»Seid Ihr Donna Filomena?«, fragte er ungläubig. Angelo da Piczano konnte unmöglich mit so einer Frau sein Keuschheitsgelübde gebrochen haben.
»Und wer seid Ihr?«
»Mein Name tut nichts zur Sache; mich schickt ein Freund.«
Die Frau fragte, wie dieser Freund hieße, konnte mit dem Namen, den Gerardo nannte, jedoch nichts anfangen. Offenbar hatte sich Angelo ihr unter einem falschen Namen vorgestellt. Erst als Gerardo ihn beschrieb und hinzufügte, dass sein Freund sie vor ein paar Tagen besucht habe und sehr zufrieden gewesen sei, hellte sich die Miene der Frau auf.
»Kommt nur herein«, sagte sie mit rauer Stimme. »Aber Ihr müsst im Voraus bezahlen.«
Gerardo versuchte, sein Anliegen zu erklären, aber die Frau wollte nicht ein Wort mehr hören, ehe sie nicht Geld gesehen hatte. Also gab er ihr drei Soldi und versprach ihr den Rest für danach. Er hatte nicht die Absicht, mit ihr zu sündigen, aber er hoffte, dass die Geldgier sie dazu verleiten würde, seine Fragen zu beantworten.
Die Frau ließ ihn in eine Küche eintreten, deren Wände rauchgeschwärzt waren, schloss die Tür zur Straße und ging gleich darauf in einen kleinen Flur, um dort eine andere Tür zu öffnen. Gerardo trat in das Zimmer in der Annahme, dass sie ihm folgen würde; stattdessen schloss die Megäre aber die Tür hinter ihm und ließ ihn allein.
Beziehungsweise nicht allein, denn es kam noch schlimmer.
Als er einen halbnackten Knaben von etwa sechs oder sieben Jahren vor sich sah, der ihn auf einem einigermaßen sauberen Strohlager erwartete, begriff Gerardo. Der Raum war fensterlos und wurde nur von einem Kerzenstumpen beleuchtet, den die Alte wahrscheinlich in einer Kirche gestohlen hatte. Wortlos stand der Junge auf, ging auf ihn zu, ließ seine Hände unter seinen Überrock gleiten und machte sich an seinen Beinlingen zu schaffen.
Erst da reagierte Gerardo und stieß den Jungen heftiger zurück, als es notwendig gewesen wäre. Der Kleine fiel nach hinten auf das Bett, stand aber sofort wieder auf und machte sich erneut ans Werk. Während sein Blick anfangs leer und fast stumpf gewesen war, wirkte er jetzt vollkommen verängstigt.
Gerardo wies ihn erneut ab, diesmal etwas freundlicher, doch der Knabe ließ nicht locker. Jetzt war er kurz davor loszuheulen.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte Gerardo so sanft wie möglich: »Hast du Angst, dass man dich schlägt, wenn du deine Aufgabe nicht erledigst?«
Der Junge hielt unvermittelt inne, starrte ihn lange an und nickte dann zweimal.
»Nur keine Angst, das wird nicht geschehen. Aber jetzt lass das bitte. Ich bin keiner von diesen bösen Männern, die sonst zu dir kommen. Wie heißt du?«
Der Kleine schaute ihn wieder misstrauisch an, als wollte er herausfinden, ob Gerardo tatsächlich die Wahrheit sagte oder ob dies nur ein Trick war. Schließlich wies er mit einem Finger auf seinen Mund und breitete die Arme in einer Geste der Ohnmacht aus.
»Bist du stumm?«
Kopfnicken. Ja .
»Hat man dich entführt?«
Noch ein wortloses Nicken.
Gerardo hatte von diesen schändlichen Vergnügungen gehört, aber es war das erste Mal, dass er unmittelbar damit in Berührung kam. Spontan beschloss er, dass er den Jungen auf keinen Fall in den Händen dieser schrecklichen Alten zurücklassen würde.
»Nur keine Sorge«, sagte er leise und setzte sich zu ihm aufs Bett. »Ich werde dich von hier fortbringen.«
Als er sah, wie sich das Misstrauen in den Augen des Jungen in Hoffnung verwandelte, war das mehr, als er ertragen konnte. Er stand so abrupt auf, dass die Kerzenflamme flackerte, und er versuchte, den Raum zu verlassen. Doch die Tür war von außen verriegelt. Er fing an zu klopfen und zu schreien, woraufhin die Frau sofort herbeieilte und ihm öffnete.
»Warum habt Ihr mich eingeschlossen?«, fragte Gerardo mit hochrotem Kopf.
