Sie aßen in einem privaten Raum neben Adias Zimmer, der mit einem niedrigen Tisch und zwei kleinen roten Samtsofas ausgestattet war. Eigentlich war es eher Zeit für ein Abendals für ein Mittagsmahl, und die Sonne, die sich schon ziemlich weit nach Westen in Richtung Modena abgesenkt hatte, tauchte den Raum in einen warmen rötlichen Schein.
Während sie das Kaninchen aßen, mit Brotstücken die Soße auftunkten und einen kühlen und trügerisch leichten Trebbiano dazu tranken, unterhielten sie sich weiter über Alchimie und all die Orte, an welche Adias Wissensdurst sie geführt hatte. Sie war in Griechenland gewesen, wo sie die Ruinen des Parthenon und die Burg von Athen gesehen hatte. Von Sizilien aus hatte sie sich nach Barcelona eingeschifft, war zu Fuß zur Basilika von Santiago de Compostela gewandert und hatte von dort aus die Pyrenäen überquert, um schließlich südwärts nach Bologna zu reisen.
Nun würde sie nach Venedig gehen, war ihr Plan, wo sie einen jüdischen Gelehrten besuchen wollte, von dem sie sehr viel gehört hatte, und danach würde sie nach Frankreich weiterziehen.
Mondino erzählte, dass er sehr gern eines Tages die Medizinschule von Montpellier besuchen würde, fügte jedoch hinzu, dass er kaum Zeit für eine so lange Reise finden würde, in seinem Alter und bei all den Verpflichtungen, die seine Familie und sein Beruf mit sich brachten.
»Unsere Verpflichtungen liegen da, wo wir sie haben wollen«, erwiderte Adia und sah ihm in die Augen. »Und was das Alter betrifft, weiß ich wirklich nicht, was Ihr meint.«
»Macht Euch nicht lustig über mich, Madonna Adia«, sagte Mondino ein wenig beleidigt, weil sie das Gespräch auf diesen Punkt gebracht hatte. »Ich weiß genau, dass ich nicht mehr in der Blüte meiner Jahre stehe, und …«
»Erzählt bitte keinen Unsinn«, unterbrach sie ihn. »Seht Ihr nicht selbst, dass Ihr bei jedem Eurer Wünsche gleich eine Entschuldigung findet, warum Ihr ihn nicht verwirklichen könnt? Begreift Ihr denn nicht, dass alles nur von Euch selbst abhängt?«
»Das verstehe ich nicht, und ich bitte Euch, nicht weiterzureden, damit dieser schöne Moment nicht durch einen Streit verdorben wird. Sagen wir einfach, dass ich vielleicht zu schwach und faul bin, um eine Reise bis Montpellier zu unternehmen.«
»Schwach?«, gab sie lachend zurück. »So, wie Ihr mit diesen Schurken gekämpft habt, hätte ich mich bei Euch auch ohne meine Mastinos sicher gefühlt.«
Mondino spürte, wie ihm bei ihren Worten das Blut ins Gesicht stieg, doch er versuchte sein Bestes, um sich unbeeindruckt zu geben, und sagte nichts dazu.
Adia sah ihn an und lachte lauthals los. »Ihr seid gerade sehr komisch, wisst Ihr das? Ihr zwingt Euch dazu, so gleichgültig wie eine Statue zu erscheinen, aber Ihr seid es keineswegs.«
»Ihr scheint sehr viel darüber zu wissen, wie ich bin und wonach ich mich sehne.«
»So ist es«, erwiderte sie mit einer gewissen Dreistigkeit, aber Mondino blieb nicht die Zeit, sie verwirrend zu finden, weil Adia ihm unverwandt mit leicht geöffneten Lippen in die Augen schaute. »Ich weiß übrigens auch, wonach ich mich sehne«, fügte sie leise hinzu.
In der durch den Wein gelösten Stimmung wusste Mondino nicht, wie ihm geschah, aber plötzlich umarmten sie einander, und ihre Lippen suchten gierig die des anderen. Adia flüsterte ihm ins Ohr, er solle sie in ihr Zimmer tragen, und er gehorchte ihr aufs Wort, hob sie auf seine Arme, ohne dabei aufzuhören sie zu küssen, und fühlte sich ein wenig, als entweihe er die Tradition der Hochzeit, während er mit ihr die Schwelle überschritt.
Mondino verlor keine Zeit damit, erst nach einer Kerze zu suchen, ihm genügte der Lichtstreif, der unter dem Laden des geschlossenen Fensters hereinfiel. Er legte Adia sanft auf das ärmliche, aber mit einem sauberen Laken überzogene Strohlager. Sie half ihm mit schnellen und erfahrenen Bewegungen, die ihm vor Eifersucht einen Stich versetzten, Gewand und Beinlinge im Stehen auszuziehen, dann war auch sie nackt und saß vor ihm.
