Während Fiamma wieder mit dem Messer näher kam und seine Haut aufschnitt, schrie er aus Leibeskräften, bis er keine Luft mehr in den Lungen hatte. Doch hinter dem Knebel kam nur ein erbärmliches Winseln heraus.
Nachdem Fiamma ihr Werk vollendet hatte, ging sie in die Küche, zog die blutverschmierten Kleider aus und wusch sich sorgfältig in der Schüssel, die sie schon mit Wasser gefüllt hatte, als sie gekommen war. Obwohl ihre Rache nun beinahe vollzogen war, empfand sie keine Befriedigung. Sie war müde und viel trauriger, als sie es sich in all den Jahren vorgestellt hatte, in denen sie jede Einzelheit geplant hatte.
Sie trocknete sich mit einem Hanflumpen ab, der an einem Haken neben dem Ofen hing, holte saubere Kleider aus ihrer Tasche und zog sie über: ein dunkelbraunes Gewand, eine Bluse und eine weiße Haube. Unauffällige Kleider, mit denen sie sich unter die Menge mischen konnte, sobald die Leute von dem Mord erfahren hatten. Ehe sie ging, kehrte sie noch einmal zur Tür des Schlafzimmers zurück und bewunderte ihr Werk. Hugues de Narbonne war der Anführer gewesen, ohne den die anderen vielleicht gar nicht so weit gegangen wären. Er hatte es verdient, am meisten zu leiden. Ehe sie ihn getötet hatte, hatte sie ihm erzählt, wer sie war, und hatte sich an der Panik in seinen Augen geweidet, während sie seine Haut mit dem Messer einritzte und die Konturen der Schnitte zog, die sie dann mit der Säge ausführen wollte. Sie hatte ihm sogar die Maden gezeigt, die später von seinem Gehirn fressen würden. Hugues war immer noch ans Bett gefesselt, in derselben Position, in der sie ihn vorgefunden hatte. Das Zimmer war über und über mit Blut bedeckt. Das eiserne Herz erblühte in seiner Brust wie eine Blume des Bösen, und die Schädeldecke mit dem, was von seinen blonden Locken übrig geblieben war, ruhte auf seinen Geschlechtsteilen. Der geöffnete Kopf, den sie kurz über den Augen aufgesägt hatte, war voller weißlicher Larven, wie sie in den Kadavern streunender Hunde entstehen.
Fiamma hatte jahrelang Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie sie die Männer töten würde. Allen sollte das Herz in Eisen verwandelt werden, als Zeichen, dass sie keine Gnade oder Mitleid kannten, und darüber hinaus sollte jeder ein anderes Zeichen für seine ganz besondere Schuld erhalten. Angelo, der die Gewalttat eigentlich verhindern wollte und dann doch nicht eingeschritten war, wurden die Hände abgetrennt dafür, dass er tatenlos zugeschaut hatte. Wilhelm, dem alten Mann, der ihr Gesicht entstellt hatte, hatte sie es mit derselben Münze heimgezahlt und ihm ein Kreuz ins Gesicht geritzt. Und Hugues, dessen krankes Hirn Tod und Folter angeordnet hatte, hatte nun den Kopf voller Maden.
In Gedanken hatte sie die drei Männer Pilatus, Longinus und Kaiphas getauft, wie die Mörder Christi. Der erste hatte sich die Hände vom Blut des Erlösers reingewaschen, der zweite hatte ihm eine Seite mit der Lanze durchbohrt und der dritte war die treibende Kraft für seine Ermordung. Und obwohl sie wusste, dass sie sich nicht mit Gottes Sohn vergleichen durfte, fühlte sie sich ihm doch ähnlich in ihrer vergewaltigten Unschuld. Fiamma sah sich als ein Opferlamm, das seinem Schicksal hilflos ausgeliefert war.
Ohne zu zögern kehrte sie nun der Leiche den Rücken und verließ das Haus. Die Tür ließ sie offen. Die Straße war voller Leute, und die Nachmittagssonne überflutete alles mit einem warmen Goldton. Fiamma holte tief Luft und stieß einen schrecklichen Schrei aus. Dann lief sie los und rief laut, dort läge ein Toter mit aufgeschnittenem Brustkorb und einem Herzen, das in einen Eisenblock verwandelt war. Sogleich machte sich auf der Straße eine Aufregung breit, und die Menge wuselte durcheinander wie ein Ameisenhaufen, in dem man mit einem Stecken herumgestochert hatte: Alle liefen ziellos umher, viele rannten nach Haus, die Händler schlossen ihre Läden, die Papierhändler versuchten, ihre Stapel Papier und Hefte in Sicherheit zu bringen, ehe die Menge darauf herumtrampelte, die Frauen schrien, und die Nachricht von dem neuen Toten mit einem eisernen Herzen verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Fiamma ging ungestört davon, die Tasche über der Schulter. Jetzt musste sie noch einen Menschen töten, doch für diesen Tag hatte sie genug getan.
