»Ich hätte Euch noch heute Vormittag darüber informiert, Monsignore«, log Uberto und fragte sich, durch wen der Erzbischof davon erfahren haben konnte. »Ich wollte nur solange warten, bis Ihr aufgestanden seid. Es erstaunt mich, dass mir jemand zuvorgekommen ist.«
Rinaldo da Concorezzo warf ihm einen kühlen Blick zu. »Unterlasst Eure unbeholfenen Versuche herauszufinden, aus welchen Quellen ich meine Informationen beziehe. Ihr braucht nicht mehr wissen, als dass ich in jedem Konvent meiner Diözese Leute meines Vertrauens habe, die mich über alles auf dem Laufenden halten. Deshalb versucht gar nicht erst, weiter etwas vor mir zu verbergen, sonst werde ich dafür sorgen, dass Ihr es bereut.« Uberto neigte ergeben den Kopf, ohne etwas zu erwidern, und der Erzbischof fuhr fort: »Setzt Euch umgehend mit dem Podestà in Verbindung. Ich will diesen jungen Mann persönlich befragen.«
»Aber Monsignore, was wird aus der Überprüfung des Prozesses?«, versuchte Uberto Zeit zu gewinnen.
»Diese Überprüfung ist jetzt zweitrangig angesichts der Morde, die Bologna in den letzten Wochen erschüttert haben. Sollten die Tempelritter tatsächlich darin verwickelt sein, ist es unsere vordringlichste Aufgabe, dies nachzuweisen. Ich bin sicher, dass wir auf die bedingungslose Zusammenarbeit des Podestà zählen können.«
Uberto wusste sich im Moment keinen Rat mehr. Sollte Rinaldo sich zum Palazzo des Podestà begeben, würde er dort herausfinden, dass der Inquisitor bereits gestern mit dem Verhör des Templers begonnen und ihm dies verschwiegen hatte. Außerdem würde der Prälat erfahren, dass man dabei die Folter angewandt hatte, und er würde ihn wohl kaum überzeugen können, dass er nichts damit zu tun hatte. Es war sogar möglich, dass dieser Ghibelline, der Capitano del Popolo, ihn offen beschuldigen würde, er habe dahingehend gewirkt, dass die Stadt die Verantwortung für die Folter des Gefangenen übernahm, während die Kirche davon profitierte. Immerhin hatte er dies dem Podestà gestern in deutlichen Worten gesagt.
Uberto begriff nun, dass er schnell handeln musste, ohne sich von moralischen Skrupeln hindern zu lassen, wenn er nicht als Seelsorger in irgendeiner abgelegenen Berggemeinde enden wollte.
»Euer Wunsch sei mir Befehl, Monsignore«, sagte er und verneigte sich. »Habt die Güte und geduldet Euch hier, während ich die Anweisungen erteile.«
Guido hatte im Flur vor dem Arbeitszimmer auf ihn gewartet. Als sie weit genug entfernt waren, dass man sie nicht mehr belauschen konnte, sagte er leise: »Was soll ich tun?«
Uberto erklärte es ihm in wenigen Worten. Er sollte das Gerücht verbreiten, ein Tempelritter namens Gerardo, der sich unter dem falschen Namen Francesco Salimbene aus Imola verbarg, hätte auf grauenvolle Weise drei Menschen getötet, um einen Pakt mit dem Teufel zu erfüllen. Und er sollte die Menge gegen ihn aufhetzen.
»Das wird nicht schwer sein«, meinte Guido. »Die Unzufriedenheit wegen des gestiegenen Brotpreises will sich gar nicht mehr legen, und ein Funke kann genügen, um einen Aufstand loszutreten.«
Es konnte sogar sein, deutete Arlotti an, dass es dem wütenden Volk gelang, den Palazzo des Podestà zu stürmen und den Gefangenen in Stücke zu reißen. Oder wie es in der Vergangenheit schon vorgekommen war, dass der Podestà sich entschloss, Gerardo vom Balkon in die Menge zu werfen, um größeren Schaden von sich und der Stadt abzuwenden. So oder so würden die Tumulte für die Ablenkung sorgen, die Uberto benötigte, um den Erzbischof davon zu überzeugen, dass es zu gefährlich wäre, den Konvent zu verlassen, und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Gerardo überleben sollte, hätte er Zeit gewonnen, um sich einen neuen Plan auszudenken.
»Das wird Euch viel Geld kosten«, sagte Guido. »Ich habe so etwas schon einmal gemacht und weiß, dass man für ein gutes Ergebnis wenigstens sechs oder sieben Leute braucht, die man auf Märkte und Tavernen ansetzt.«
Uberto konnte dafür nicht das Geld des Klosters benutzen. Dem Verwalter wäre dies aufgefallen, und er hätte es sofort dem Prior berichtet. Andererseits konnte Uberto jedoch auch nicht auf die Sondervermögen der Inquisition zurückgreifen, da Rinaldo da Concorezzo jeden Posten bis zum letzten Soldo nachprüfen würde. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Ausgaben aus seinem eigenen Vermögen zu bestreiten.