Sie verweilten kurz und schauten einander schweigend in die Augen. Ihr Verlangen sprach für sie, und das, was Adia danach tat, wirkte auf Mondino nicht vulgär, sondern wie ein echter Ausdruck von Liebe, zärtlich und ungeheuer erregend. Er streichelte ihren dunklen Schopf, flüsterte sinnlose Worte, versuchte zweimal, sich diesen gierigen Lippen zu entziehen, um sich mit ihr zu vereinigen, und beide Male brachte Adia ihn mit der Hand davon ab, bis Mondino sich von ihr leiten ließ.
Irgendwann legte sich Adia, ohne den Blick von ihm zu lösen, mit verführerischen Bewegungen nach hinten auf das Strohlager. Mondino beherrschte seinen Drang, sich wie ein Tier auf sie zu stürzen, er blieb stehen und betrachtete sie bewundernd im Halbdunkel des Zimmers, denn er ahnte, dass sie genau dies wollte.
»Komm«, sagte Adia mit heiserer Stimme und streckte einladend die Hand aus.
Mondino kniete sich auf die Matratze und streichelte sie langsam, von den Knien hinauf bis zu den Brüsten. Adia stöhnte und versuchte, ihn an sich zu ziehen, aber diesmal wehrte er ab. Jeder Blick, jede Berührung bereitete ihm eine Lust, wie er es bis zu diesem Moment nie für möglich gehalten hätte.
»Du lernst schnell«, lachte sie leise.
Als sie ihn wieder am Handgelenk zog, war Mondino sofort über ihr, voller Ungestüm wie ein reißender Fluss.
Sie liebten einander erst wild und leidenschaftlich, und nach einer kurzen Ruhepause, in der es keiner Worte bedurfte, taten sie es noch einmal, mit mehr Ruhe, aber und dem gleichen Vergnügen. Danach schlief Mondino mit dem Gedanken ein, dass er das letzte Boot nach Bologna versäumt hatte, und versank dann in wirre Träume, in denen auf irgendeine Weise alle Ereignisse dieses langen Tages vorkamen: die Gehirnoperation an Hugues de Narbonne, die drei bewaffneten Männer, die in Adias Haus eingedrungen waren, ihre traurigen Hunde und der Duft ihrer warmen Haut.
Uberto da Rimini versuchte vergeblich, seinen Zorn zu verbergen. Er konnte sich vor dem Erzbischof von Ravenna keinen Wutausbruch erlauben. Und dennoch schien es Rinaldo da Concorezzo darauf anzulegen, dass er seine Selbstbeherrschung verlor. Kaum war er angekommen, hatte er sich in Ubertos Arbeitszimmer eingerichtet und sich alle Unterlagen zum Prozess gegen die Tempelritter bringen lassen. Erst als ihm alles vorlag, hatte er nach ihm geschickt. Jetzt, nach einem kargen Mahl, unterzog er ihn einem regelrechten Verhör. Uberto betete nur stumm, dass er nicht aus Versehen zwischen seinen Papieren irgendeine verräterische Notiz zurückgelassen hatte.
Doch Rinaldo schien sich am meisten für den Mord an dem Deutschen zu interessieren.
»Monsignore«, sagte Uberto und bemühte sich, nicht herausfordernd zu klingen, »ich bin sicher, dass der Mord an dem Tempelritter Wilhelm von Trier, der in Santo Stefano tot aufgefunden wurde, der zweite seiner Art in Bologna ist. Wie ich Euch bereits das letzte Mal gesagt habe, wurde der erste nur nicht entdeckt, weil die Leiche zusammen mit dem Mörder verschwunden ist.«
»Ich bezweifele ja nicht, dass Ihr davon überzeugt seid«, antwortete der Erzbischof. »Und ich bin auch bereit zu glauben, dass es sich wirklich so abgespielt hat, wie Ihr sagt, Pater Uberto.« Er schwieg kurz und starrte auf die über den Tisch verstreuten Papiere und Pergamente, als suche er dort eine Eingebung. »Aber in einem Punkt verstehen wir uns weiterhin nicht: Persönliche Überzeugungen müssen von Beweisen bestätigt werden, um in einem Prozess von Bedeutung zu sein.«
Uberto hätte dem Erzbischof gerne erzählt, dass es Beweise gab, und zwar genug: einen Toten, in dessen Brust anstelle des Herzens ein Loch klaffte, und einen Mann, der ihn erst umgebracht und dann zwei Totengräber bezahlt hatte, um ihn in einem namenlosen Massengrab verschwinden zu lassen. Aber er wusste, dass er auf der Hut sein musste. Wenn er der Versuchung nachgab und dem Erzbischof die Wahrheit enthüllte, würde Rinaldo da Concorezzo alles zum Scheitern bringen. Sein Wahn, dass alles genau nach dem Gesetz zuzugehen habe, und seine beharrliche Ablehnung, die Folter anzuwenden, um Geständnisse zu erhalten, würden seine Pläne vereiteln. Womöglich würde der Erzbischof ihm sogar Strafen auferlegen, wenn er erführe, dass Uberto Mondino de’ Liuzzi erpresste, um ihn zu einer Zeugenaussage im Prozess zu zwingen.
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