»Fragt nur.«
Gerardo wollte nichts unversucht lassen - vielleicht wusste der Bankier ja etwas über Angelo da Piczano. Möglicherweise hatte dieser ihn während seines kurzen Aufenthalts in Bologna ebenfalls aufgesucht.
»Ich habe erfahren, dass mein Freund und Mitbruder Angelo da Piczano seit ein paar Tagen in der Stadt ist«, sagte er. »Hat er sich zufällig an Euch gewandt? Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mir sagen könntet, wo ich ihn finden kann.«
Der Bankier schüttelte schon den Kopf, ehe Gerardo seinen Satz beendet hatte. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört«, sagte er. »Und selbst wenn mir der Gesuchte bekannt wäre, würde ich es Euch nicht sagen.« Er hob die Hand, um den Protesten des jungen Mannes zuvorzukommen. »Mein Beruf begründet sich auf Diskretion«, erläuterte er. »Wenn mich jemand nach Euch fragen würde, würde ich ihm ebenso wenig sagen, wo Ihr Euch aufhaltet.«
»Ich weiß aber, dass sich einige Tempelritter, die sich vorübergehend in der Stadt aufhielten, dank Eurer Hilfe getroffen haben«, entgegnete Gerardo aufgebracht.
»Ja, das ist richtig. Doch erst, nachdem ich mich versichert hatte, dass beide Seiten mit einem Treffen einverstanden waren.«
Der Bankier erklärte Gerardo, dass es ein ganz einfaches System gäbe: Wenn ihm jemand sagte, dass er eine bestimmte Person treffen wolle, erkläre er zunächst, er kenne ihn nicht, ging zu dem Gesuchten und überbrachte ihm die Botschaft. Wenn der andere einverstanden war, vereinbarte er ein Treffen. Anderenfalls tat er gar nichts.
»Sollte Euer Freund sich in den nächsten Tagen an mich wenden«, meinte Remigio abschließend, »werde ich ihm ganz sicher Eure Bitte vortragen. Fällt seine Antwort positiv aus, werde ich Euch Bescheid geben. Andernfalls sind Nachfragen zwecklos. Ich bin mir sicher, dass Ihr mich versteht.«
Gerardo nickte müde. Angelo würde nicht aus dem Jenseits zurückkehren, um mit Remigio Sensi oder jemand anderem zu sprechen. Wenn er erfahren wollte, wen sein toter Freund während seines Aufenthalts in Bologna getroffen hatte, musste er anderswo suchen.
Der Bankier ging zur Tür, öffnete sie und gab einem der Diener Anweisungen, Brot und Milch für den Gast vorzubereiten. Dann kehrte er gemessenen Schrittes an den Tisch zurück und setzte sich.
»Gut, dann sagt mir jetzt, wie viel Ihr benötigt.«
Gerardo seufzte tief. »Mindestens vierzig Bolognini.«
»Findet einen Bürgen, und das Geschäft steht«, erwiderte Remigio mit einem Lächeln, das freundlich wirken sollte, aber nur seine Gier erkennen ließ. »Dann werden wir uns auch um den Verkauf der Güter kümmern, die Ihr angesprochen hattet. Ach ja, wo wohnt Ihr eigentlich?«
»Im Moment möchte ich das lieber nicht sagen«, antwortete Gerardo.
»Wie Ihr wünscht.«
Das Lächeln auf dem Gesicht des Bankiers gefror, ein deutliches Zeichen, dass er Gerardos Misstrauen nach den langen Erklärungen über seine Diskretion nicht begriff. Sie verabschiedeten sich kühl. Gerardo verließ das Arbeitszimmer und folgte einem Diener, der ihn in die Küche brachte.
Ein großer Raum, der mehr durch das Feuer im Kamin als durch die spärlichen Sonnenstrahlen erhellt wurde, die durch das einzige, von dicken Gittern geschützte Fenster hereinfielen. Fiamma schimpfte gerade mit einem etwa neunjährigen Mädchen, dem der Rotz aus der Nase lief. Es war barfuß und wirkte völlig verschüchtert. Im Raum war noch ein anderes, etwas älteres Mädchen, das eine graue Haube trug und auf einer Arbeitsfläche aus Terrakottafliesen neben dem Kamin ein Hühnchen rupfte.
»Entschuldigt«, sagte die Hausherrin sofort. Als sie sich zu ihm umdrehte, wehte der zarte grüne Schleier hoch, der ihr Gesicht bedeckte. »Dieses dumme Mädchen hier hat im ersten Laden keine Milch bekommen, und anstatt woanders hinzugehen, ist es mit leeren Händen zurückgekehrt. Ich werde es sogleich wieder losschicken, aber Ihr müsst ein wenig warten.«
»Macht Euch keine Umstände, Madonna«, antwortete Gerardo. Er setzte sich an den Tisch in der Mitte der Küche »Brot und Käse reichen völlig aus, wenn Ihr davon etwas für mich übrig habt.«
Fiamma schickte das Mädchen sofort in die Speisekammer, um den Käse zu holen, und schenkte ihm eigenhändig aus einem Krug auf dem Tisch einen Becher Wein ein.