»Streck du das Nötige vor«, sagte er deshalb zu Guido. »Ich werde dich bezahlen, sobald der Erzbischof abgereist ist.«
Als der ehemalige Mönch auf diese Worte hin das Gesicht verzog, schnürte es ihm vor Zorn die Eingeweide zusammen. Er wusste genau, was sein Gegenüber sagen wollte.
»Vater, leider verfüge ich nicht über so viel Geld«, jammerte Guido dann auch prompt. »Wenn es nur um mich ginge, würde ich ja gern warten, aber die anderen Männer, die das Volk aufhetzen sollen, müssen sofort bezahlt werden. Außerdem müssen sie mit genügend Geld ausgestattet werden, damit sie eine Lokalrunde ausgeben können, um eine günstige Stimmung zu schaffen für das, was sie sagen.«
Während Uberto die Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste, starrte er Guido lange an, doch der hielt seinem Blick stand. Der Inquisitor war empört. Dieser Mann, der von Intrigen lebte, unter Mördern und Dirnen, wagte es, ihn herauszufordern. Er hatte gespürt, dass Uberto beim Erzbischof in Ungnade gefallen war, und war deshalb nicht mehr bereit, ein Risiko einzugehen, falls er nicht sofort dafür bezahlt wurde. Der Inquisitor spürte plötzlich einen unbändigen Drang nach Rache, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Nicht Guido war sein Feind, sondern die anderen, seine Vorgesetzten und seine Untergebenen, die sich gegen ihn verschworen hatten. Sie mussten aufgehalten werden, und Guido war der Einzige, auf den er dafür zurückgreifen konnte.
»Komm mit«, sagte er schließlich und machte sich auf den Weg zu seiner Zelle.
Als sie an der Tür waren, ließ er ihn eintreten, holte eine mit Münzen prall gefüllte Börse aus weichem Leder unter dem Strohlager hervor und warf sie ihm verächtlich hin. Arlotti fing sie im Flug auf, wog sie kurz in den Händen und ließ sie dann unter seiner Tunika verschwinden.
»Dort drinnen sind ausreichend florentinische Gulden und Bolognini, um alles zu bezahlen« sagte Uberto. »Sieh nur zu, dass du gute Arbeit machst.«
»Ihr werdet zufrieden sein, Vater«, antwortete der ehemalige Mönch mit einem verschlagenen Lächeln. Dann fügte er beinahe besorgt hinzu: »Bei solchen Gelegenheiten gibt es aber immer ein paar Tote. Frauen werden in den Gassen vergewaltigt und getötet, Kinder zertrampelt, es kommt zu Messerstechereien … Ist die Meute erst einmal losgelassen, ist sie nicht mehr zu kontrollieren. Das solltet Ihr wissen, bevor Ihr eine Entscheidung trefft.«
»Ich weiß, und ich bedaure es«, erwiderte Uberto. Ein Schauder lief ihm über den Rücken bei dem Gedanken an das, was er gerade in die Wege leitete. »Doch hier geht es darum, den christlichen Glauben gegen einen Mörder zu verteidigen, der nicht gezögert hat, seine Seele im Tausch für irgendwelche schändlichen Vergünstigungen zu verkaufen, und gegen einen Prälaten, der zu schwach für das Amt ist, das er bekleidet. Leider ist dieses Opfer notwendig.«
»Wenn es ein Opfer für den Glauben ist, bin ich einverstanden«, sagte Guido. »Aber wenn alles vorbei ist, will ich unverzüglich den Generalablass, den Ihr mir versprochen habt. Ich muss von allen Sünden freigesprochen werden, die ich beim Erfüllen Eurer Befehle begangen habe.«
»Keine Sorge, du wirst ihn schon erhalten«, antwortete Uberto. »Jetzt geh, lass uns keine Zeit verschwenden.«
Guido Arlotti verließ ohne eine Antwort den Raum. Uberto wollte ihm schon folgen, aber aus einem plötzlichen Impuls heraus warf er sich auf die Knie und begann inbrünstig zu beten. Guido würde seinen Ablass bekommen, aber wer würde ihn lossprechen? Er bat Gott mehrmals um Verzeihung für das, was er plante, für die Menschen, die seinetwegen sterben würden und für die Lügen, die er aussprechen müsste. Nur die Gewissheit, auf der Seite des Rechts zu stehen, gab ihm die Kraft, diesen Weg weiterzuverfolgen. Sicher, er wollte damit auch sich selbst retten, aber einzig und allein, weil er wusste, dass er der Kirche bei der Verteidigung des Glaubens noch viel zu geben vermochte. Ihm fiel die Aufgabe zu, für sie zu kämpfen, da der Erzbischof ein Feigling war. Und wenn er Erfolg hätte, wenn letzten Endes seine Handlungen zu einer Verurteilung der Tempelritter führen würden, wie es zweifellos der Wille Seiner Heiligkeit, Papst Clemens V., war, zweifelte er nicht daran, dass jemand an höchster Stelle seine Loyalität zu lohnen wusste.
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