurden und auszukugeln drohten.
»Das ist nur der erste Grad«, erklärte Pantaleone Buzacarini. »Gesteht lieber gleich, dann bleibt Euch der zweite erspart. Beim dritten gesteht fast jeder.«
»Nein … Ich habe den Brand nicht gelegt, glaubt mir doch«, antwortete Gerardo mit gepresster Stimme. »Als ich nach Hause kam, habe ich die Flammen gesehen. Da habe ich befürchtet, man könnte mir die Schuld geben, und ich bin geflohen.«
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