»Das tue ich immer«, erklärte Filomena. Ihr Atem stank nach Wein. Mit ihren haarigen Händen und den buschigen Augenbrauen sah sie im Halbdunkel aus wie eine Ausgeburt der Hölle. »Um zu verhindern, dass der Kleine davonläuft. Ich habe viel Geld für ihn bezahlt und möchte nichts riskieren. Wenn er abhaut, wer rennt ihm dann hinterher? Für so was bin ich zu alt.«
Sie wagte es sogar zu lachen und entblößte dabei ihre gelblichen Zähne. Gerardo verließ wortlos das Zimmer, sie verriegelte die Tür wieder mit einer Holzlatte und folgte ihm überrascht, aber auch ein wenig besorgt in die Küche.
»Was ist, gefällt Euch Masino nicht? Ich muss sagen, da seid Ihr aber der Erste. Also Euer Freund …«
»Was ist mit meinem Freund?«, fragte Gerardo sofort und zwang sich, seinen Zorn zu bezähmen. Im Moment war das Wichtigste, dass er etwas über Angelo erfuhr.
»Ihm hat es sehr gefallen. Er hat auch gesagt, dass er bald wiederkommen würde.«
Gerardo packte sie an der Kehle. »Du lügst!«, sagte er zornig. »Angelo würde niemals so etwas tun!«
Die Megäre antwortete nicht. In ihren Augen las Gerardo Trotz und Schläue. Inzwischen wusste sie, dass sie einen Fehler begangen hatte, als sie ihn eingelassen hatte. Sie schien beschlossen zu haben, dass sie von jetzt an gar nichts mehr sagen würde. Ihm blieb keine Zeit zum Nachdenken. Wenn sie um Hilfe schrie und jemand vorbeikam, konnte es für ihn sehr gefährlich werden. Es widersprach all seinen Instinkten, eine Frau zu schlagen, aber Gerardo überwand sich und versetzte ihr zwei saftige Ohrfeigen, wobei er mit der freien Hand immer noch ihre Kehle gepackt hielt, um sie am Schreien zu hindern. Sie knurrte einen Fluch und versuchte, mit der Faust nach ihm zu schlagen, doch Gerardo hielt sie am Handgelenk fest und drückte ihren Hals zu. Ihre raue Haut, die starke Körperbehaarung und ihr männliches Aussehen machten es ihm leichter, nicht seinem Mitleid nachzugeben.
Filomena begann zu jammern. »Was wollt Ihr von mir?«, röchelte sie. »Ich bitte Euch …«
»Du musst mir sagen, was du über Angelo weißt«, antwortete Gerardo hart. »Dann lasse ich dich gehen. Wenn du versuchst zu schreien oder ich merke, dass du lügst, bringe ich dich um.«
Sie nickte, und diesmal stand echte Angst in ihren Augen. »Das ist gar kein Freund von Euch, oder?«, fragte sie. »Ihr wollt ihm schaden, ihn der Sodomie bezichtigen.«
Ohne die Hand von ihrer Kehle zu nehmen, überlegte Gerardo schnell. Wenn er das bestätigte, würde die Frau ihm nicht helfen, denn bei einem Prozess wegen Sodomie gegen einen ihrer Kunden würde auch sie zum Tode verurteilt. Andererseits wollte er ihr aber auch nicht sagen, dass Angelo tot war.
»Ich möchte ihm nur deutlich machen, dass er mir aus dem Weg gehen soll«, log er. »Jetzt, wo ich sein Geheimnis kenne, wird er vorsichtiger sein. Also los, rede.«
Er lockerte seinen Griff, und tatsächlich redete die Frau. Sie sagte, dass sein Freund eines Tages zu ihr gekommen sei und dabei den Namen eines Mannes genannt hätte, den sie gut kannte, daher hätte sie ihn eingelassen.
»Wie hieß dieser Mann?«
Sie schüttelte den Kopf und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Gerardo drückte wieder fester zu, und nach kurzem Zaudern schlug er ihr mit der Faust ins Gesicht. Ehe er ihr jedoch noch einen Schlag versetzen konnte, gab Filomena nach.
»Er heißt Francesco«, stammelte sie, »ein Mönch aus dem Augustinerkloster.«
Bei diesen Worten schwindelte es Gerardo. Noch ein Mönch, der das eigene Gelübde auf die niederträchtigste Art und Weise brach.
»Und was hat Angelo mit dem Jungen gemacht?«, fragte er. Er empfand eine Mischung aus Zorn, Ekel und Scham, aber er musste alles wissen.
»Das, was alle machen«, antwortete die Frau und zuckte mit den Schultern.
Gerardo beschloss noch einmal, dass er diesen armen Jungen nicht hierlassen würde, und wenn er dafür dieses Mannweib töten musste.
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