Uberto da Rimini betrachtete den jungen Mann vor sich mit unverhüllter Befriedigung. Zuerst hatte er die verschwundene Leiche gefunden und jetzt auch noch denjenigen, der sie weggebracht hatte, nachdem er den Mann getötet und Feuer im Haus gelegt hatte. Schon bald würde der Erzbischof alle Beweise bekommen, die er wollte.
Er brauchte nur noch ein Geständnis.
Mit einem Anflug von Wut stellte sich Uberto das asketische Gesicht von Rinaldo di Concorezzo vor, wenn er sagte: » Wir haben eine Leiche und einen Brandstifter. Doch wo sind die Beweise, dass die Leiche sich wirklich in dem Haus befand und dass der Brandstifter auch der Mörder ist? «
Rinaldos Besessenheit, das Gesetz zu beachten, grenzte an Naivität, um nichts Schlimmeres zu sagen. Wer würde schon freiwillig gestehen, ein Verbrechen verübt zu haben, das ihn direkt auf den Scheiterhaufen brachte?
»Ihr seid also Francesco Salimbene«, sagte Uberto ruhig. »Der Tempelritter, der in der Wohnung in der Kirchengemeinde von Sant’Antonino lebte, die vor zwei Wochen niedergebrannt ist. Gebt Ihr das zu?«
»Ich gebe zu, dass ich in dieser Wohnung gelebt habe, Vater, aber ich bin ein Medizinstudent, kein Tempelritter.«
»Aber Angelo da Piczano, den Ihr bei Euch aufgenommen hattet, war ein Templer. Wo hätte ein von der Inquisition gesuchter Tempelritter Unterschlupf gesucht, wenn nicht bei einem Mitbruder?«
»Er wäre zu einem Freund gegangen. Ich kannte Angelo und seine Lage, und ich glaubte nicht, das Gesetz zu brechen, wenn ich ihn für einige Tage bei mir aufnahm. Für die weltliche Gerichtsbarkeit hatte er kein Verbrechen begangen.«
»Tempelritter haben keine Freunde unter dem normalen Volk.«
»Dies kann ich nicht wissen, aber wenn Ihr es sagt, muss es stimmen. Ich weiß nur, dass er und ich Freunde waren und ich keinen Grund hatte, ihm ein Obdach zu verweigern.«
Es legte sich eine Stille über den Raum, die nur von der kratzenden Feder des Notars zu seiner Linken gebrochen wurde. Dieser schrieb die Fragen und Antworten auf ein Blatt Pergament, das auf der geneigten Fläche eines Pultes von zwei Eisenwürfeln gehalten wurde. Uberto erkannte, dass sie auf diese Weise zu keinem Ergebnis kommen würden. Er hatte gehofft, den Angeklagten in eine Reihe von kleinen Geständnissen verwickeln zu können, die ihn langsam und unerbittlich festnageln würden. Deshalb hatte er ihn nicht gleich beschuldigt, einen falschen Namen benutzt zu haben. Francesco Salimbene erwies sich jedoch als schlauer, als er gedacht hatte, obwohl er noch so jung war. Es gab nur ein Mittel, um ihn schnell dazu zu bringen, seine Verbrechen zu gestehen … In diesem Palazzo waren Uberto jedoch die Hände gebunden.
»Könntet Ihr uns genau erklären, wessen Ihr diesen jungen Mann beschuldigt, Vater?«
Die Stimme, der man anhörte, dass er aus Lucca kam, gehörte dem Podestà Enrico Bernadazzi. Uberto drehte sich um und sah ihn tatsächlich in der Tür stehen, so elegant gekleidet wie immer. Ihm auf den Fuß folgte Pantaleone Buzacarini, der Capitano del Popolo.
»So hatten wir das nicht vereinbart, Eure Exzellenz«, wehrte sich der Dominikaner. »Ich habe mich nur deshalb einverstanden erklärt, zur Befragung des Gefangenen hierherzukommen, weil man mir versichert hat, ich hätte dabei alle Freiheiten.«
»Das habt Ihr nur akzeptiert, weil es keine andere Möglichkeit gab«, sagte der Capitano del Popolo. »Aber unsere Vereinbarungen gelten unverändert. Haltet Ihr es wirklich für eine Einschränkung Eurer Freiheit, uns zu sagen, welcher Vergehen Ihr den Gefangenen beschuldigt?«
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