Das Mädchen lief schniefend los. Wenig später kehrte es mit einem Stück frischem Käse auf einer dicken Scheibe Brot zurück. Gerardo nahm die Speisen entgegen, dankte der Kleinen und machte sich schweigend ans Essen, wobei er versuchte, sich in Anbetracht der Gegenwart einer Dame nicht zu sehr von seinem Appetit überwältigen zu lassen, den der Anblick und der Geruch des Käses in ihm geweckt hatten.
Glücklicherweise war der Wein mit Wasser gestreckt, doch auch so stieg er ihm, vielleicht wegen der durchwachten Nacht, sofort zu Kopf. In seinem gesamten Körper machten sich eine angenehme Wärme und ein Wohlgefühl breit, die keineswegs zu seiner Lage passten. Inzwischen war das ältere Mädchen mit dem Rupfen des Huhns fertig geworden, hatte es über dem Feuer abgeflämmt und entnahm nun die Innereien. Herz, Leber und Magen legte es beiseite, den Rest warf es in einen Holzeimer.
»Ist das Essen zu Eurer Zufriedenheit, Messere?«, fragte Fiamma.
Gerardo hatte seinen Gedanken nachgehangen, und ganz gegen die guten Sitten und die Ordensvorschriften der Tempelritter, denen er Gehorsam geschworen hatte, hob er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Die junge Frau wandte den Blick nicht ab, und so verharrten sie, bis Gerardo, dem schmerzlich bewusst war, wie unzüchtig sein Blick auf die Dame war, träumerisch hervorbrachte: »Es ist alles vorzüglich, Madonna.«
Als jemand kicherte, drehte er sich ruckartig um. Die Magd neben dem Kamin arbeitete mit dem Rücken zu ihm, doch er war sich sicher, dass sie alles beobachtet hatte. Schnell erhob er sich, als wäre die Stuhlfläche unter ihm plötzlich heiß geworden.
»Jetzt muss ich gehen«, sagte er. »Ich danke Euch für alles. So habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.«
Nach diesem unbeholfenen Satz, der von einem lauten Niesen des barfüßigen Mädchens begleitet wurde, verließ Gerardo die Küche und überließ es den dreien herauszufinden, was er damit gemeint hatte. Dass es ihnen gelingen würde, glaubte er kaum, denn er wusste es ja selbst nicht.
An der Tür nahm er seinen Mantel, trat auf die Straße und ging hinüber zu den sieben Kirchen, welche zusammen die Benediktinerbasilika Santo Stefano bildeten, den Mittelpunkt dieses architektonischen Komplexes, der vor Jahrhunderten auf Wunsch von Bischof Petronius entstanden war und nun in der gesamten Christenheit als Sancta Hierusalem Bononiensis bekannt war.
Aus einem Impuls heraus trat er durch das große Portal der ersten Kirche, die nach der Kreuzigung hieß. Seine Gefühle waren in Aufruhr, und ein kurzer Aufenthalt im Haus Gottes würde ihm nur guttun. Gerardo durchquerte hastig das Schiff und wandte sich dann nach links, um in die Kirche zu gelangen, in der das heilige Grab von Jerusalem nachgebildet war. Rund um das achteckige Sanktuarium, das die sterblichen Überreste des heiligen Petronius beherbergte, des bedeutendsten Schutzpatrons von Bologna, knieten sechs Mönche ins Gebet vertieft. Gerardo blieb kurz stehen und bewunderte dieses kleine, aber so wichtige architektonische Meisterwerk. Es hieß, dass es die Proportionen des Originals im richtigen Maßstab wiedergab und dass unter dem Fußboden eine heilige Quelle sprudelte, die alle Krankheiten heilen konnte. Es gab sogar Gerüchte, unter der Kirche solle sich ein alter unterirdischer Tempel befinden, der schon lange vor der Kirche dort gestanden habe und einst der heidnischen Göttin Isis geweiht war.
Dennoch fand Gerardo an diesem heiligen Ort keinen Trost. Er fühlte sich aufgewühlter denn je. Leise, um die betenden Mönche nicht zu stören, verließ er die Kirche durch eine Tür auf der rechten Seite, lief durch den verlassenen Kreuzgang und betrat die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit. Er wollte gerade wieder gehen, als Gerardo in einer Ecke einen knienden Priester bemerkte. Der Mann hatte seine Schritte gehört und sich wortlos nach ihm umgedreht. Unsicher blieb der Flüchtling stehen. Während er nach einer Ausrede suchte, um seine Anwesenheit zu erklären, kamen ihm die Worte ganz natürlich über seine Lippen, als ob sie das Einzige wären, was an diesem Ort und in diesem Augenblick angebracht wären.
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